6. Juli 2015
Crowdwork: Risiken und Chancen
Für faire Arbeit im Internet
Immer mehr Menschen arbeiten im Internet als sogenannte Crowdworker. Viele von ihnen sind Solo-Selbstständige und haben daher keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Schlechte Bezahlung ist jedoch nur eines von vielen Problemen.

Produktbeschreibungen texten, Adressen recherchieren – aber auch anspruchsvollere Programmierarbeiten: Nur drei von wahrscheinlich Tausenden verschiedenen Tätigkeiten, die Unternehmen heutzutage über das Internet ausschreiben. Als Vermittler zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer fungieren sogenannte Crowdsourcing-Plattformen. Meist vermitteln sie die Arbeiten nicht nur, sondern sind gleichzeitig virtuelle Werkstatt. Die, die dann oft in Fließbandmanier tippen und klicken, nennt man Crowdworker. Einige von ihnen verdienen sich auf diese Weise nur etwas hinzu, für immer mehr ist die Arbeit im Web aber zur Haupteinnahmequelle geworden – mit weitreichenden Folgen.
 
 
 

Viele Crowdworker arbeiten als Selbstständige und haben daher bislang keinen Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Was sie im Durchschnitt verdienen, ist nicht genau bekannt. Laut einem 2011 erschienen Bericht der Fachzeitschrift „c’t“ sind es brutto durchschnittlich 5 Euro pro Stunde. Die deutsche Plattform „Clickworker.com“ wirbt mit einer Community von 700 000 schnell verfügbaren Webarbeitern – nur einer von Hunderten Anbietern, dessen Community stetig wächst. Daneben haben Crowdworker keinen Kündigungsschutz und erhalten im Krankheitsfall keine Entgeltfortzahlung.


Kein Anspruch auf Mindestlohn

Hinzu kommt, dass viele der Netzarbeiter gegenüber ihren Auftraggebern in einer rechtlich schwachen Position sind. Das Einzige, worauf sie sich derzeit berufen können, sind die AGB der jeweiligen Plattform. Manche dieser AGB sind extrem unfair formuliert. Bei einigen Tätigkeiten wird etwa nur derjenige bezahlt, der nach Ansicht des Auftraggebers die beste Arbeit abgeliefert hat. Immer wieder kommt es vor, dass erbrachte Leistungen ohne Begründung abgelehnt werden – und der Crowdworker kein Entgelt bekommt. Manch virtuelle Werkstatt will den Usern gar verbieten, sich untereinander zu vernetzen.

Kurze Texte verfassen, Bilder sortieren oder Datenbanken erweitern sind sogenannte Mikrojobs, die meist in ein paar Stunden erledigt sind. Dann müssen sich die Crowdworker neue Aufträge suchen. Gemessen an der investierten Zeit werden sie sehr schlecht bezahlt. Auf Amazons Crowdworking-Plattform „Mechanical Turk“ soll der Stundenlohn für solche Tätigkeiten laut einer Befragung im Durchschnitt bei 1,25 Dollar liegen. Und 60 Prozent der „Turker“ geben an, dass die Arbeit dort ihre Haupteinnahmequelle ist. So entsteht im Internet eine Art Tagelöhnertum. Die schlechten Arbeitsbedingungen sind jedoch keine Privatsache. Viele der jetzt einfachen Tätigkeiten waren Teil komplexerer Aufgaben, die früher von Experten erledigt wurden. Infolgedessen geraten auch Stammbeschäftigte unter Druck.

Im Internet finden sich jedoch längst nicht nur einfach Mikro- und Makrojobs. Auch anspruchsvollere Ingenieurs- und Programmierarbeiten lagern Unternehmen ins Netz aus. Diese werden oft besser bezahlt – aber längst nicht immer. Ein Beispiel ist das Unternehmen „Local Motors“ (LM) aus Arizona: Mit nur rund 100 fest angestellten Beschäftigten – und einer Coummunity von rund 48 000 Entwicklern entwirft und produziert die US-Manufaktur Autos. Anfang des Jahres machte das Unternehmen auf sich aufmerksam, als es auf der „Detroit Motor Show“ den „Strati“ vorstellte – ein Elektroauto aus dem 3-D-Drucker.
 

Interview mit Damien Declercq, Vizepräsident von Local Motors Europe:


Unternehmensangaben zufolge vergingen gerade einmal 18 Monate von der ersten Idee bis zur ersten Fahrt mit dem Zweisitzer. Für konventionelle Autos brauchen Hersteller mindestens vier Jahre. Natürlich besteht der „Strati“ aus vergleichsweise wenigen Einzelteilen. Seine Entwicklung erfolgte komplett nach dem sogenannten Open Source-Prinzip: Amateure wie Profis, Studierende, Autobegeisterte und Ingenieure aus 130 Ländern arbeiteten an dem Projekt. Für das Design bekam beispielsweise der Italiener Michele Anoé den Zuschlag. Was bedeutet, dass Local Motors ihm für seinen Entwurf 5000 Dollar zahlte. Alle anderen gingen leer aus, obwohl sie ebenfalls Ideen einreichten.

Ein andres Beispiel liefert Softwaregigant „IBM“: Der IT-Konzern entwickelte für seinen Geschäftszweig der Anwendungsentwicklung ein Tool namens Liquid. Das Tool erlaubt es, Projekte in kleine Teilaufgaben zu zerstückeln, die dann von Programmierern weltweit erledigt werden. Von fest Angestellten und von Freelancern. Bei den Freelancern erhalten die den Auftrag, die für ihre Arbeit am wenigsten verlangen. Auch das übt zum einen Druck auf die Stammbelegschaft aus. Zum anderen verliert die Arbeit an Attraktivität, weil beispielsweise für Kreativität bei den kleinen Teilaufgaben kaum noch Platz ist. Die ehemals komplexe Wissensarbeit von Experten nähert sich an die einfachen Klickarbeiten an.


Rechtstipps und Ratgeber

Crowdwork durchgehend als „schlecht“ zu bezeichnen, wäre jedoch viel zu kurz gedacht. Es bietet den Beschäftigten auch viele Chancen. Zum Beispiel einen leichteren Zugang zu Arbeit, mehr Flexibilität und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Es kommt also darauf an die Chancen zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Die IG Metall hat dazu unter anderem die Webseite faircrowdwork.org geschaffen. Dort stellt die Gewerkschaft Rechtstipps und Ratgeber zu Verfügung, Experten sind über ein kostenloses Servicetelefon erreichbar und Crowdworker können ihre Plattformen bewerten werden. So haben die Crowdworker die Möglichkeit, eine Gegenmacht aufzubauen und ihre Arbeitsbedingungen gemeinsam mit der IG Metall zu verbessern.


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