Interview
Mindestlohn gilt nicht für Crowdworker
Die IG Metall setzt sich mit einer neuen Internet-Plattform für die Interessen von Crowdworkern ein. IG Metall-Vorstandsmitglied Christiane Benner spricht im Interview über Outsourcing und Spaß bei der Arbeit.
Ist faires Crowdwork möglich?
Christiane Benner: Davon bin ich überzeugt. Technische Neuerungen wie Internet-Plattformen kann man so oder so nutzen. Zurzeit profitieren vor allem Unternehmen davon: Sie erhalten übers Internet billige Arbeitskräfte, für die sie keine Verantwortung haben. Wir wollen, dass Beschäftigte die technischen Innovationen für einen besseren Zugang zu Arbeit und für flexiblere Arbeitsmöglichkeiten nutzen können.
Wie wollen Sie das erreichen?
Wir richten zunächst einmal selbst eine Plattform ein, und zwar für alle Crowdworker in Deutschland. Wir werden am 1. Mai die Internet-Seite
www.faircrowdwork.org freischalten. (Anm. Red.: Plattform ist online) Aus dem Tag der Arbeit wird so – 129 Jahre nach dem berühmten Haymarket-Streik in Chicago – ein Tag der guten digitalen Arbeit. Auf unserer Crowdwork-Webseite können die Leute dann die Plattformen bewerten, für die sie arbeiten. Sie können ihre Erfahrungen austauschen und ihre Probleme benennen. Auf der Website werden wir auch einen Ratgeber veröffentlichen mit den wichtigsten Informationen für Solo-Selbstständige. Und wir werden eine Hotline einrichten, unter der Spezialisten arbeitsrechtlich helfen können. Das wäre ein guter und hilfreicher Service. So etwas gibt es bisher in Deutschland nicht.
Was versprechen Sie sich von der Plattform?
Wir wollen Crowdwork zusammen mit den Leuten gestalten. Das ist die Aufgabe einer Gewerkschaft. Dazu müssen wir genauer wissen, welche Probleme die Beschäftigten haben. Danach können wir mit den Plattformen über bessere Arbeitsbedingungen verhandeln. Das sind ja im Grunde ganz normale Unternehmen, mit denen man auch Tarifverträge abschließen kann. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen, dass wir mit den Plattformen über Mindestentgelte verhandeln.
Was erwarten Sie von der Politik?
Solo-Selbstständige wie Crowdworker müssen sozial besser abgesichert werden. Wir brauchen eine bezahlbare Kranken- und Rentenversicherung für die Leute. Vorstellbar ist auch, dass es eine gesetzliche Mindestvergütung gibt. Der Mindestlohn von 8,50 Euro gilt erstmal nicht für Crowdworker, weil sie selbstständig sind.
Unternehmen beschweren sich schon jetzt über zu viel Bürokratie. Und nun fordern Sie noch mehr Vorschriften.
Ich will Crowdwork nicht totregulieren. Wir brauchen aber faire Standards. Wenn wir das einfach laufen lassen, geht das nicht zugunsten der Beschäftigten aus. Wenn sich die Arbeitswelt derart verändert, muss eine Arbeitsgesellschaft darauf reagieren. Wir müssen bestehende Regeln und Rechte auf neue Arbeitsformen wie Crowdwork ausweiten. Nur so können wir Rückschritte für die Beschäftigten verhindern. Das bedeutet auch: Der Betriebsrat soll mitreden können, wenn ein Unternehmen Jobs ins Internet auslagern will. Dann kann man klären: Will das Unternehmen schlicht Innovationen reinholen? Dann würde ich sagen: Ja, macht doch! Aber: Bezahlt die Leute anständig!
Auf der Internet-Plattform Local Motors entwickeln Designer und Ingenieure gemeinsam neue Autos und Zweiräder. Manche Entwürfe sind ziemlich schräg. Den Leuten macht die Arbeit offenbar Spaß, obwohl sie nicht viel Geld verdienen.
Wenn jemand Spaß daran hat, Autos zu entwickeln, dann soll er das machen. Ich würde nie sagen, lass das! Wenn aber ein großer Konzern das kreative Potenzial der Leute nutzt, dann soll er dafür angemessen bezahlen. Und ich sage Ihnen noch etwas: Wenn die Leute es tatsächlich so toll finden, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, dann will ich diese Arbeitsform auch in ganz normalen Unternehmen. Dann sollen die Firmen die Arbeit so organisieren, dass sich die Leute kreativ entfalten können.
Internet-Plattformen bieten Menschen in Ländern wie Bangladesch neue Verdienstmöglichkeiten. Für Beschäftigte hierzulande bedeutet dies, dass sie direkt mit Menschen aus Asien um Jobs konkurrieren. Wie gehen Sie damit um?
Wir kämpfen in internationalen Gewerkschafts-Organisationen dafür, dass Konzerne die Menschen in Asien und anderswo nicht ausbeuten und zumindest die Standards der Internationalen Arbeitsorganisation einhalten. Aber das ist schwierig. In vielen Ländern gibt es so gut wie keine Gewerkschaftsrechte, eine Gegenwehr ist deshalb kaum zu organisieren. Wir haben als hiesige Gewerkschaften nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten. Hier muss sich politisch etwas ändern. Wir wollen die Möglichkeiten des Internets für unsere Zwecke nutzen – für gute Arbeit in der digitalen Welt.
Das Interview ist am 30. April 2015 in der „Berliner Zeitung“ erschienen. Es führte Eva Roth.
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