„Ich bin fest davon überzeugt: Eine andere, eine gute digitale Welt ist möglich!“, sagte Christiane Benner. „Und dazu gehört, dass wir die Rolle der Gestalter einnehmen. Wir müssen verhindern, zu Getriebenen zu werden.“ Vor rund 400 Engineering- und IT-Expertinnen und Experten aus über 150 Unternehmen verdeutlichte das geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall anlässlich der sechsten „Engineering- und IT-Tagung“ die Dringlichkeit, die digitale Arbeitswelt im Sinne der Beschäftigten zu gestalten. Bei verschiedensten Smartphone-Apps mit zweifelhaftem Nutzen, etwa zur Überwachung des eigenen Schlafs, könnten die Menschen noch selbst entscheiden, ob sie die Spielereien nutzen. „Aber in unseren Büros und Werkshallen haben wir keine Wahl: Die Digitalisierung der Arbeit hat uns inzwischen vollends erfasst“, gab Benner zu bedenken.
Gastgeber der Tagung, die die Hans Böckler Stiftung in Zusammenarbeit mit der IG Metall ausrichtet, ist in diesem Jahr die Adam Opel AG in Rüsselsheim. In deren altehrwürdiger Halle 1 im Werk K48 zeugten angeregte Diskussionen der Zuhörer davon, dass die Entwicklung rasant ist und die Worte Christiane Benners für viele Beschäftigte bei Weitem keine nebulöse Zukunftsmusik mehr sind. Damit sich die positiven Chancen durchsetzen und gute digitale Arbeit ermöglichen, forderte die Gewerkschafterin bestimmte Punkte in den Fokus zu rücken: In einer digitalisierten Arbeitswelt müssten alle die Chance auf Beschäftigung, Bildung und Entwicklungschancen haben. Faire Regeln und faire Bezahlung seien unabdingbar. Außerdem müsse über bloße Produkte hinausgedacht werden sowie die Möglichkeit gegeben sein, Arbeit und Leben miteinander vereinen zu können. Mehr dazu sowie die konkreten Forderungen auf Youtube:
Aufschreie, aber keine Lösungsansätze
„Die Frage ist: Kann es in dieser neuen digitalen Welt gute Arbeit überhaupt geben?“, fragte Benner. „Ich sage: aber klar!“ Natürlich hätte die IG Metall keine fertigen Antworten, wie die Zukunft der Arbeit aussehen wird – doch wer könne die schon vorlegen? „Mich treibt aber eines um“, fuhr Benner fort, „diese reflexartigen Aufschreie der Protagonisten des freien Internets, sobald Gewerkschaften nur über die Regulierung von Arbeit im Internet nachdenken.“ Lösungsansätze seien von dieser Seite nicht zu hören. Warum solle eine Tätigkeit, die digital über eine Crowdsourcing-Plattform verrichtet wird, nicht wie in einem Unternehmen mit Tarifvertrag und Betriebsrat bezahlt werden? Und warum solle kein Mindestentgelt für die Arbeit in der Crowd gelten?, fragte Benner, verantwortlich für die rund 180 000 Ingenieure, ITler und technischen Experten unter den Mitgliedern.
„Es ist doch legitim, dass wir uns Gedanken machen“, sagte Benner und stellte klar, dass beispielsweise mies bezahltes Crowdsourcing keine Privatsache ist, sondern sich auch massiv auf die Arbeitsbedingungen der Menschen in „echten“ Unternehmen auswirke. Etwa die Crowdworker auf Amazons Plattform „Mechanical Turk“ verdienen im Durchschnitt mickrige 1,25 Dollar pro Stunde. Durch solche Verhältnisse geraten auch reguläre Beschäftigungsverhältnisse unter Druck. „Wir wollen eine Demokratisierung und keine Amazonisierung der Arbeitswelt“, forderte Benner. Menschen seien keine Ware, die man per Mausklick in den Einkaufswagen legen dürfe. „Wirkliche Freiheit ist etwas anderes als dieses neoliberale Denken sogenannter Experten“, stellte Benner klar.
IG Metall wird sich Solo-Selbstständigen öffnen
„Für uns als IG Metall heißt das: Wir öffnen uns für Solo-Selbstständige.“ Zusammen mit den sogenannten Crowdsourcees wird die Gewerkschaft Strukturen schaffen, kündigte Benner an, um den einzelnen Netzarbeitern eine Stimme und damit Marktmacht zu geben. Seit einiger Zeit hat manche Crowdsourcing-Plattform das Internet durch „Knebel-AGBs“ quasi zu einem rechtsfreien Raum gemacht, in dem Arbeitnehmerrechte nicht stattfinden. „Ich nenne das unakzeptabel und schäbig! Das ist Ausbeutung 2.0“, stellte Benner klar.
Von allein, daran ließ Christiane Benner keinen Zweifel, werden sich die positiven Chancen der Digitalisierung nicht durchsetzen. Auch wenn die Gewerkschaft nicht alle Antworten auf alle Fragen der Digitalisierung habe – neu erfinden müsse sie sich keinesfalls. „Unser Schlüssel für bessere Arbeitsplätze ist auch heute noch gemeinsames Handeln“, sagte Benner. Was zudem nötig sei, seien neue Formen kollektiven Drucks: „Präsenz und Beteiligung, Solidarität und Stärke – in der virtuellen wie in der realen Welt.“
Durch Mitbestimmung die Selbstbestimmung stärken
Um diese Ziele zu erreichen, müsse die IG Metall mit den Themen in den Unternehmen noch präsenter werden und sich stärker in Forschung, Entwicklung und IT verankern. Die sechste „Engineering- und IT-Tagung“ sei hierzu ein weiterer Schritt. „Gemeinsam schaffen wir es, aus neuen Wertschöpfungsketten Wertschätzungsketten zu machen: Indem wir durch Mitbestimmung die Selbstbestimmung der Beschäftigten stärken.“
Hinweis: Die komplette Rede „Eine andere digitale Welt ist möglich! Leitlinien für gute digitale Arbeit“ findet sich in unserem Presseportal