PRESSEMITTEILUNG
Motiviert, aber ausgebremst: Mängel bei Ausbildung gefährden die Transformation

Studie: Belastetes Ausbildungspersonal kann seiner Schlüsselrolle immer weniger gerecht werden +++ IG Metall: Nachsitzen bei Qualifizierung und Digitalisierung nötig +++ Urban: „Kostenfixierung bei Ausbildung fährt den Wandel an die Wand.“

1. Juni 20221. 6. 2022


Frankfurt/Berlin – Ausbilder*innen in den Betrieben: Sie haben eine Schlüsselrolle, um Betriebe erfolgreich durch die Transformation zu bringen und die Fachkräfte der Zukunft fit zu machen. Doch sie fühlen sich von den Unternehmen bei Ausstattung, Zukunftsgestaltung und Qualifizierung häufig ausgebremst. Die Betriebe drohen, das wertvolle Potenzial der dualen Berufsausbildung im Wandel zu verspielen. Davor warnt eine neue Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) für die IG Metall in Industrie und Handwerk.

Dr. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall: „Das Ausbildungspersonal ist motiviert, wird aber von den Unternehmen ausgebremst. Viele Betriebe sehen die Ausbildung nur als Kostenfaktor. Damit aber fährt der wirtschaftliche, soziale und ökologische Wandel an die Wand.“ Nötig sei ein betriebswirtschaftlicher Perspektivwechsel: Nur wer in das Ausbildungspersonal und damit die Ausbildung junger Menschen investiere, mache Unternehmen fit für die Zukunft. „Gute Ausbildung ist der Ausgangspunkt für gute Arbeit“, sagte Urban.

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, Studienautorin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg: „Die Anforderungen steigen, die Bedingungen werden schlechter und die Mitsprache bei Zukunftsthemen fehlt: Darunter leiden Ausbildungsqualität, Auszubildende und die Attraktivität des Berufsbildungssystems – und letztlich die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.“

Belastung kostet Ausbildungsqualität

Persönliche Belastungen des Ausbildungspersonals verringern die Qualität der Ausbildung: Mehr als jede*r Zweite (54 %) ist widersprüchlichen Anforderungen der Unternehmen mit Blick auf die Aufgabe als Ausbilder*in und der gewöhnlichen Arbeit ausgesetzt. Das bedeutet für die überwiegende Mehrheit: Mehrarbeit und Überstunden (59 %), Stress (70 %) sowie eine höhere Arbeitsintensität (86 %). Die gravierende Folge: Fast die Hälfte (45 %) muss Abstriche bei der Qualität der Ausbildung machen.

Das Ausbildungspersonal erfährt von 96 Prozent der Auszubildenden Wertschätzung, vom Betrieb hingegen nur zu 70 Prozent. Während die Bezahlung von hauptamtlichen Ausbilder*innen tariflich geregelt ist, ist die zusätzliche Tätigkeit für 89 Prozent der ausbildenden Fachkräfte allerdings ehrenamtliches Engagement: Sie erhalten keine zusätzliche Vergütung, wenngleich sich 85 Prozent aller Ausbildenden für die Kolleg*innen eine finanzielle Honorierung wünschen.

Kaum Infos und Mitsprache beim Wandel im Betrieb

Gleichzeitig sind Ausbilder*innen bei wichtigen Entwicklungen außen vor, obwohl sie mit der Qualifizierung der zukünftigen Fachkräfte die Weichen für die Unternehmen stellen: Die Hälfte der Befragten wird von den Unternehmen im Unklaren gelassen, was betriebliche Veränderungsprozesse und Planungen angeht. Ebenfalls 49 Prozent der Ausbilder*innen werden von den Betrieben bei Veränderungsprozessen nicht mit einbezogen. Dementsprechend beklagt die Hälfte des Ausbildungspersonals (50 %), dass das Thema Ausbildung beim Management kein Gewicht hat.

Nachsitzen im Fach Digitalisierung nötig

74 Prozent der Befragten zufolge sind die Unternehmen finanziell gut ausgestattet für eine bessere digitale Ausbildung. Gleichzeitig sehen sie große Mängel in Ausstattung (35 %), Personal (43 %) und bei der Motivation der Betriebe für eine Digitalisierung der Ausbildung (32 %).

Mehr als die Hälfte (57 %) der Ausbilder*innen sagt, dass sie maßgeblich zur digitalen Transformation in den Betrieben beitragen (können). Dennoch vernachlässigt es mehr als jeder dritte Betrieb (38 %), die Kenntnis über neue Maschinen oder Produktionstechniken systematisch in die Ausbildung zu integrieren.

Dr. Hans-Jürgen Urban: „Unternehmen müssen nachsitzen: für mehr und bessere digitale Ausstattung und Kompetenzen des Ausbildungspersonals. Hierfür hilft es, mehr Geld für digitale Infrastruktur in die Hand zu nehmen. Besonders gilt es aber, ausreichend Zeit und Raum für die nötige Qualifizierung des Ausbildungspersonals zur Verfügung zu stellen.“

Zu wenig Ressourcen gefährden Ausbildung der Ausbilder

Die Weiterbildung der Ausbilder*innen ist zentral, um sie für die anstehenden Herausforderungen zu qualifizieren. Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen hat jedoch keine betrieblichen Regelungen zu regelmäßiger Weiterbildung des Ausbildungspersonals (67 %), Kostenübernahmen (55 %) oder Freistellungen (52 %).

Ausbilder*innen empfinden sich oft zu wenig vorbereitet für ihre Aufgabe: Allein im pädagogischen Bereich sehen 86 Prozent zunehmende Anforderungen. Jede*r Dritte (35 %) fühlt sich pädagogisch heute unzureichend gerüstet.

Die IG Metall fordert deshalb, den Standard für berufspädagogische Basisqualifikationen, die Ausbildereignungsverordnung, zu modernisieren. Zudem solle eine neue Fortbildung für Lernprozessbegleiter*innen geschaffen werden.

Bundesweit sind 643.000 Ausbilderinnen und Ausbilder registriert. Darüber hinaus sind ein Vielfaches mehr an Beschäftigten als ausbildende Fachkräfte mit der Ausbildung betraut. Für die repräsentative Studie befragte die FAU 1.004 Ausbilder*innen sowie ausbildende Fachkräfte in der Metall- und Elektro- sowie der Textilbranche mit Onlinebefragungen und Tiefeninterviews.

Vollständige Studie  

Working Paper: MOTIVIERT, ABER AUSGEBREMST

Präsentation: Ausbildungspersonal im Fokus

 

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