11. Mai 2015
Autohäuser und Werkstätten: Mit Tarifvertrag fahren alle besser
Tarifflucht – grobes Foul gegen die Beschäftigten
Sie wird löchriger: Die Tariflandkarte im Kraftfahrzeuggewerbe gleicht zunehmend einem Schweizer Käse. Die Folgen: Obwohl es den meisten Kfz-Betrieben gut geht und die Beschäftigten Gewinne erarbeiten, bleiben für sie ohne Tarifvertrag oft nur Peanuts. Doch langsam wendet sich das Blatt wieder.

Die IG Metall verhandelt zurzeit für die Beschäftigten im Kfz-Handwerk. Heute gehen die Verhandlungen in Baden-Württemberg in die zweite Runde – flankiert von ersten Warnstreiks. Denn die Angebote der tarifgebundenen Arbeitgeber waren bisher äußerst dürftig. Die IG Metall fordert ein Plus von 5,5 Prozent.

In der aktuellen Kfz-Tarifrunde geht es der IG Metall jedoch nicht nur ums Geld: Sie will auch gegen Lohndumping durch Tarifflucht und gegen das Strukturchaos auf der Arbeitgeberseite vorgehen. Denn Chaos und Tarifflucht erschweren das Aushandeln von guten Tarifverträgen zunehmend.

Die Tariflandschaft im Kraftfahrzeuggewerbe gleicht mehr und mehr einem Schweizer Käse: Immer weniger Betriebe sind Mitglied in einer Tarifgemeinschaft oder Kfz-Innung – wie etwa im Osten. Aktuell plant dort Daimler seine Autohäuser zu verkaufen. Die 1500 Beschäftigten der 20 ostdeutschen konzerneigenen Autohäuser verstehen die Welt nicht mehr: Obwohl sie seit Jahren Gewinne erarbeiten, will der Autobauer die Mercedes-Benz-Vertriebsgesellschaft (MBVG) verkaufen. Die Beschäftigten wehren sich und kämpfen mit Warnstreiks und Aktionen nicht nur um ihre Arbeitsplätze, sondern auch um die Garantie der tariflichen Standards.

In Niedersachsen dagegen gibt es gleich zwei konkurrierende Arbeitgeberverbände, mit denen die IG Metall parallel in der Kfz-Tarifrunde verhandelt. Und in Nordrhein-Westfalen verhandelt die Innung gar nicht mehr mit der IG Metall.


Hickhack bei den NRW-Arbeitgebern

„Bei uns ist der Kunde König und der Arbeitnehmer Bettelmann“, sagt Siegfried Wenisch. Nach diesem Leitbild versuchten viele Autohäuser hinter ihren schicken Glasfronten und polierten Luxuskarossen Tarife zu umgehen und Löhne zu drücken. Wenisch ist Betriebsrat in der Mercedes-Niederlassung in Köln. Das Autohaus gehört zu den tarifgebundenen Kfz-Betrieben in Nordrhein-Westfalen.

Wie bei Mercedes in Köln schloss die IG Metall in zahlreichen Werkstätten Haustarifverträge ab, nachdem die nordrhein-westfälische Kfz-Innung der IG Metall die Tarifpartnerschaft 2008 gekündigt hatte. Gleichzeitig suchte die IG Metall einen neuen Tarifpartner und versuchte ihr Glück mit der Tarifgemeinschaft der Kfz-Arbeitgeber. Diese Partnerschaft währte jedoch nur von kurzer Dauer. Mitte 2013 verweigerte die Arbeitgebergemeinschaft mit der IG Metall jegliche Verhandlung.

Um wieder eine verlässliche Tarifbasis herzustellen und für die Kfz-Beschäftigten faire Tarifverträge aushandeln zu können, vereinbarte die IG Metall 2014 mit der Fachgruppe Kfz-Dienstleistungen im Arbeitgeberverband Metall ein Tarifabkommen, dem zunächst die Niederlassungen der Autohersteller BMW und Daimler beitraten. Über diesen Weg versucht die IG Metall in NRW, weitere Werkstätten und Autohäuser mit ins Boot zu holen.


Schwindende Tarifbindung verschärft Lohnungleichheit

Tarifflucht ist heute nicht mehr nur im Handwerk, sondern in allen Branchen ein Problem. Der Anteil der Unternehmen in Deutschland, für deren Beschäftigte ein Tarifvertrag verbindlich gilt, hat sich seit Mitte der 1990er Jahre von 60 auf 35 Prozent erheblich verringert. Das hat die arbeitgebernahe Bertelsmann-Stiftung in einer aktuellen Studie herausgefunden. Durch die schwindende Tarifbindung klaffe in Deutschland die Lohnschere immer weiter auseinander und führe zu einer sich weiter verschärfenden Lohnungleichheit, offenbart die Studie.

Handwerksfirmen nutzen dabei gerne auch die Fluchthilfe, die ihnen ihre Verbände und Innungen mit „Mitgliedschaften ohne Tarifbindung“ (OT) anbieten. Eine solche Praxis ist sogar rechtswidrig, konstatiert ein Gutachten im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Hans-Böckler-Stiftung.

Um Stammbelegschaften abzubauen, Tarife zu umgehen und Löhne zu drücken, nutzen neuerdings große Industriebetriebe Dienstleister oder Werkverträge als beliebte Fluchtwege. Selbst in Kernbereichen sinkt die Tarifbindung – mit der Folge, dass es immer mehr Beschäftige erster, zweiter und dritter Klasse gibt.


Mit Tarifvertrag fährt sich’s besser

Doch allmählich beginnt das Blatt sich zu wenden. Belegschaften wehren sich, wählen Betriebsräte, wo noch keine sind und erstreiten Tarifverträge – sowohl im Osten, im Norden oder auch in Süddeutschland: So gelten seit Anfang 2014 bei Porsche Inter Auto (PIA) und Schwaba in Weilheim die Tarifverträge des bayerischen Kraftfahrzeughandwerks. Vorher sah es für die Beschäftigten bei Entgelt, Arbeitszeit und Urlaub schlechter aus. „Der Durchbruch war nur möglich, weil es einen starken Rückenwind von den Mitgliedern gab“, sagt Monika Bauer, Betriebsrätin bei PIA Auto & Service in Weilheim.

Auch Thomas Jagmann und seine Kolleginnen und Kollegen konnten „einen echten Durchbruch“ erreichen. Thomas Jagmann ist Betriebsrat der Volkswagen Group Retail (VGRD) in Leipzig. Zur VGRD gehören 30 Autohandelsgesellschaften mit 109 Standorten – verteilt über ganz Deutschland. Als Volkswagen das Autohaus in Leipzig kaufte, verdienten dort die Mitarbeiter im Schnitt 1000 Euro weniger, hatten keinen Betriebsrat und keinen Tarifvertrag. Dann organisierten sich die Beschäftigten in Leipzig und in anderen Autohäusern der VGRD und setzten schrittweise Verbesserungen durch – bis hin zu einem Tarifvertrag mit einheitlichen Standards für alle Standorte. Zudem wählten die Beschäftigten überall Betriebsräte.

Monika Bauer und Thomas Jagmann haben mit ihren Kolleginnen und Kollegen gezeigt, dass Beschäftigte tariffreie Zonen und grobe Arbeitgeberfouls nicht hinnehmen müssen. „Einige sagen schon: Wir haben alles erreicht. Wozu noch die IG Metall? Das ist naiv. Wir müssen stets dranbleiben.“


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