„Guten Tag“, sagt Jost Bartholomäus. „Ich komme von der IG Metall und habe Informationen zur Betriebsratswahl bei Enercon.“ Bartholomäus ist Vertrauensmann bei Volkswagen in Hannover. Gemeinsam mit einem Dutzend seiner Kolleginnen und Kollegen unterstützt er die Betriebsratswahlen beim Windkraftanlagenhersteller Enercon. Dazu machen sie auch Hausbesuche bei den Enercon-Beschäftigten. „Ach, Sie wollen zu meinem Sohn“, antwortet der ältere Herr im Vorgarten des Zweifamilienhauses. „Kommen Sie rein.“ Der Sohn, ein junger Mann Mitte Zwanzig tritt aus dem Haus. Er schaut etwas skeptisch. Doch als er hört, was der Zwei-Meter-Mann zu sagen hat, werden seine Gesichtszüge freundlicher. Ja, Betriebsratswahlen, die seien unter seinen Kollegen schon lange ein Thema, aber bislang hat sich noch niemand so recht getraut, welche in die Wege zu leiten.
Enercon-Beschäftigte wollen endlich mitbestimmen
Kurzfristig angeordnete Wochenendarbeit, fehlende Absaugvorrichtungen beim Schweißen, Benachteiligung von Leiharbeitern und eine Unternehmenskultur, in der Entscheidungen von oben herab über die Köpfe der Beschäftigten getroffen werden: Darüber berichteten Kolleginnen und Kollegen des Windkraftanlagenherstellers Enercon immer wieder. In zahlreichen Tochterunternehmen des Branchenführers in Deutschland mit seinen 13 000 Beschäftigten gibt es bislang weder Mitbestimmung noch gewerkschaftliche Strukturen.
Um das zu ändern, veranstaltete die IG Metall Anfang April einen „Organizing-Blitz“ rund um Magdeburg und Aurich, die Hauptproduktionsstandorte von Enercon. Dutzende freiwilliger Helferinnen und Helfer, Betriebsräte, Metaller, Kolleginnen und Kollegen aus Schwestergewerkschaften und Aktivisten sozialer Bewegungen verteilten Flugblätter vor Betriebstoren, besuchten Enercon-Beschäftigte und führten innerhalb von zwei Wochen Tausende Gespräche.
Hier, in Magdeburg, prallen Welten aufeinander: Bartholomäus, der gestandene Gewerkschafter aus einem niedersächsischen Großbetrieb, aus dem Mitbestimmung nicht wegzudenken ist – und der junge Arbeiter aus Sachsen-Anhalt, der in einer gewerkschafts- und mitbestimmungsfeindlichen Umgebung Angst hat, seinen Job zu verlieren, wenn herauskommt, dass er Sympathien für die IG Metall hegt. Ja, Mitbestimmung wäre eine gute Sache, sagt er leise, als könnte ihn jemand belauschen. Etwa in Sachen Arbeitsschutz oder Samstagsarbeit, die bei Auftragsspitzen oft kurzfristig angeordnet wird. „Mehrarbeit gibt es bei uns auch“, erwidert Bartholomäus. „Aber wir haben das geregelt, so dass es für die Kolleginnen und Kollegen besser planbar ist und es sie in ihrer Freizeit- und Familienplanung nicht so sehr einschränkt.“ Der junge Mann nickt bedächtig. „Und wenn ihr zusammenhaltet“, sagt der VW-Mann, „könnt ihr das auch schaffen.“
„Gemeinsam organisieren, um Dinge zu verbessern“
Bartholomäus ist nicht der einzige VW-ler, der sich in diesen Tagen für Mitbestimmung bei Enercon einsetzt. Knapp ein Dutzend Vertrauensleute und Mitglieder der Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) von VW Nutzfahrzeuge in Hannover beteiligten sich am „Blitz“, begleitet von Gewerkschaftssekretären der IG Metall Hannover.
„Wir haben sofort gesagt: Das ist eine coole Sache – die unterstützen wir“, berichtet die VW-Jugendvertreterin Lara Heilemann, 22. „Die Leute bei Enercon haben keine Tarifverträge, keine Betriebsräte. Es ist keine Lösung zu sagen: ’Wir bei VW sind gut organisiert, was kümmert uns der Rest’. Wir müssen uns gemeinsam organisieren, um die Dinge zu verbessern.“
Natürlich waren nicht alle Gespräche einfach. Dennoch: „Es gibt hier nicht nur Leute, die den Kopf hängen lassen, sondern auch Kollegen, die sich engagieren, und die muss man unterstützen“, erklärt Jugendvertreterin Ornela Durmic, 25. Ihr Wunsch: „Wir brauchen mehr Leute, die zu solchen Aktionen kommen.“
Bei Deutschlands größtem Windkraftanlagenhersteller rollt indessen der Zug in Richtung Mitbestimmung: In zahlreichen Tochterfirmen konnten im April Betriebsratswahlen eingeleitet werden, viele Beschäftigte traten der IG Metall bei und kandidieren auf den Wahllisten. Bereits im Herbst waren in neun Enercon-Servicegesellschaften erstmals Betriebsräte gewählt worden. Auch diesen Schritt hatte die IG Metall mit einem „Organizing-Blitz“ unterstützt. Auch damals waren ehrenamtliche Aktive aus anderen Betrieben dabei, um den Enercon-Beschäftigten den Rücken zu stärken.