Daimler legt regelmäßig ausführliche Berichte vor. Allein der Report zur Chancengleichheit umfasst über 90 Seiten. Dabei rühmt sich das Unternehmen, dass der Anteil der Männer in Elternzeit ständig steigt. Auch beim Frauenanteil in Führungspositionen sieht sich der Stuttgarter Autobauer mit zehn Prozent weit vorn. Frauen fürs Management zu gewinnen, ist in Zielvereinbarungen festgelegt und bonusrelevant. Wenn der Betriebsrat allerdings exakte Zahlen zu Effektiventgelten braucht und wie sich diese auf Männer und Frauen verteilen, um feststellen zu können, ob Frauen tatsächlich erhalten, was sie verdienen – dann tut sich der Konzern schwer.
„Na Mädle“, begrüßt der Kollege die junge Frau in der Produktion, „machst du hier einen Ferienjob?“ Die schüttelt den Kopf: „Nein, ich bin deine neue Chefin.“ Sie ist eine von fünf Meisterinnen im ganzen Werk. Zwar haben viel mehr junge Frauen bei Mercedes in Sindelfingen einen Meisterbrief in der Tasche, aber längst keine Meisterstelle. Warum das so ist, haben die Betriebsrätinnen beim Meisterinnen-Workshop versucht herauszufinden: Zum einen sind die Arbeitszeiten von Meistern nicht familienfreundlich. Ein Meister hat oft schon um 5.30 Uhr, also eine halbe Stunde vor Schichtbeginn zur Besprechung am Arbeitsplatz zu sein. Zum anderen müssen sich die Frauen in einer Männerwelt behaupten und als einzige Frau ein reines Männerteam führen. Was fehlt, sind Vorbilder. Das ist nicht nur in Sindelfingen so, sondern im gesamten Unternehmen: Von mehr als 3 300 Meisterposten sind lediglich 52 von Frauen besetzt.
Wie in anderen Automobilunternehmen gibt es auch im Mercedes-Werk so genannte Zielkorridore, um den Frauenanteil zu erhöhen. „Aber die Ziele werden leider nicht immer erreicht“, sagt Monika Tielsch, die im Betriebsrat bereichsübergreifend für die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Gleichstellung zuständig ist. Das gilt besonders in der Produktion. Gerade in den gewerblich-technischen Bereichen fehlt es an einer Lobby für Frauen, die weder bei der Karriere noch beim Entgelt abgehängt werden wollen.
Einen drastischen Fall hat Monika Tielsch erst über die Jugend- und Auszubildendenvertretung erfahren: Die baden-württembergische Landessiegerin in der Fahrzeuginnenausstattung wurde zwar von ihrem Ausbildungsleiter gefördert und auch für ihre Leistungen ausgezeichnet. Nach ihrer Ausbildung wurde sie allerdings in die Produktion geschickt. Erst nachdem sich Monika Tielsch eingeschaltet hatte, ist die junge Frau in den Forschungs- und Entwicklungsbereich versetzt worden und hat damit bessere Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln und auch höhere Entgeltstufen zu erreichen, als das in der Produktion möglich wäre.
Oft sind es solche Einzelbeispiele, aus denen Monika Tielsch ablesen kann, dass Frauen der Weg zu höherem Entgelt im gewerblich-technischen Bereich versperrt bleibt. Was ihr und der Projektgruppe Frauen beim Gesamtbetriebsrat noch fehlt, ist die Möglichkeit, Erwerbsverläufe von jungen Frauen und Männern zu vergleichen, um dem Unternehmen beweisen zu können, was sie vermutet: Dass in den höheren Entgeltstufen in der Produktion und in den Fachwerkstätten wenig oder keine Frauen zu finden sind.
Ein großes Problem sind die familienunfreundlichen Arbeitszeiten im Schichtbetrieb. Kehrt eine Frau aus der Elternzeit zurück in den Beruf, hat sie allenfalls die Möglichkeit, zwischen Dauer-Frühschicht und Job-Sharing zu wählen, wobei sich zwei Leute einen Arbeitsplatz teilen. Der Haken: Die Frühschicht beginnt um 6 Uhr, was für viele Daimler-Beschäftigte, die im Umkreis von bis zu fast 200 Kilometern wohnen, bedeutet, um 3 oder 4 Uhr aufzustehen, um rechtzeitig den Bus zu erwischen, der die Beschäftigten ins Werk bringt. Das ist mit keiner noch so flexiblen Kindertagesstätte vereinbar und auch nicht mit der Daimler-eignen Kinderkrippe „Sternchen“.
Und selbst Teilzeit zu arbeiten, ist für Frauen in der Produktion schwierig. Wie oft Monika Tielsch auch schon nachgehakt hat, immer heißt es, dass eine tägliche Arbeitszeitverkürzung in der Produktion nicht möglich sei. So bleibt den Frauen nichts anderes übrig, als beispielsweise drei Tage voll zu arbeiten und für diese Zeit eine individuelle Lösung für die Kinderbetreuung zu finden. „Es ist ein richtig großes Problem für die Frauen in der Produktion, Familie und Beruf zu vereinbaren.“ Richtig zuständig fühlt sich da keiner, denn der Frauenanteil von einst zehn ist auf 7,6 Prozent geschrumpft. In der Wirtschaftskrise haben sich zahlreiche Frauen in Elternzeit und in den unteren Entgeltgruppen abfinden lassen.
Anders sieht das bei weiblichen Führungskräften aus. Seit 2001 hat sich Daimler zum Ziel gesetzt, den Frauenanteil an den verschiedenen Beschäftigtengruppen ständig zu erhöhen. Der Vorstand hat außerdem im Rahmen der Flexi-Quoten-Debatte das Ziel ausgegeben, bis 2020 den Anteil der Frauen an den Leitenden Führungspositionen von derzeit knapp elf auf 20 Prozent zu steigern. Dafür gibt es Diversity-Workshops für die Manager des Konzerns, Mentorenprogramme, Netzwerke für weibliche Nachwuchstalente und flexible Arbeitszeitmodelle. Auch die Kinderkrippe Sternchen für acht Wochen bis drei Jahre alte Kinder soll noch in diesem Jahr auf rund 570 Plätze an elf Standorten ausgebaut werden.
Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch bei den Akademikerinnen von Gleichstellung nicht die Rede sein kann. Von 853 Teamleitern in der Forschung und Entwicklung sind nur 4,4 Prozent weiblich. In zwei und drei Entgeltstufen darunter ist der Frauenanteil jedoch doppelt so hoch. Was Monika Tielsch vermuten lässt, dass die Frauen langsamer hochgestuft werden als Männer oder als berufserfahrene, externe Einsteigerinnen mit einem geringeren Gehalt eingestellt werden.
Was fehlt, sind exakte Zahlen zu den Effektivgehältern von Männern und Frauen, in Teil- und Vollzeit mitsamt sämtlichen Zulagen. Erst dann kann Monika Tielsch nachprüfen, ob Frauen richtig bezahlt sind und ob die Männer im Laufe des Erwerbslebens an den Frauen vorbeiziehen. „Die Zahlen werden wir jetzt einfordern.“