Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Telearbeit, Videokonferenzen, Smartphone und Laptops ermöglichen vielen Beschäftigten ein Höchstmaß an Flexibilität und Erreichbarkeit. Überstunden schieben und schnell mal einspringen, wenn Kollegen krank sind, gehört vielerorts dazu. Wechselnde Arbeitsorte und lange Anfahrtswege zur Arbeit fordern Beschäftigten viel ab. Sie müssen schnell reagieren, sich rasch auf neue Anforderungen einstellen und immer mehr leisten.
Alarmierender Befund
Doch die zeitliche und räumliche Flexibilisierung in der Arbeitswelt bringt die Beschäftigten an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Was das konkret heißt, ist im neuen Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts der AOK nachzulesen, der die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von 10,8 Millionen erwerbstätiger AOK-Mitglieder auswertet.
Der Fehlzeiten-Report 2012 kommt zu einem alarmierenden Befund: 20 Prozent der Befragten berichten von Erschöpfung und dem Problem, in der Freizeit nicht abschalten zu können. Sie klagen über Kopfschmerzen (13,5 Prozent) und Niedergeschlagenheit (11,3 Prozent). Jeder zweite Beschäftigte hat mit seinem Arbeitgeber eine Absprache getroffen, auch außerhalb der regulären Arbeitszeit erreichbar zu sein – mit weitreichenden Konsequenzen für die Gesundheit.
Regulierte Flexibilität
Die Entgrenzung von Arbeit und Freizeit schlägt den Menschen auf Leib und Seele. Wer private Aktivitäten wegen des Jobs verschieben muss, wer an Sonn- und Feiertagen arbeitet oder oft Überstunden schieben muss, leidet signifikant häufiger an psychischen Beschwerden. Leistungsverdichtung und prekäre Arbeitsverhältnisse mit Existenznöten und hohen Gesundheitsrisiken tun ein übriges, den Psychostress zu verstärken. Die AOK-Daten belegen, dass die Anzahl der Versicherten, die aufgrund einer psychischen Erkrankung in Behandlung sind, von 2004 bis 20011 um 40 Prozent gestiegen ist.
Die Faktenlage lässt eigentlich nur einen Schluss zu: Der Wandel der Arbeitswelt muss aktiv im Sinne der Beschäftigten gestaltet werden. Der Flexibilität müssen Schranken gesetzt werden durch verbindliche Vereinbarungen zu Arbeitszeit und -ort. Die IG Metall fordert daher eine „regulierte Flexibilität“, die sich am Leitbild „Gute Arbeit“ orientiert. Statt der vorherrschenden „prekären Flexibilität“ weiter Tür und Tor zu öffnen, sind Schutzregelungen bei psychischer Belastung in der Arbeit notwendig.
Anti-Stress-Verordnung
Die IG Metall hat deshalb eine Initiative zum Schließen der Schutzlücke im Arbeitsrecht gestartet. Sie fordert eine so genannte „Anti-Stress-Verordnung“, die vor ständiger Überforderung und Psychostress in der Arbeitswelt wirksam schützen soll. Eine „Anti-Stress-Verordnung“ soll das Arbeitsschutzgesetz mit konkreten Regelungen auch zum Zweck der Prävention sinnvoll unterfüttern. Der Gesetzgeber ist jetzt gefordert. Denn die Probleme sind zu komplex, als sie allein den Betriebsräten zu überantworten.