Arbeitszeitsouveränität und Eigenverantwortung – beim Automobil-Dienstleister IAV bedeutet das in erster Linie prall gefüllte Arbeitszeitkonten und Belastung bis zur Schmerzgrenze. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Beschäftigten: Privates bleibt auf der Strecke, die Gesundheitsbelastung steigt. Der Gesamtbetriebsrat des in erster Linie im Automotive Engineering tätigen Unternehmen hat sich dem Problem gestellt. Mit Erfolg. Das Projekt „Arbeiten an der Belastungsgrenze – Gesundheitsschutz und interessierte Selbstgefährdung“ kommt bei der Belegschaft gut an.
„Mehrarbeit ist ein typisches Problem für unsere Branche“, meint Mirko Lukas, bis 2010 Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Besonders in den Entwicklungszentren in Berlin, Chemnitz – und in Gifhorn. Hier arbeiten ca. 2700 Menschen. Durch den überdurchschnittlich hohen Anteil an Hochqualifizierten ist die Identifikation mit der eigenen Arbeit sehr hoch. Hohe Einsatzbereitschaft bis hin zur Selbstausbeutung gehört hier für viele einfach dazu. Hier setzen die Betriebsräte bei der IAV GmbH an. Arbeit darf nicht die Gesundheit der Mitarbeiter gefährden: „Wir wollen hier ein Bewusstsein schaffen und einen Anstoß für die Kolleginnen und Kollegen geben, sich mit ihrer Einstellung zur Arbeit und möglicher Überarbeitung und deren Folgen auseinanderzusetzen“, erklärt Lukas die Idee.
Die Gefahr dabei: Schnell macht der Arbeitgeber Probleme des Unternehmens zu Problemen der Mitarbeiter. Mögliche persönliche Folgen werden dabei selten berücksichtigt. So verlagert sich der Konflikt vom Arbeitgeber auf den Betriebsrat. Es ist keine einfache Aufgabe für den Betriebsrat, hier einzugreifen. Fingerspitzengefühl ist gefragt: „Wo liegen den eigentlich die eigenen Interessen. Unsere Antwort auf diese Frage den Kolleginnen und Kollegen näherzubringen, war die besondere Herausforderung an dieses Projekt“, beschriebt Mirko Lukas die Ausgangssituation.
Kompetenzen schaffen
Um andere zu überzeugen sind die eigenen Kompetenzen entscheidend. Genau hier hat der Betriebsrat von IAV angesetzt, hier sollen gute Grundlagen geschaffen werden. Mit Dr. Klaus Peters vom Berliner Institut für Autonomieforschung hat man sich einen Experten ins Boot geholt. Das Institut beschäftigt sich seit Jahren mit neuen Organisationsformen in Unternehmen. So werden im Konzept zur „Interessierten Selbstgefährdung“ konkrete Vorschläge für eine betriebliche Gesundheitsförderung gemacht, die den Herausforderungen einer neuer Arbeitsgestaltung gerecht werden können. Als Teil des Projekts werden die Betriebsräte aus allen Standorten von IAV jetzt einmal im Jahr zu diesem Thema geschult. Die Betriebsräte haben die Seminare gerne angenommen: „Ein ziemlicher Erfolg“, so Lukas.
Die Belegschaft informieren und sensibilisieren
Der nächste und entscheidende Schritt: die Kolleginnen und Kollegen informieren und überzeugen. Zuerst Ende 2011auf den Betriebsversammlungen in Giffhorn und Chemnitz, die Standorte in München und Berlin folgten im Frühjahr 2012. Schon der erste Auftritt hat den Erfolg gebracht: „Nach unserer Einschätzung ist die Anzahl der Mehrarbeitsanträge um mindestens ein Viertel weniger geworden. Ein deutlicher Rückgang“, freut sich der ehemalige Betriebsratsvorsitzende.
Ansporn genug. Weitere Maßnahmen sind schon geplant. Als nächstes werden Geschäftsführung, Management und später weitere Führungskräfte einbezogen. Auf Workshops sollen auch sie von der Notwendigkeit sich mit Arbeiten an der Belastungsgrenze, Gesundheitsschutz und „interessierter Selbstgefährdung“ auseinanderzusetzen, überzeugt werden.