Eines ist klar: Die industrielle Arbeit wird sich rasant verändern – inhaltlich, aber auch in der Gestaltung von Arbeit und Arbeitsplätzen sowie im Verhältnis von
Beruf und Freizeit. Der „Economist“ hat im Frühjahr die Studie von Carl Frey „Die Zukunft der Beschäftigung“ veröffentlicht, laut der 47 Prozent aller Berufe vom Aussterben bedroht sind, weil Algorithmen und Roboter die Arbeit besser, schneller, günstiger erledigen. Wird der Mensch in der „smarten Fabrik“ überflüssig?
Wird der Mensch in der „smarten Fabrik“ überflüssig?
Ich sage: Nein. Erstens kann man nicht genau abschätzen, ob und in welcher Form Unternehmen Zukunftstechnologien umsetzen werden. Zweitens bedroht arbeitssparender technischer Fortschritt kurzfristig Beschäftigung, mittelfristig ermöglicht er aber Wachstum, das Ausgleich schafft. So erwartet das Fraunhofer-Institut durch Industrie 4.0 allein im Maschinen- und Anlagenbau 23 Milliarden Euro zusätzliches Wertschöpfungspotenzial.
Die Bedrohung liegt in der Dynamik der massiven Veränderungen in den Wertschöpfungsketten und Qualifikationsanforderungen. Hier liegt die Herausforderung, wenn Beschäftigteninteressen nicht unter die Räder kommen sollen. Die Industrie 4.0 soll die Wettbewerbsfähigkeit stärken, darf aber nicht zu Ungleichheit und Unsicherheit der Beschäftigten beitragen. Das „Modell Deutschland“ kann trotz des bisherigen Erfolgs nicht einfach so bleiben, wie es ist. Anknüpfend an vorhandene Stärken – geschlossene Wertschöpfungsketten, qualifizierte Arbeitnehmer, soziale Stabilität durch Mitbestimmung und Tarifautonomie – müssen neue Spielregeln für digitale Arbeitswelten gefunden werden.
Im Mittelpunkt: der handelnde und gestaltende Mensch
Wir brauchen einen Neustart in arbeitspolitischer Perspektive. Gefragt ist eine neue Humanisierungspolitik, deren Ziel eine Arbeitswelt ist, in der der Homo Faber – der handelnde und gestaltende Mensch – im Mittelpunkt steht. Er steuert die Systeme. Er erhält umfassende Weiterbildungsmöglichkeiten – etwa im Hinblick auf Software- und IT-Kenntnisse. Er erfährt Unterstützung – und nicht Delegation seiner Fähigkeiten – durch technische Assistenz, vor allem bei belastenden Routinetätigkeiten. Dies kann auch eine Antwort auf das Demografieproblem sein.
Die Industrie 4.0 ist mehr als das Internet der Dinge, sie gestaltet Arbeitswirklichkeiten der Zukunft. Daraus folgt auch: Die alte Frage der Technikgestaltung ist neu zu stellen: Ingenieursfantasie braucht soziale Erdung. Technik ist nicht vorbestimmt, und weil das so ist, muss sie im menschlichen Maß erforscht und erprobt werden. Dieses Maß zu finden verlangt den Dialog mit Gewerkschaften und Betriebsräten.
Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, erreichbar unter: gastautor@handelsblatt.com