Jörg Hofmann: Es kommt nun keiner mehr um eine Debatte herum, das sehe ich positiv. Industrie und Politik sehen, dass es so nicht weitergehen kann. Dass es ohne neue Mobilitätskonzepte und alternative Antriebe keine Zukunft gibt.
Kommt die Debatte um Schadstoffausstoß nicht zu spät?
Bei der IG Metall haben wir schon vor 25 Jahren über die Notwendigkeit neuer Mobilitätskonzepte gesprochen. Damit haben wir aber kein Gehör gefunden. Auch heute sind wir die Mahner und laufen gegen eine Ignoranz in Teilen der Industrie an. Auch die Politik ist momentan gut darin, den schwarzen Peter hin und her zu schieben. Die Konsequenzen ihres eigenen Handelns will sie aber nicht tragen.
Der Politik wird oft Kumpanei mit der Autoindustrie vorgeworfen. Sehen Sie das auch so?
Ich würde es nicht Kumpanei nennen. Aber Tatsache ist, dass die hohen Stickoxidwerte Ergebnisse eines Zulassungsverfahrens sind, das vom Kraftfahrtbundesamt abgesegnet wurde und für das Ministerien die Verantwortung tragen. Ich meine dabei nicht die Fahrzeuge, bei denen die Hersteller betrogen haben, sondern die große Masse, die ganz legal zugelassen wurde.
Als IG-Metall-Chef sitzen Sie derzeit aber auch zwischen den Stühlen: Sie üben Kritik an den deutschen Autokonzernen, gleichzeitig sind Ihre Mitglieder vom Wohlergehen der Unternehmen abhängig. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Natürlich sind wir an den Perspektiven der Beschäftigten interessiert. Unsere 2,3 Millionen Mitglieder sind aber auch genauso Bürger, die eine saubere Umwelt haben wollen. Wir brauchen eine Balance zwischen Beschäftigungsperspektiven und Umweltschutz.
Aber das sind zwei Punkte, die sich gegenüberstehen.
Woher hat denn die deutsche Automobilindustrie ihre jetzige Innovationskraft? Auch dadurch, dass es weltweit Regularien zur Schadstoffemissionen gibt. Bei den Innovationen geht es nicht immer nur um höher, größer, schneller, sondern auch um weniger Kraftstoffverbrauch und weniger Emissionen. Das geht dann nicht zulasten der Beschäftigten oder der Wettbewerbsfähigkeit, sondern es verbessert die Stellung der deutschen Autoindustrie auf dem Weltmarkt, wenn sie darin führend ist.
Für einige sind Fahrverbote für Diesel-Autos die beste Lösung.
Wir müssen möglichst schnell Rechtssicherheit bekommen. Es sollten aber nicht Gerichte über Fahrverbote entscheiden müssen, sondern die Politik sollte gestaltend eingreifen. Es ist nicht gerecht, Millionen Dieselfahrer von Husum bis Garmisch-Partenkirchen mit der Entwertung ihrer Fahrzeuge zu bedrohen, nur weil manche Städte nicht in der Lage sind, über Verkehrssteuerung ihre eigenen Hausaufgaben zu machen. Dort wo die Automobilindustrie aber beschissen hat, ist es ihre Pflicht, die Fahrzeuge auf den Stand zu bringen, der ihrer Zulassung entspricht.
Wer ist der größte Verlierer bei all den Skandalen?
Im Moment sind es die Beschäftigten der Autobauer. Die Investitionen der Unternehmen gehen zurück, die Auslastung sinkt, in einigen Zulieferer-Werken wird schon über Kurzarbeit gesprochen.
Sehen Sie das Ende des Diesels?
Der Diesel hat weiter Potenzial, vor allem wegen der Emissionen. Wenn wir den CO2-Ausstoß verringern wollen, müssen wir weiter auf den Diesel setzen.
Es entsteht oft der Eindruck, als würden Autobauer durch Start-ups wie Tesla getrieben werden. Ist der falsch?
Solche Start-ups sind interessant, aber sie arbeiten alle mit Technologien, die von deutschen Zulieferern entwickelt wurden – also ko-finanziert durch die deutsche Automobilindustrie. Aus bestehenden Komponenten ein Auto zusammenzubauen, ist auch für Branchenfremde möglich. Es ärgert mich aber, dass manche Manager Ideen abgelehnt haben, mit denen Start-ups nun Geld machen. Da hätten deutsche Autobauer experimentierfreudiger sein und nicht nur an die kurzfristige Dividende für die Aktionäre denken müssen.
Waren die deutschen Autohersteller zu lange darauf bedacht, ihre Fahrzeuge sauber zu tricksen, anstatt sich um alternative Antriebe zu kümmern?
Das Problem liegt auch bei den Käufern. Alle deutschen Hersteller haben heute Elektrofahrzeuge im Programm, doch drohen die zu Landehütern zu werden. Warum? Weil die Infrastruktur nicht da ist. Sie wollen kein Auto für 40?000 und mehr Euro kaufen, wenn Sie nicht sicher sein können, ob sie von A nach B kommen. Hier sind Unternehmen und Politik gemeinsam gefordert. Denn es müssen noch viele Milliarden investiert werden.
Andere Länder wie Frankreich, Großbritannien und Norwegen haben sich eine Deadline gesetzt, zu der Autos mit Verbrennungsmotoren nicht mehr verkauft werden dürfen. Ist das nicht auch der richtige Schritt für Deutschland?
Norwegen tut sich sehr leicht, weil dort früh und mit hohen Investition die Infrastruktur weiterentwickelt wurde. Wie England das schaffen möchte, weiß ich allerdings nicht. Die Netze gehen schon heute im normalen Betrieb teilweise in die Knie. Für mich hört sich das eher nach Politikmarketing an. Im Übrigen sollten wir nicht aus den Augen verlieren, dass mit Erdgas und synthetischen Kraftstoffen Alternativen zur E-Mobilität zur Verfügung stehen, die deutlich emissionsärmer sind.
Wie könnte der Verkauf von E-Autos dann forciert werden?
Je stärker Verbrennungsmotoren reguliert werden, umso teurer wird diese Technologie. Und umso schneller wird der Elektroantrieb auch preislich für mehr Leute attraktiver. Bis dahin muss diese Technologie subventioniert werden, damit Serien gebaut werden können.
Elektroautos dürften Ihnen aber nicht nur Freude bereiten. Bei E-Autos ist die Fertigungstiefe viel geringer, sprich Aufwand und damit auch Personal, müssen nicht so groß sein wie bislang.
Das ist eine Herausforderung. Deswegen muss die Wertschöpfung in Deutschland stattfinden. Von zentraler Bedeutung ist vor allem die Batteriefertigung. Je mehr davon in Asien passiert, desto gefährdeter sind die Beschäftigten. Es gibt aber auch eine gegenläufige Entwicklung – etwa wenn wir an Dienstleistungen rund ums Carsharing denken. Hier entstehen neue Arbeitsplätze. Was das im Saldo heißt, kann ich noch nicht sagen. Wenn wir aber die Entwicklung verschlafen und nicht weiter Innovationsstandort Nummer eins sind, wird es in jedem Fall negativ sein.
Ähnliches gilt auch für die Digitalisierung. Auch sie wird Jobs vernichten, dafür woanders neue schaffen. Wie schwierig sind diesbezüglich die Gespräche mit den Autobauern?
Wenn wir auf die Digitalisierung in Fabriken und Büros schauen, ist das erst einmal eine ganz klassische Rationalisierungstechnologie. Wir fordern von der Industrie, dafür Sorge zu tragen, dass bei der Digitalisierung keiner unter die Räder kommt. Momentan fällt das den Unternehmen noch sehr schwer. Wir wollen daher, dass die Mitarbeiter etwa durch Fortbildungen auf die Veränderungen vorbereitet werden. Beim Thema Weiterbildung ist Deutschland aber noch ein Entwicklungsland.
Aber nicht jeder, der jetzt am Band Autos baut, wird künftig Batterien herstellen können.
Wir werden etwas von der Demografie unterstützt. Besonders in der Produktion bei den Autoherstellern gibt es viele Beschäftigte, die in den nächsten Jahren in Rente gehen werden. In der Zukunft, und die beginnt heute, wird es nicht mehr so sein, dass man mit einer Berufsausbildung sein ganzes Berufsleben übersteht. Das gilt aber für den Maschinenbau und andere Innovationsbranchen auch. Die Praxis ist aber nicht darauf eingestellt. Und vor allem müssen einige Verantwortliche in der Automobilindustrie von ihrem hohen Ross heruntersteigen und sich Gedanken machen, welche nachhaltigen Perspektiven ihre Unternehmen und die Beschäftigten haben.
Wenn Sie in die Zukunft denken: Wie wird die deutsche Automobilindustrie in 15 Jahren aussehen?
Es ist dann hoffentlich eine Industrie, die sich durch Innovationen und Umweltfreundlichkeit auszeichnet, und die den Mix zwischen den Verkehrsträgern nicht als Konkurrenz, sondern als Chance begreift und die damit nachhaltig Beschäftigung sichert. Um dahin zu kommen, muss aber noch viel passieren.
Dieses Interview ist am 29. August 2017 auf www.weser-kurier.de erschienen. Das Interview führte Stefan Lakeband.