Deutschland, einig Autoland? Das war einmal. Heute hat man manchmal den Eindruck, einige wünschten den Untergang der deutschen Schlüsselindustrie geradezu herbei. Als hätten wir irgendwo eine zweite, die wir bei Bedarf aus dem Hut ziehen können. Dem ist nicht so. Schon deshalb sollten wir über die Zukunftsfragen der deutschen Automobilindustrie diskutieren, an der in Deutschland mehr als 800 000 Arbeitsplätze direkt und die Stärke der Industrie insgesamt hängen.
Es gilt, in den kommenden Jahren die Quadratur des Kreises zu schaffen: Eine Balance zwischen Klima- und Umweltzielen, sauberer Luft in unseren Städten, Innovationen und Investitionen – ohne dass Beschäftigte unter die Räder kommen. Schwierig genug. Umso ärgerlicher ist es, dass mancher Manager weiter auf dem hohen Ross sitzt, obwohl die Reputation der Automobilindustrie durch illegale Machenschaften und mangelnde Transparenz schwer beschädigt ist.
Der Vertrauensverlust bei Kunden und in der Öffentlichkeit ist gewaltig. Auch die Beschäftigten in der Branche werden durch immer neue Enthüllungen immer mehr verunsichert. Zumal vergessen wird, was die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben Tag für Tag leisten: Sie bauen die besten Autos der Welt.
Deshalb trifft es die Beschäftigten dreifach, wenn ihre Arbeit mit Giftschleudern in Verbindung gebracht wird. Erstens sind sie stolz auf die Produkte. Zweitens machen sie sich Sorgen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze. Drittens wollen sie als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes mit ihren Familien, wie alle anderen auch, in einer sauberen und intakten Umwelt leben.
Um das Vertrauen zurückzugewinnen, reichen weder Gipfelinszenierungen im Wahlkampf noch Marketingmaßnahmen. Das gelingt nur, wenn die Automobilindustrie restlos aufklärt und umfassende Transparenz herstellt. Die Politik muss ihren ohnehin ausbaufähigen Ankündigungen vom Dieselgipfel Taten folgen lassen, nicht mit Blick auf den Wahltag, sondern im Sinne von Umwelt, Verbrauchern und Beschäftigten.
So bleibt bislang ein Rätsel, wie mit den beschlossenen 500 Millionen Euro für den Fonds „Nachhaltige Mobilität in der Stadt“ die Situation wirksam verbessert werden kann.
Noch immer drohen zudem Fahrverbote, leiden Kunden und Beschäftigte unter mangelnder Rechtssicherheit.
Die IG Metall hat sich schon früh etwa für eine blaue Plakette mit ausreichenden Übergangsfristen ausgesprochen – auch weil der Diesel als Übergangstechnologie unverzichtbar bleibt, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Dafür brauchen wir aber endlich wirklich transparente Prüfungs- und Zulassungsverfahren.
Keine Ausweichmanöver mehr
Aber das reicht nicht: Die Automobilbranche in unserem Land muss sich neu erfinden. Es geht darum, die Ziele Klimaschutz, saubere Luft und sichere Arbeit so in einen Gleichklang zu bringen, dass die deutsche Automobilindustrie stärker aus der Krise hervorgeht, als sie hineingegangen ist. Ohne ein entschiedenes Umsteuern auf neue Mobilitäts- und Antriebskonzepte wird dies nicht gelingen. Hier ist die Politik gefordert. Sie muss verstehen, dass die Mobilitäts- und Energiewende siamesische Zwillinge sind. Ohne Energiewende und Investitionen in die Infrastruktur – aber auch ohne die Schonung natürlicher Ressourcen, etwa durch geschlossene Werkstoffkreisläufe für Batterien – bleibt die Dekarbonisierung des Autos ein Wunschtraum.
Diese Transformation wird große Veränderungen bringen: Arbeit und Qualifikation der Beschäftigten wandeln sich, Zulieferbetriebe drohen ins Abseits zu geraten, zugleich entstehen neue Geschäftsmodelle. Damit es in diesem Transformationsprozess gerecht zugeht, sind konkrete beschäftigungspolitische Maßnahmen in Personalentwicklung und Qualifikation notwendig. Wir müssen jetzt in die Zukunft investieren, und zwar an den heutigen Standorten der Automobilindustrie. Dazu ist etwa unverzichtbar, den kompletten Wertschöpfungsprozess rund um die Batterie in Deutschland zu industrialisieren.
Eine solche Gesamtstrategie werden wir von der kommenden Bundesregierung einfordern. Wir werden uns als IG Metall aktiv an diesem Prozess besteiligen – schließlich haben wir uns bereits vor 25 Jahren mit alternativen Mobilitätskonzepten befasst, als viele diese noch belächelt haben. Wir sind auch heute überzeugt, dass etwa strengere Abgasnormen eine Chance für die deutsche Automobilindustrie darstellen, mithilfe der innovativsten Umwelttechnologien rund um das Auto ihre Spitzenstellung im internationalen Wettbewerb zu behaupten.
Wenn die aktuelle Krise ein Gutes hat, dann die kathartische Wirkung, dass weder Industrie noch Politik den Handlungsbedarf leugnen können. Das ist die Chance dieser Krise. Unsere Umwelt sowie alle Verbraucher und Beschäftigte haben es verdient, dass wir sie nutzen.
Dieser Beitrag ist als Gastbeitrag 25. August 2017 in der „WirtschaftsWoche“ erschienen.