Stuttgart – Berthold Huber, Erster Vorsitzende der IG Metall, hat die Beeinflussung von Politik durch Wirtschaftsinteressen scharf kritisiert. „Wir wollen keine Republik, in der mächtige Interessengruppen mit ihrem Geld, mit ihrer Macht und mit ihrem Einfluss die Richtlinien der Politik bestimmen“, sagte Huber am Samstag auf einer Protestkundgebung der Gewerkschaften in Stuttgart. Die Menschen wollten keine Sparpolitik, die den Sozialstaat zerstöre und sich dem Diktat des Profits unterordne. „Ob Berlin oder Stuttgart, wer immer eine solche Politik betreibt, der stößt überall auf Widerstand.“ Nicht der Shareholder Value, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Menschen müssten Maßstab für Politik und wirtschaftliches Handeln sein, forderte Huber.
Wer glaube, sich hemmungslos bereichern zu können und die Wirtschaft ohne Rücksicht auf Mensch und Umwelt lenken zu können, der stehe nicht mehr auf dem Boden der Verfassung. „Diese Leute spalten unsere Gesellschaft, zerstören den sozialen Zusammenhalt und sorgen dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht“, beklagte Huber. Wenn Politik nur noch für eine kleine Minderheit gemacht würde, dann wendeten sich die Menschen von der Demokratie ab, gingen nicht mehr wählen oder fielen auf rechtspopulistische Rattenfänger herein. „Es darf nicht sein, dass Entscheidungen über die Köpfe der Menschen hinweg getroffen werden“, sagte der IG Metall-Vorsitzende.
Huber forderte einen grundlegenden Kurswechsel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Dazu gehöre sowohl die Regulierung der Finanzmärkte, als auch die Verbesserung der Zukunftschancen der Jugend. „Es verhöhnt das Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes, wenn ich sehe, wie fahrlässig, wie verantwortungslos, wie zynisch Unternehmen und Politik die Zukunftschancen unserer Jugend verspielen“, kritisierte Huber. Bildung sei wieder zur Klassenfrage geworden, einem Klassenkampf von oben gegen Arbeiter- und Angestelltenfamilien. Huber forderte Wirtschaft und Politik auf, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und mehr in gute Bildung zu investieren.
Der aktuelle Aufschwung gehe an vielen Menschen vorbei. Zwar hätten viele Industrieunternehmen zweistellige Gewinnzuwächse, nur wollten sie von ihren Gewinnen nichts abgeben. Dabei hätten gerade die Beschäftigten in der Krise Opfer gebracht und alles dafür getan, dass die Unternehmen die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegsgeschichte überlebten. „Im Aufschwung wollen die Beschäftigten auch an den Gewinnen beteiligt sein. Das ist ihr gutes Recht“, betonte Huber. Es ginge nicht an, dass die einen immer nur kassierten und sich Boni genehmigten, und die anderen immer nur zahlen und Verzicht üben müssten.
Den Arbeitgebern warf Huber vor, feste Arbeitsplätze, Tarifeinkommen und Kündigungsschutz zu Auslaufmodellen degradieren zu wollen. „Wir akzeptieren keine Zweiklassengesellschaft im Betrieb, und wir akzeptieren auch nicht, dass Menschen arm sind trotz Arbeit.“ Die Bundesregierung müsse dem Missbrauch der Leiharbeit endlich Einhalt gebieten. Außerdem müsse sie einen gesetzlichen Mindestlohn einführen, damit skrupellosen Arbeitgebern das Handwerk gelegt werde und sie keine ausbeuterischen Hungerlöhne mehr zahlen dürften.
Der Rente mit 67 erteilte Huber eine klare Absage. Wer 30 Jahre und mehr am Fließband oder in Wechselschicht gearbeitet habe, der könne nicht noch länger arbeiten. Selbst in Büros und Verwaltungen habe die Belastung so zugenommen, dass die Arbeit die Menschen krank mache. Wer die Menschen noch länger in dieser Tretmühle einsperren wolle, habe keinen Respekt vor der harten Arbeit und der Lebensleistung der Menschen. „Die Rente mit 67 muss weg. Sie muss weg ohne wenn und aber“, forderte der Gewerkschaftsvorsitzende.