Berlin – Die IG Metall hat ein Umsteuern zum „Sozialstaat 4.0“ gefordert. „Der Sozialstaat muss sich auf die Herausforderungen der Arbeitswelt von morgen einstellen und gleichzeitig die Löcher stopfen, die durch nicht eingehaltene Versprechen von Sicherheit und Gerechtigkeit entstanden sind“, forderte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, am Freitag anlässlich des zweitägigen Kongresses „Sozialstaat 4.0“ in Berlin.
Die 400 Teilnehmer haben dort mit Vertretern aus Politik und Wissenschaft die Anforderungen an ein modernes Sozialstaatsmodell diskutiert und ihre Eckpunkte vorgestellt. Massive Veränderungen bei den Qualifikationsanforderungen im Zuge der Digitalisierung und Globalisierung, etwa die breite Einführung der Elektromobilität, erfordern die Weiterentwicklung der Schutz- und Gestaltungsnormen im Arbeitsleben.
Als eine Voraussetzung nannte der IG Metall-Vorsitzende die Abkehr von der bisherigen Arbeitsmarktpolitik, die nur auf schnellstmögliche Vermittlung setze. „Die umfassende und immer schnellere Veränderung der Wertschöpfungsketten ist eine unbestreitbare Tatsache: neue Produkte, neue Prozesse, neue Geschäftsmodelle auf der einen Seite, Wegfall von Tätigkeiten bis hin zum Aus für Betriebe auf der anderen Seite. Dies verlangt vom Sozialstaat, diese ständigen Transformationen in der Arbeitswelt gerecht und sicher zu gestalten.“
Der Gewerkschafter wies darauf hin, dass Bildung und Qualifizierung die entscheidenden Grundlagen einer funktionierenden Demokratie seien. Zugleich seien sie der Schlüssel zur digitalen Ökonomie. „Deshalb muss Lernen, Bildung und Weiterbildung während des gesamten Erwerbslebens mit einem individuellen Rechtsanspruch verbunden werden“, forderte Hofmann. Der Zugang zu Bildung und Weiterbildung müsse als öffentliches Gut selbstverständlich werden. „Der Sozialstaat ist in keiner Epoche seiner Geschichte einfach vom Himmel gefallen. Immer war er das Resultat politischer und gewerkschaftlicher Aktivitäten. Sozialstaat musste schon immer `gemacht’ werden“, sagte Hofmann während der Abschlussdiskussion mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).
Andrea Nahles, Bundesarbeitsministerin: „Wir haben es selbst in der Hand, dass auch in der Arbeitswelt der Zukunft Gerechtigkeit herrscht – faire Löhne, gute und gesunde Arbeitsbedingungen, Teilhabechancen. Darum muss unser gemeinsamer Anspruch sein, anzupacken und zu gestalten. Dazu gehört, die Tarifbindung und die Sozialpartnerschaft wieder zu stärken. Dazu gehört auch, zu gerechten und selbstbestimmten Arbeitszeiten zu kommen – und sie in der Arbeitswelt der Zukunft zu erhalten. Zentral sind drittens Bildung und Weiterbildung: Da brauchen wir verbriefte Rechte; die BA kann und muss zur Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung werden.“
Prof. Jutta Allmendinger wies darauf hin, dass wegen der höheren Anforderungen an Bildung und Weiterbildung die Lebensverläufe anders gestaltet werden müssten: „Über die Lebensjahrzehnte hinweg wird es immer wieder Phasen geben, in denen Männer und Frauen weniger Arbeitsstunden leisten, und dafür mehr Familienarbeit machen, sich weiterbilden oder einen ganz neuen Beruf erlernen. Die Politik, die Unternehmen und Gewerkschaft, aber auch jeder Einzelne und jede Familie müssen diesen Wandel mitgestalten.“
Mit Blick auf die Bundestagswahl 2017 haben die Kongressteilnehmer Forderungen an die Politik diskutiert, mit denen die Gestaltungsmöglichkeiten im Betrieb deutlich verbessert werden könnten. Außerdem wird die IG Metall den Beschäftigten im Rahmen einer weiteren Beschäftigtenbefragung Anfang des kommenden Jahres die Gelegenheit geben, ihre Ansprüche an die Politik zu formulieren.
Weitere Informationen finden Sie unter: http://www.igmetall.de/presse und unter: www.igmetall.de/Sozialstaat. Dort finden Sie auch den Livestream des Kongresses und weitere Konferenzunterlagen.