Interview mit Jutta Allmendinger
Arbeit muss selbstbestimmt, sicher und gerecht sein

Für die IG Metall muss Arbeit auch in Zukunft selbstbestimmt, sicher und gerecht sein. Was Tarifpartner und Politik tun müssen, damit diese Herausforderungen eingelöst werden, will die IG Metall auf ihrem Sozialstaatskongress diskutieren.

24. Oktober 201624. 10. 2016


 Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung sagt, was für sie zu guter Arbeit gehört.

Moderne Technik kann Wohlstand schaffen und Arbeit erleichtern, etwa wenn Roboter schwere Arbeit übernehmen oder mobile Technik es Eltern ermöglicht, auch mal früher nach Hause zu gehen. Doch es gibt auch Risiken. Arbeitsstandards können sinken und Qualifikationen ihren Wert verlieren. Unabhängig davon, wie sich Technik oder Globalisierung entwickelt, muss Arbeit für die IG Metall auch in Zukunft diesen Ansprüchen gerecht werden: Sie muss selbstbestimmt, sicher und gerecht sein.

Was Tarifpartner und Politik tun müssen, damit der Sozialstaat dieser Herausforderung gerecht wird, will die IG Metall auf ihrem Sozialstaatskongress Ende Oktober in Berlin diskutieren, unter anderem mit Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Im Interview sagt sie, was für sie zu guter Arbeit gehört.

 

Frau Allmendinger, wie sieht für Sie gute Arbeit aus?

Jutta Allmendinger: Gute Arbeit bedeutet für mich, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen, mit ausreichender Entlohnung. Gute Arbeit ist sinnvolle Arbeit, sie bietet Mitspracherechte und Entwicklungschancen. Wichtig ist auch, Arbeitszeit je nach Lebenssituation variabel gestalten zu können, und ein von allen getragenes Verständnis, dass Menschen ein Leben außerhalb der Arbeit haben. Denn nicht zuletzt prägt Kollegialität das tägliche Miteinander im Betrieb.

 

Und wie sieht die Realität in den Betrieben aus?
In manchen Branchen, in großen Unternehmen und bei Stammbelegschaften sind wir bei guter Arbeit schon weit gekommen. Für sehr viele Beschäftigte bleibt diese Welt aber ein Traum. Diese Spaltung des Arbeitsmarkts fordert uns. Wir müssen viel mehr Kraft darauf verwenden, allen Menschen gute Arbeit zu bieten.

 

Was ändert sich in der Arbeitswelt? Was ändert sich nicht?
Menschen wollen erwerbstätig sein sowie sichere und faire Arbeitsbedingungen haben, junge Berufstätige noch mehr als alle anderen. Das ändert sich nicht. Ändern werden sich die Qualifikationsanforderungen über den Erwerbsverlauf und die Gewichtung der Branchen. Dienstleistungen und vor allem Pflegeberufe werden stark zunehmen. Gerade die Digitalisierung wird sehr viel verändern. Einige Berufe wird es bald nicht mehr geben, neue Berufsbilder werden entstehen. Auch die Selbstverantwortung der Beschäftigten nimmt zu. Um sie damit nicht zu überfordern, brauchen sie spezifische Kompetenzen, die wir sehr früh ausbilden müssen.

 

. und Zeit, um sich zu qualifizieren?
Ja, und das müssen sie auch während ihrer Arbeitszeit tun können. Ohne Freistellung bekämen sie nur ein weiteres Vereinbarkeitsproblem. Wer Familie hat, kann sich oft nicht nach Feierabend für seinen Beruf weiterbilden.

 

Was erwarten Männer, was erwarten Frauen von ihrer Arbeit?
Es gibt keine großen Unterschiede. Männer und Frauen wollen faire Löhne, gerne zur Arbeit gehen und Beruf und Familie vereinbaren.

 

Wie erreichen wir Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen?
Hier ist die Politik gefragt, aber auch die Gewerkschaften und Unternehmen. Wir müssen Arbeit anders zwischen Vätern und Müttern verteilen, aber auch über den Lebensverlauf hinweg. Im Moment konzentriert sich zu viel auf die mittleren Jahrzehnte. Wir brauchen Regeln, die Frauen und Männern flexiblere Übergänge zwischen Teilzeit und Vollzeit ermöglichen. So könnten sich ihre Arbeitszeiten angleichen. Typische Frauenberufe müssen angemessen bezahlt werden. Wenn wir das erreichen, werden Frauen eher im Beruf aufsteigen, sich die Einkommenslücke zwischen Männern und Frauen verringern und damit auch die massiven Unterschiede in der Altersrente.

 

Wie kann Politik die unterschiedlichen Wünsche nach Arbeitszeitmodellen unterstützen?

Die Politik muss Rahmenbedingungen und Optionen anbieten. Sie sollte nicht ein einziges Modell vorgeben, auch nicht indirekt. Das Ehegattensplitting ist ein Beispiel, wie es nicht sein sollte. Es erscheint Frauen eine Zeit lang verlockend. Mittel- und langfristig kann es aber verheerend wirken. Positiv ist dagegen alles, was Arbeit und Familie partnerschaftlich aufteilt. Die Politik muss aber auch einen gesellschaftlichen Diskurs anstoßen, welchen Stellenwert wir Arbeit geben. Wir müssen arbeitsfreie Tage nicht nur individuell, sondern gesellschaftsweit ermöglichen. Man könnte zugespitzt formulieren: Wie viel müssen wir für ein arbeitsfreies Wochenende arbeiten?

Welche Rolle spielen Betriebsräte und Gewerkschaften?
Gewerkschaften, Betriebsräte, Mitbestimmung und eine starke Basis im Betrieb sind essenziell wichtig. Studien zeigen: Je weniger Tarifbindung und Mitbestimmung, desto schlechter sind die Arbeitsbedingungen und desto geringer die Entgelte.