Die Conti-Beschäftigten bringen letzte Aufkleber, Fahnen und Wimpel an ihren Autos an, dann ist Abfahrt. Hunderte Fahrzeuge knattern im Autokorso vom Werksgelände im hessischen Babenhausen nach Offenbach. Dort läuft dann alles wie eine gut geölte Maschine. Plakate, Transparente raus aus den Kofferräumen und mit Trillerpfeifen bewaffnet direkt zum Kundgebungsort. Dann wird es laut. Im Warnstreik sind die Metallerinnen und Metaller von Conti Babenhausen bereits geschult. Es ist der zweite binnen weniger Tage (Stand 10.12.). Klar ist: Wenn es sein muss, werden die Beschäftigten auch weiter vors Tor gehen. Denn das Management will ihren Standort schließen und von einem Sozialtarifvertrag nichts wissen.
So wie bei Conti sieht es gerade in vielen Betrieben aus: Beschäftigte kämpfen für ihre Arbeitsplätze, Investitionen in neue Technik und ihre Zukunft.
Statt einen Plan für die Zukunft zu entwickeln, fällt den meisten Unternehmen nichts anderes ein als Personalabbau, Ausgliederung, Schließung und Verlagerung. Beim Schaltanlagenhersteller Hitachi ABB im hessischen Hanau etwa soll im Sommer Schluss sein. Dabei werden seine Produkte für die Energiewende gebraucht. Mit zwei ganztägigen Warnstreiks haben die Beschäftigten im Dezember für ihre Zukunft Druck gemacht. Sie demonstrierten vor der Konzernzentrale in Zürich.
Längst ist nicht nur die Produktion betroffen, sondern auch die Entwicklung. Der Autozulieferer Mahle etwa will 2 000 Stellen streichen, jede sechste Stelle in Deutschland. 806 davon – so die präzise Berechnung der Konzernleitung – allein an den drei Entwicklungsstandorten in Stuttgart. Bei Bosch halten sie Ingenieurinnen und Ingenieuren Aufhebungsverträge unter die Nase.
Dass betriebsbedingte Kündigungen derzeit fast überall noch ausgeschlossen sind, dafür haben Betriebsräte und IG Metall gesorgt. Aber wie geht es weiter?
Die Beschäftigten brauchen eine Perspektive. Sie gehen vor die Tore. Ihre Betriebsräte und Vertrauensleute entwickeln gemeinsam mit der IG Metall und Beratern Konzepte zur Zukunft ihrer Standorte.
Allein kriegen die Unternehmer es offenbar nicht hin. Daimler verkündete beispielsweise, an verschiedenen Standorten Investitionen streichen und Fachkräfte entlassen zu wollen: drastischer Personalabbau im Nutzfahrzeugbau. Investitionsstopp für das Mercedes-Werk Berlin-Marienfelde und das Aus in zwei bis drei Jahren.
Ähnliches geschieht in der Zentrale in Untertürkheim: Vor einem Jahr erst haben Beschäftigte, Betriebsrat und IG Metall erreicht, dass der neue elektronische Antriebsstrang und die neue Batteriefabrik ins Werk kommen. Jetzt sollen 4000 Stellen gestrichen werden!
Da betriebsbedingte Kündigungen dank Betriebsrat und IG Metall bis 2030 ausgeschlossen sind, versucht es die Konzernleitung mit Erpressung. Sie will Teile der Fertigung für Verbrennermotoren ins Ausland verlagern. Ansonsten will sie das in Untertürkheim geplante „Kompetenzzentrum“ woanders aufbauen.
Daimler-Beschäftigte wehren sich
Bundesweit gingen die Beschäftigten von Daimler daraufhin vor die Werkstore – und schrieben 50 000 Postkarten mit Denkanstößen an den Daimler-Vorstand. Die Aktionen scheinen erste Wirkung zu zeigen: Für die kommenden fünf Jahre wird Daimler mehr als 70 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung sowie für Sachinvestitionen lockermachen. So steht es in ihrem kürzlich beschlossenen Investitionsplan. Zudem legt der Konzern einen „Transformationsfonds“ auf, der eine Milliarde Euro beinhaltet. „Mit diesen zusätzlichen Mitteln haben wir mehr Möglichkeiten, neue Technologien und Produkte in unseren Werken umzusetzen«, sagt der Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Brecht. „Das sichert Beschäftigung und Know-how.“
MAN kündigt Vereinbarung
Bis zu 9500 Stellen will MAN streichen. Alle Bereiche wären davon betroffen. Einige Betriebe sollen ganz geschlossen, Produktion und Entwicklung verlagert werden. Um ihr Sparprogramm durchzuboxen, hat die Konzernleitung sogar ihren Standort- und Beschäftigungssicherungsvertrag, der eigentlich bis 2030 vereinbart ist, einfach aufgekündigt.
„Wir werden für unsere Rechte kämpfen“, macht Saki Stimoniaris, der Vorsitzende des MAN-Gesamtbetriebsrats, klar: „Wir lassen nicht zu, dass unsere MAN abgewickelt wird.“ Sie kämpfen vor den Toren und sie gehen gegen die Kündigung der Betriebsvereinbarung vors Arbeitsgericht. Am 12. Januar ist der Termin.
Doch Gerichtsverfahren dauern Monate oder Jahre. Diese Zeit bleibt Beschäftigten bei MAN und Mahle nicht – und schon gar nicht bei Hitachi ABB in Hanau.
Die Beschäftigten brauchen gerade in diesen Zeiten Sicherheiten, die nicht einfach gekündigt werden können. Am besten wären Tarifverträge. Die Beschäftigten wissen das: Laut der Beschäftigtenbefragung der IG Metall finden 90 Prozent, dass betriebliche Zukunftstarifverträge ein wichtiges Tarifziel sind.
In einigen Unternehmen ist es der IG Metall bereits gelungen, solche Zukunftstarifverträge durchzusetzen, etwa den Tarifvertrag Transformation beim Autozuliefererkonzern ZF. Dort erstellen Standortleitungen und Betriebsräte Zielbilder mit Arbeit für alle Standorte.
Zukunft bei BMW gesichert
Auch bei BMW haben sie ihre Zukunft gesichert. Für jeden Standort. Dafür haben die Betriebsräte bei BMW jahrelang Gespräche geführt, Vorschläge gemacht – und eine Elektrostrategie für alle Standorte ausgehandelt.
Bis 2023 bietet BMW 25 Elektromodelle an, davon 12 mit reinem Batteriebetrieb. Es geht dieses Jahr los. München bekommt den neuen i4, Dingolfing den iNext, Elektromotoren und eine Batteriefertigung. Nach Regensburg kommen X1 und Batterien. Das Werk Leipzig, das bereits seit 2013 den i3 baut, der jetzt ausläuft, bekommt dafür den Mini Countryman – und eine Batteriefertigung. Und das Komponentenwerk Landshut wird Zentrum für Hightech-Werkstoffe.
Sieben Millionen Elektroautos will BMW bis 2030 verkaufen. Verkauft sind bislang 200 000. Sicher ist da nichts. Um sich immer der Nachfrage anpassen zu können, baut BMW auf Vorschlag der Betriebsräte die Fahrzeugwerke nach und nach so um, dass alle alles bauen können: Verbrenner, Hybrid, Vollelektrisch. Die Transformation wird noch Jahre dauern. „Bis 2024 wird erst mal weniger Arbeit da sein“, erklärt Werner Zierer, Betriebsratsvorsitzender des Werks Regensburg, das im Oktober nach acht Wochen Umbau wiedereröffnete. „Um die Arbeitsplätze zu sichern, haben wir erreicht, dass BMW Arbeit wieder reinholt, die bisher fremd vergeben war – Einheiten des X1 und Teile des Versands. Zudem haben wir neue Arbeitszeitmodelle ausgehandelt.“ Das heißt: Erst kürzer arbeiten – und dann wieder hochschalten.
Innovationen, die Arbeit sichern
Arbeitszeitabsenkungen zur Überbrückung braucht das mit 4000 Beschäftigten kleinste deutsche BMW-Werk in Landshut nicht. Im Komponentenwerk kommen und gehen ständig Produkte. „Als Betriebsräte müssen wir uns laufend updaten und frühzeitig Innovationen besetzen, die uns in Zukunft Arbeit sichern – und dafür alte Technologien loslassen“, erklärt der Landshuter Betriebsratsvorsitzende Willibald Löw. „Gerade als Komponentenwerk müssen wir ständig vorausschauen. Wir stehen im Wettbewerb mit externen Konkurrenten. Auch den Elektromotor für den i3 wollten einige Manager damals gern fremdvergeben. Doch wir haben als Gesamtbetriebsrat gefordert: Den müssen wir selbst bauen.“
Den Elektroantrieb der nächsten Generation gibt Landshut an Dingolfing ab, die größte deutsche BMW-Fabrik, und liefert dafür Leichtbaugehäuse für die E-Antriebe. In Dingolfing investiert BMW 500 Millionen Euro in ein neues Kompetenzzentrum für E-Antriebe mit 2000 Arbeitsplätzen. Für 4400 Beschäftigte ändert sich ihre Arbeit. Der Betriebsrat hat sie auf die Veränderungen vorbereitet, sich um ihre Qualifizierung gekümmert, ihre Entgelte abgesichert und auch auf ihre private und familiäre Situation geachtet, etwa wenn sich Schichten ändern.
In München wird der Bau von Verbrennungsmotoren verlagert, um Platz für die Montage von Elektroautos zu schaffen. „Mit der Entscheidung im fast hundert Jahre alten Werk München eine neue Montage zu bauen, zeigen wir, dass Transformation, wenn man sie strategisch und mutig angeht, Industriearbeitsplätze auch inmitten einer Großstadt sichern und ausbauen kann“, meint Manfred Schoch, Betriebsratsvorsitzender am mit 50 000 Beschäftigten größten BMW-Standort und Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Die Zukunft bei BMW ist gesichert. Jedes Jahr kommen 1200 neue Auszubildende. Die Übernahme nach der Ausbildung ist gesichert, auch für die dual Studierenden.
Beschäftigte sollen ihre Zukunft gestalten und sichern können
Im Forschungs- und Innovationszentrum in München forscht BMW auch an den Batterien der Zukunft. So hat BMW künftig das Know-how, auch selbst Batteriezellen herzustellen, statt sie wie bisher aus Asien zuzukaufen.
Klar verlangt das Management Gegenleistungen: mehr Flexibilität, geringere Kosten. BMW baut gerade 6000 der weltweit 126 000 Arbeitsplätze über ein Vorruhestandsprogramm ab. Und für das neue E-Antriebszentrum haben die Beschäftigten in Dingolfing auf ihre fünf Minuten bezahlte Brotzeit verzichtet.
BMW: Die Elektroautos kommen. Und alle Standorte kriegen was ab. Umbau und Qualifizierung laufen. Im Bild: Willibald Löw, Betriebsratsvorsitzender des BMW-Werks Landshut (ganz links), mit IG Metall-Vertrauensleuten im Elektromotorenbau. (Foto: Harry Zdera)
Aber: Die Beschäftigten der einzelnen Werke lassen sich nicht gegeneinander ausspielen. Sie haben die Elektrostrategie bei BMW mitgestaltet. Auf Augenhöhe mit dem Management. Diese Augenhöhe haben sich die IG Metall-Betriebsräte bei BMW über Jahrzehnte erarbeitet. Und sie haben eine starke IG Metall mit Zehntausenden Mitgliedern im Rücken. So setzen sie ihre Ideen durch: BMW entwickelt jetzt doch eine eigene Elektroplattform. „BMW schwenkt um“, schrieb das Branchenblatt Automobilwoche. „Im Streit um die Plattformstrategie setzt sich damit Betriebsratschef Schoch durch.“
Bei BMW geht es auch ohne Zukunftstarifverträge. Das Management weiß, dass es besser ist, zu den Vereinbarungen mit den Betriebsräten zu stehen. In anderen Unternehmen gibt es dieses hohe Maß an qualifizierter Mitbestimmung nicht. Deshalb fordert die IG Metall in den laufenden Metall-Tarifverhandlungen Rahmenregelungen für betriebliche Zukunftstarifverträge. Damit die Beschäftigten in allen Betrieben ihre Zukunft gestalten und sichern können.