Zukunft ohne Plan?

Mit dem Transformationsatlas ist es der IG Metall gelungen, den digitalen Wandel sichtbar zu machen. Deutlich wird: Risiken und Unsicherheiten nehmen zu.

1. Juli 20191. 7. 2019
Jan Chaberny


Die Ergebnisse sind eindeutig, die Zahlen eindrücklich. Sie machen deutlich: Es ist an der Zeit zu handeln, es ist dringend geboten, jetzt aktiv zu werden, denn klar ist: Die Transformation, in der wir gegenwärtig stecken und die von Digitalisierung geprägt und angetrieben wird, von Globalisierung, Elektrifizierung, dem Klimawandel und der demographischen Entwicklung, wird zu einem grundlegenden Umbruch in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft führen. Die Arbeitswelt wird durch sie tief greifend verändert. Das aber wird weit reichende Auswirkungen auf die Beschäftigten haben.

Welche Auswirkungen das sein werden, welche Umbrüche auf die Beschäftigten zukommen, das wollte die IG Metall mit betrieblichen Analysen sichtbar machen, die im Frühjahr in Betrieben überall in der Republik erstellt und nun zu einem Transformationsatlas gebündelt wurden. Dabei handelt es sich um eine visualisierte Darstellung der Ergebnisse. Zugleich war das Ziel, einen generellen Überblick über Ausmaß und Auswirkungen des digitalen Wandels zu erhalten. Das ist gelungen.

Erstellt wurde der Transformationsatlas auf der Basis von Daten aus knapp 2000 Betrieben, in denen mehr als 1,7 Millionen Menschen beschäftigt sind. Mittels Fragebogen, der zumeist in einer betrieblichen Arbeitsgruppe vom Betriebsrat und Vertrauenskörper gemeinsam mit dem Betriebsbetreuer, der Betriebsbetreuerin diskutiert und ausgefüllt wurde, konnten in jedem Betrieb eine detaillierte Bestandsaufnahme vorgenommen, jeweils spezifische Chancen- und Risikopotenziale in Bezug auf den Transformationsprozess ermittelt und so betriebliche Herausforderungen und Handlungsfelder identifiziert werden.

Die Ergebnisse zeigen: Digitalisierung hält Einzug überall in den Betrieben ― allerdings schreitet sie ungleichzeitig, mit unterschiedlichem Tempo voran. In der Produktion und der Produktionsplanung finden sich die höchsten Einführungsgrade, in der Administration beginnt die Digitalisierung gerade erst.


Arbeit ändert sich

Am weitesten vorangeschritten ist die Digitalisierung in den Fertigungsbereichen. Die Potentiale sind aber noch nicht ausgeschöpft. Auch die Vernetzung der Produktionsmittel ist bereits weit fortgeschritten. Zu etwa einem Fünftel befinden sich neue Digitalisierungstechniken in der Planungs- und Erprobungsphase. Gleichzeitig wird die Digitalisierung von Produkten in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Zu diesem Ergebnis kommen 67 Prozent der befragten Betriebsräte. In den nächsten Jahren wird damit gerechnet, dass der Umsatzanteil mit digitalisierten Produkten steigt. Dies schätzen 49 Prozent der Betriebsräte so ein. Klar wird damit: Digitalisierung wird die Betriebe in den kommenden Jahren grundlegend verändern – und große Auswirkungen auf die Arbeit der Beschäftigten haben.

Von der Digitalisierung wird vor allem die Arbeit in der Fertigung und Montage, in der Verwaltung und Logistik sowie in der technischen Kundenbetreuung massiv betroffen sein. Die dortigen Arbeitsplätze enthalten große Anteile an Tätigkeiten, deren Profil sich verändern wird oder die teilweise entfallen könnten. 57 Prozent der Beschäftigten in den beteiligten Betrieben üben Tätigkeiten mit einem hohen Potenzial für die Automatisierung von Teilaufgaben aus.

Einschätzungen zur Beschäftigungsentwicklung weisen eine starke regionale Differenzierung und große Unterschiede zwischen einzelnen Branchen auf. Besonders die Automobil- und die Zulieferindustrie wird durch den Technologiewandel stark verändert: In 54 Prozent der Betriebe in dieser Branche wird damit gerechnet, dass die Zahl der Arbeitsplätze sinken wird.


Fehlende Strategie

Gut vorbereitet auf den digitalen Wandel sind die meisten Betriebe allerdings nicht: Knapp die Hälfte der Betriebe hat keine oder keine ausreichende Strategie zur Bewältigung der Transformation. In nur 18 Prozent der befragten Betriebe gibt es eine stringente Strategie. In weiteren 19 Prozent der Betriebe sind nach Beurteilung der Betriebsräte teilweise Strategien vorhanden.

In vielen Betrieben fehlt aber nicht nur eine Strategie. Von zentraler Bedeutung für eine beschäftigungssichernde Transformation sind die Ermittlung des Personalbedarfs sowie die Qualifizierung auf sich verändernde oder neue Tätigkeiten. Zwar sehen in 95 Prozent der Betriebsräte einen signifikanten Anstieg des Qualifizierungsbedarfs. Aber: Die Hälfte der untersuchten Betriebe hat keine systematische Personalplanung und -bedarfsermittlung. Gleiches gilt für die Qualifizierungsbedarfsermittlung, die nur in 45 Prozent der Betriebe systematisch erfolgt.

Ein weiterer Punkt: In vielen Betrieben erfolgt keine systematische und frühtzeitige Einbindung der Betriebsräte in die Gestaltung der Transformation. In 52 Prozent der Betriebe findet keine frühzeitige Information der Betriebsräte statt. Noch geringer ist die Einbindung zur Mitgestaltung in Projekten. 62 Prozent von ihnen sind nicht eingebunden.

Schließlich ist die Information der Belegschaft über die einsetzende Transformation in ihrem Betrieb häufig mangelhaft: 72 Prozent der Beschäftigten sind nicht ausreichend über die zukünftigen Änderungen in ihrem Betrieb informiert. Nur 6 Prozent sind gut informiert. Das ist deshalb ein dramatisches Ergebnis, weil die Information der Belegschaft eine Grundbedingung für Beteiligung und Mitgestaltung ist.

Im Ganzen weisen die Ergebnisse auf einen hohen Differenzierungsgrad hin. Sichtbar wird, dass Risiken für die Beschäftigten zunehmen. Und, dass die Unternehmen bislang zu wenig tun.

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