20 000 Beschäftigte machen Druck

Es ist eine der schwierigsten Tarifrunden im Kfz-Handwerk. Die Arbeitgeber wollen allen Ernstes eine Nullrunde. Heißt: keinen Cent Lohnerhöhung. Die Beschäftigten sind stinksauer. Bei den Protestaktionen der IG Metall schalten 20 000 Warnstreikende einen Gang hoch.

1. Juli 20211. 7. 2021
Dirk Erb und Martina Helmerich


Sie kommen aus den Autohäusern von Mercedes und VW über die Straße  – und mit Bussen von BMW und MAN. Sie treten gemeinsam in den Warnstreik und ziehen mit Latin Music durch die Podbielskistraße in Hannover. So wie hier machten im Juni etwa 20 000 Beschäftigte aus Autohäusern und Werkstätten Druck mit Warnstreiks und Protestaktionen.

Wochenlang mauern die Arbeitgeber des Kfz-Handwerks bereits. Ihre Ansage „Wir geben nix, null Komma null“ hat alle Verhandlungen mit der IG Metall platzen lassen. Wegen Corona. „Die Arbeitgeber wollen nicht mal verhandeln“, schimpft ein Mercedes-Schrauber. „Was bleibt uns anderes übrig, als zu streiken und zu demonstrieren?“

Zu Redaktionsschluss liefen noch Verhandlungen.


Maloche mit Maske, Kunden beraten im Homeoffice

Tatsächlich haben die Beschäftigten trotz Corona fast voll durchgearbeitet. Und die Zahlen sind gut, genauso gut wie vor der Pandemie, meint Torsten Essig, Betriebsratsvorsitzender im Mercedes-Autohaus Hannover. Er ist Mitglied in der Tarifkommission und bei den Tarifverhandlungen dabei. „Die Werkstatt lief die ganze Zeit volle Kanne. Auch der Gebrauchtwagenverkauf brummt. Dass wir etwas weniger Neuwagen verkaufen, liegt weniger an Corona, sondern an Lieferengpässen bei Halbleitern, aber auch daran, dass die Autobauer die Auslieferung von Verbrennern verschieben, um die EU-Klimavorgaben zu erfüllen.“

Monatelang haben die Kfz-Beschäftigten unter erhöhtem Ansteckungsrisiko und mit Maske in den Werkstätten geschuftet. In den wenigen Kurzarbeitsphasen haben die Auszubildenden den Laden am Laufen gehalten. „Auch im Verkauf haben wir unseren Job gemacht“, betont Julia Wildhagen, Genius-Kundenberaterin und Betriebsrätin in der BMW-Niederlassung Hannover. „Wir haben Kunden am Telefon beraten, Probefahrten unter Coronabedingungen vereinbart – und gar nicht mal schlecht verkauft.“

Der Kampfgeist und die Ausdauer in dieser Tarifrunde für die knapp 450 000 Beschäftigten im Kfz-Handwerk sind bemerkenswert. Und die Beschäftigten sind bereit, in ihrem Kampf für faire Löhne noch einen Gang hochzuschalten. Schließlich haben sie während des Lockdowns alles gegeben. „Das Malochen mit den Coronamasken an der Hebebühne und bei Über-Kopf-Arbeit ist kein Spaß“, sagt Kenan Emanet. Er ist der Betriebsratsvorsitzende der BMW-Niederlassung in Hamburg. Emanet folgte mit seinen Leuten dem Aufruf der IG Metall und beteiligte sich an der Menschenkette auf dem Friedrich-Ebert-Damm in Hamburg. Sie standen zu beiden Seiten der vierspurigen Straße auf einer Länge von einem halben Kilometer. „Die Arbeitgeber wollen vom Engagement der Kolleginnen und Kollegen während des Lockdowns nichts mehr wissen. Das macht die Beschäftigten zu Recht wütend und sauer.“


Mehr Geld für Auszubildende

Auch die Auszubildenden zeigen volle Unterstützung für die Protestaktionen in dieser Tarifrunde. Lucas Marchlewitz hat in seinem Betrieb in München dafür gesorgt, dass sich viele junge Beschäftigte an den Warnstreiks beteiligten. „Eine Erhöhung der Ausbildungsvergütung ist absolut wichtig, weil sonst die Leute aus dem Handwerk in die Industrie abwandern“, sagt der junge Kfz-Mechatroniker. „In der Industrie verdienen Auszubildende für dieselbe Tätigkeit locker ein paar Hunderter mehr. Diese Lücke müssen wir schließen, damit die Fachkräfte bleiben.“ Aber auch bei dieser berechtigten Tarifforderung für die Auszubildenden mauern die Arbeitgeber.


Schrauber Seite an Seite

Die Empörung über die Blockadehaltung treibt die Beschäftigten des Kfz-Handwerks bundesweit auf die Straße. In Dresden und Leipzig stellen sich die Metallerinnen und Metaller zu Menschenketten auf. Seite an Seite stehen die Schrauber von Mercedes, BMW, Ford und den französischen Marken hinter den Forderungen der IG Metall. „Die Beschäftigten machen deutlich, dass sie ein substanzielles Angebot erwarten“, sagt Jens Kiehle von der IG Metall Dresden. Die Warnstreiks sind auch eine Warnung an die Arbeitgeber, dass eine zweite Welle umso heftiger ausfallen würde.

Eine besondere Situation treibt die Kfz-Beschäftigten in Baden-Württemberg um. Dort haben die Arbeitgeber die Stirn, den Samstag zum Regelarbeitstag machen zu wollen. Das heißt, dass die Zuschläge wegfallen würden.  Dazu haben die Arbeitgeber Teile des Manteltarifvertrags gekündigt. In Stuttgart-Feuerbach und anderen Orten gehen deshalb Tausende von Beschäftigten in den Warnstreik. Zusätzlichen Druck bringt auch ein offener Brief der Arbeitnehmer-Vizepräsidenten der Handwerkskammern. 


Bereit, noch eine Schippe draufzulegen

Das Schreiben kritisiert die Forderungen der Arbeitgeber als verantwortungslos und als Schlag ins Gesicht der Beschäftigten, die während der Pandemie zuverlässig ihre Arbeit verrichtet haben. „Gerade in der jetzigen Situation ist es ein fatales Signal, den Manteltarifvertrag als Regelwerk für viele so grundsätzliche Fragen des Arbeitsverhältnisses teilweise zu kündigen“, erklärt auch der Betriebsratsvorsitzende von Mercedes-Benz in Stuttgart, Ingo Kontny. „Oberste Priorität hat, dass der Manteltarifvertrag nicht verändert wird. Wir lassen nicht zu, dass der Samstag ein Regelarbeitstag wird. Was wir 1993 erstreikt haben, lassen wir uns nicht wegnehmen.“


Bei Redaktionsschluss liefen noch Tarifverhandlungen.

 


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