Die Mutmacherin

Friederike Retzer hat in ihrem Unternehmen einen Betriebsrat ins Leben gerufen. Auch bei anderen Betrieben der Branche setzt sie sich erfolgreich für mehr Mitbestimmung ein. Wie bringt die junge Mutter von zwei kleinen Kindern das alles unter einen Hut?

1. März 20191. 3. 2019
Martina Helmerich


Die meisten in ihrem Betrieb nennen sie einfach Friedi. Seit vier Jahren ist Friederike Retzer stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei der Firma BFFT bei Ingolstadt. Dort arbeiten viele Ingenieure, die im Auftrag der Autoindustrie entwickeln. Volkswagen und Audi sind die größten Kunden.

Friederike Retzer, 35, ist eine Quereinsteigerin. Sie kommt aus der Bildung. „Ursprünglich habe ich Englisch und Spanisch
fürs Lehramt studiert. Nach dem Studium habe ich junge Leute ohne Ausbildung gecoacht, wie man sich bewirbt. Dabei habe ich gemerkt, wie sehr mir die Weiterentwicklung von Menschen am Herzen liegt.“ In ihrem Betrieb, BFFT, stieg sie im Bereich Personal-Recruiting ein und kümmerte sich darum, Nachwuchskräfte zu finden.

 

Friederike Retzer mit ihrer Tochter Julia.

Auch in der Elternzeit ist Friederike regelmäßig bei den Kollegen im Betrieb. Ihre jüngste Tochter nimmt den Besuch im Betriebsratsbüro ganz gelassen. Foto: Ingo Dumreicher


Gründung eines Betriebsrats

Das war vor sechs Jahren und bevor die Kinder kamen. Im Kollegenkreis tauchte irgendwann die Frage auf, warum es eigentlich keinen Betriebsrat gibt. Friederike und weitere Beschäftigte gründeten einen Aktivenkreis mit Unterstützung der IG Metall aus Ingolstadt. Vor Ort bekamen sie Informationen, wie man im Betrieb Mitbestimmungsstrukturen aufbaut. „Dann kam der Punkt, wo wir uns sagten, wir riskieren es jetzt, einen Betriebsrat zu gründen.“ Die Idee stieß in dem inhabergeführten Unternehmen nicht gleich auf Begeisterung. Anfänglicher Widerstand des Managements konnte überwunden werden. „Wenn der Stein erst mal ins Rollen gekommen ist, kann man das nicht mehr aufhalten. Wir haben einen Wahlvorstand gebildet, um die Betriebsratswahl durchzuführen. Ein bisschen gebibbert haben wir schon, aber letztlich hat sich die Geschäftsleitung nicht mehr quergestellt.“

Die Wahl verlief dann ohne Zwischenfälle. Friederike bekam das zweitbeste Stimmenergebnis. Sie wurde stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats. Seitdem ist der Rückhalt in der Belegschaft kontinuierlich gewachsen. Insgesamt ist die anfängliche Distanz mancher Beschäftigter zu den Mitbestimmungsstrukturen nach und nach gewichen. Ein richtiger Stimmungsumschwung in der Belegschaft kam durch die Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit. Darin vereinbarte der Betriebsrat einen Aufstockungsbetrag für den Fall, dass Kurzarbeit angemeldet werden muss. Betroffene Kollegen haben nach Ablauf der Kurzarbeit einen besonderen Kündigungsschutz.


„Ich konnte mich während der Elternzeit über die IG Metall qualifizieren. In den Seminaren war ich die Einzige mit Baby. Das hat niemanden gestört.“


„Als die Regelung zur Kurzarbeit 2016 zum Tragen kam und die Leute gemerkt haben, dass ihnen ein Betriebsrat richtig nützt, hat das viel neues Vertrauen gebracht. Das merken wir zum Beispiel auf den Betriebsversammlungen. Die sind jetzt viel besser besucht als am Anfang. Das hat einen richtigen Schub gegeben“, freut sich Friederike.

Parallel zu der Gründung des Betriebsrats im Unternehmen lief das Projekt Familiengründung. Vor zwei Jahren kam die erste Tochter Johanna auf die Welt. Friederike pausierte und kam nach einem Jahr in Teilzeit mit 30 Wochenstunden zurück. Trotz der Auszeit bekam sie bei den Betriebsratswahlen 2018 aus dem Stand das beste Ergebnis. Für ihre Arbeit im Betriebsrat ist Friederike inzwischen freigestellt.

Im Januar wurde Töchterchen Julia geboren. Als sie jetzt mit dem Kind im Tragetuch zum ersten Mal die Kolleginnen und Kollegen besuchte, war die Freude groß. Im Sommer plant sie das nächste Projekt. Da wird sie in einem Seminar für Betriebsräte unterrichten. „Die IG Metall hat mich gefragt und ich werde da einspringen.“ Ein Satz, der viel über sie aussagt. Bevor Friederike Nein sagt, muss nämlich viel passieren. Sie ist immer für eine zündende Idee zu haben. Das war schon so, als ihr erstes Kind wenige Monate alt war. „Ich habe da an einer Qualifizierung der IG Metall zur Bildungsberaterin teilgenommen. Ich konnte die Kleine mitnehmen und war auch die Einzige mit Kind. Johanna war super lieb und hat viel geschlafen. Dass sie dabei war, hat niemanden gestört.“

Friederike steht hinter euch: Mit diesem Video zu den Betriebsratswahlen bei Bertrandt Ende 2018 sprach Friederike Retzer den Kolleginnen und Kollegen bei Bertrandt Mut zu, sich gegen Widerstände durchzusetzen  und einen Betriebsrat zu gründen.

 

Mit Leidenschaft dabei

In ihrer Freizeit verreist sie gerne mit Familie und Freunden im Wohnwagen. Den hat sich die Familie Retzer vor ein paar Jahren gekauft. An Wochenenden geht es dann zu näheren Zielen wie der Altmühl oder das Zillertal. Auch das Werkeln im Garten hat es ihr angetan. „Wir bauen selbst Obst und Gemüse an. Den Babybrei für die Kinder koche ich fast ausschließlich mit Gemüse aus dem eigenen Garten.“

Wie schafft man ein solches Pensum: Beruf, Betriebsratsarbeit, Familie, Freunde, Hobbys? „Das geht nur, wenn beide Teamwork machen und sich gut absprechen“, sagt sie. Ihr Mann ist auch aktiver Metaller und Betriebsrat bei Audi in Ingolstadt. „Bei den vielen Terminen von uns beiden geht es nach Wichtigkeit und Priorität und im Zweifelsfall nach dem Prinzip, wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“

Friederike ist nicht nur im Betrieb engagiert, sondern auch darüber hinaus. Sie ist für die IG Metall in Projekten bei Entwicklungsdienstleistern (EDL) aktiv. Als eine von drei Sprechern im bundesweiten EDL-Arbeitskreis ist sie in ganz Deutschland unterwegs.

Besonders freut es Friederike, dass es in einem benachbarten Unternehmen in Gaimersheim ebenfalls gelungen ist, einen Betriebsrat zu gründen. Bertrandt, so heißt der Entwicklungsdienstleister, ist von BFFT nur einen Steinwurf entfernt. In der Vorbereitungsphase für die Betriebsratswahlen bei Bertrandt hatte Friederike den Kolleginnen und Kollegen mit einer Videobotschaft Mut gemacht: „Es rentiert sich und es lohnt sich, für einen Betriebsrat und für Eure Kollegen zu kämpfen, macht weiter so“, lautete ihr leidenschaftliches Plädoyer. Seit Dezember gibt es auch bei Bertrandt
einen Betriebsrat.

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