Sozialwahl 2017: Selbstverwalter im Interview
„Wir dürfen nicht alles dem Markt überlassen“

Georg Keppeler ist seit 1982 in der Selbstverwaltung der AOK Nordwest aktiv. Im Interview erklärt er, wo die größten Probleme des Gesundheitssystems liegen – und wie sie sich im Interesse der Versicherten lösen lassen.


11. Mai 201611. 5. 2016


Die meisten Kassenleistungen sind durch per Gesetz vorgegeben. Was können Selbstverwalter eigentlich ausrichten?

Georg Keppeler: Wir können sehr wohl Einfluss nehmen. Zum Beispiel durch die Widerspruchsausschüsse. Dort entscheiden die Selbstverwalter. Versicherte können bei diesen Ausschüssen Einspruch gegen Entscheidungen ihrer Krankenkasse erheben. Bei der AOK Nordwest haben wir regelmäßige Schulungen für die Widerspruchsausschüsse eingeführt. Das hilft den Versicherten, ihre Ansprüche durchzusetzen.

Wie läuft das konkret?

Ein Beispiel: Sie haben bei ihrer Kasse einen Zuschuss für eine Therapie beantragt. Die Kasse lehnt ab. Sie legen Widerspruch ein. Dann muss sich die Kasse nochmal mit der Sache befassen. In 90 Prozent der Fälle entscheidet sie zugunsten der Versicherten.

Und wenn die Kasse doch „Nein“ sagt?

Dann geht der Fall in den Widerspruchsausschuss. Rechtlich gesehen ist der Widerspruch die erste Stufe eines möglichen Sozialgerichtsverfahrens. Die Kassen prüfen deshalb sehr genau.

Wo hakt es in unserem Gesundheitssystem?

Gesundheitsvorsorge funktioniert nicht, wenn wir alles dem freien Markt überlassen. Der Staat muss eingreifen. Wenn alles nur nach Angebot und Nachfrage ginge, hätten wir auf dem Land bald keine Ärzte mehr. Krankenhäuser würden nur noch Behandlungen anbieten, mit denen sie viel verdienen.

Welche Lösung schlägst Du vor?

Wir müssen bei den Kosten ansetzen. Es gibt Medikamente, da kostet eine Pille 1000 Euro. Die Pharmakonzerne sagen, sie müssten solche Preise verlangen, um die Arzneimittelforschung zu finanzieren. Aber wenn diese Klage gerechtfertigt wäre, dürfte es in Europa nicht so ein starkes Preisgefälle geben. In Deutschland kosten viele Medikamente viel mehr als in benachbarten EU-Ländern. Es geht also offenbar auch billiger.

Wie können die Selbstverwalter da machen?

Wir sind wichtige Informanten. Die Politik bekommt solche Dinge teilweise gar nicht mit. Die Kosten fallen ja bei den Kassen an, nicht in den öffentlichen Haushalten. Die größte Herausforderung für die gesetzliche Krankenversicherung ist, die breite Bevölkerung auch künftig am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen – ohne dass die Kosten explodieren.

Du bist Selbstverwalter und Gewerkschafter. Warum sollten die Versicherten Gewerkschafter in die Selbstverwaltung wählen?

Gewerkschafter haben bei den Krankenkassen eine wichtige Aufgabe: Alles dafür zu tun, dass Arbeitnehmer gesund bleiben können. Sie haben ja nur ihre Arbeitskraft, um sich und ihre Familie zu versorgen. Die Voraussetzung dafür ist die langfristige Erhaltung der eigenen Gesundheit. Gewerkschafter kennen sich da sehr gut aus. Sie haben direkten Einblick in die Arbeitswelt.