Infrastruktur bröckelt
Wie Deutschland den Investitionsstau auflösen kann

Deutschland bröckelt: bei Straßen, Brücken, Schienen. Der Investitionsstau ist gewaltig. Doch wie lässt er sich beheben? Warum privates Kapital nicht die Lösung sein kann – und welche Alternativen es gibt.

23. September 201523. 9. 2015


Wenn Rolf Parkan erzählt, wie er und seine Kollegen sich um solide Straßen kümmern, könnte man meinen, er arbeite im Verkehrsministerium. In Wirklichkeit ist Parkan Betriebsratsvorsitzender der Schuler GmbH in Erfurt. Das Unternehmen produziert dort Baugruppen für Groß-Pressen, die in der Automobilindustrie gebraucht werden.

Die Bauteile sind enorm schwer, bis zu 230 Tonnen. Um sie zu den Kunden zu bringen, braucht man Straßen, die für Schwerlasttransporte ausgelegt sind. Den Erfurtern steht aber nur eine einzige solche Strecke zur Verfügung. Darüber bringen sie ihre Produkte an die Elbe, zu einem Binnenhafen. Doch was, wenn auf der Schwerlastroute mal eine Baustelle ist? Wenn eine Kreuzung neu angelegt wird?

„Dann haben wir ein Auslieferungsproblem“, sagt Parkan. Der Mangel an belastbarer Infrastruktur könne für sein Unternehmen „existenzbedrohend“ werden. „Wir müssen die Politik auf diese Missstände aufmerksam machen.“


Bröckel-Republik

So wie Schuler Pressen geht es vielen Industrieunternehmen in Deutschland. Sie kämpfen mit Schlaglochpisten, gesperrten Autobahnbrücken, langsamen Internetverbindungen. Kurz: Mit einem gewaltigen Investitionsstau bei der Infrastruktur. Attraktive Standortbedingungen für Unternehmen und Beschäftigte sehen anders aus.

Dass Deutschland mehr Geld in die Infrastruktur stecken muss, darüber herrscht Einigkeit. Die Frage ist: Wo soll das Geld herkommen? Die Frage muss schnellstens geklärt werden. Die IG Metall drängt seit Jahren darauf. An diesem Mittwoch hat sie Experten zu einer zur Konferenz in Berlin zusammengetrommelt.

Mit dabei: Betriebsräte wie Rolf Parkan. Politiker wie der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen. Und Ökonomen wie Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine Expertenkommission unter Fratzschers Vorsitz hatte im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums einen Bericht zum Thema vorgelegt.


Privat vor Staat?

Ein Vorschlag, der seitdem im Raum steht: privates Kapital zur Finanzierung der Infrastruktur mobilisieren – und damit Lebensversicherungen und Rentenfonds eine Anlagemöglichkeit bieten.

Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, hält diese Art der Finanzierung für höchst problematisch. „Private Anleger sind nicht zwingend an einer leistungsfähigen Infrastruktur interessiert, sie wollen möglichst hohe Renditen erzielen“, erklärt er auf der Berliner Konferenz.

Außerdem konzentrierten sich private Investoren auf lukrative Infrastrukturprojekte. „Mit einer solchen Rosinenpickerei lässt sich keine flächendeckende Versorgung mit Infrastruktur gewährleisten“, sagt der Metaller. „Wenn diese Idee umgesetzt wird, können institutionelle Anleger entscheiden, wie und zu welchen Bedingungen öffentliche Infrastruktur bereitgestellt wird“.


Alternative Lösungen

Die IG Metall schlägt deshalb andere Lösungen vor: einen Pakt zur gerechten Finanzierung und Umsetzung öffentlicher Investitionen.

 

Die Kernpunkte:

  1. Öffentliche Investitionen müssen vorrangig aus Steuermitteln finanziert werden. Dabei fallen keine Zinszahlungen an. Und die Bürger werden entsprechend ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit an öffentlicher Aufgaben beteiligt.
  2. Der Staat muss seinen finanziellen Handlungsspielraum voll ausnutzen. Deutschland kann sich derzeit so günstig wie nie zuvor am Kapitalmarkt finanzieren.
  3. Öffentliche Investitionen von der Schuldenbremse ausnehmen. Das heißt: Die Finanzierung einer Investition wird über die gesamte Nutzungsdauer verteilt. So handelt jedes Unternehmen und jeder private Bauherr.
  4. Steuerprivilegien für hohe Vermögen, Einkommen und Erbschaften abbauen. Abgeltungssteuer abschaffen. Für Investitionen braucht es höhere Steuereinnahmen.


Ökonomische Logik

Warum der Staat als Investor erste Wahl sein sollte, erklärt in Berlin auch Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökononomie und Konjunkturforschung (IMK). „Wir haben in Deutschland eine öffentliche Investitionskrise“, sagt er. Und das, obwohl derzeit niemand so günstig an Kapital komme wie der Staat. Bei privaten Investoren müsse dagegen ein „Renditeaufschlag“ bezahlt werden, erklärt der Ökonom.

Und: bei öffentlichen Investitionen sei der Multiplikatoreffekt besonders groß. Sprich: Wenn der Staat Geld in die Hand nimmt, ziehen private Investoren nach. Horns Fazit: „Öffentliche Investitionen sind der ökonomisch sinnvollste Weg, um die Investitionsschwäche zu überwinden.“