Bildung – damit es nach oben geht
Mit Wissen geht alles besser

Die meisten Beschäftigten finden es wichtig sich weiterzubilden. Vielen mangelt es nicht an der Motivation, sondern an Zeit, Geld oder beidem. Unternehmen sollten sie unterstützen, statt ständig über Fachkräftemangel zu klagen – damit es mit der Bildung im Arbeitsleben aufwärtsgeht.

3. Juni 20143. 6. 2014


Vor ein paar Jahren konnte jeder bei Nirosta in Benrath einen Englischkurs besuchen, wenn er wollte. Nur: Oft brauchte man es damals nicht. Inzwischen läuft fast alles auf Englisch. Aber Kurse für alle gibt es nicht mehr. Reimund Kippes, Betriebsrat bei Outokumpu-Nirosta in Benrath, muss lachen, wenn er an die Ironie der Geschichte denkt. Eine Einschränkung macht er: „Unsere Führungskräfte bekommen Schulungen.“ Doch auch andere brauchen sie. Sicherheitshinweise gibt es nur noch auf Englisch. Schlecht, wenn jemand sie nicht versteht. Deshalb hat der Betriebsrat dafür gesorgt, dass es sie wieder in Deutsch gibt.

Wenn es um Qualifikationen geht, leben die Beschäftigten in Benrath von der Hand in den Mund. Wer in Wechselschicht arbeitet, kann nicht neben der Arbeit einen Kurs besuchen. An eine Weiterbildung in Vollzeit ist nicht zu denken. „Dafür sind wir viel zu knapp besetzt“, sagt Kippes. Im Werk gibt es keine Schweißer. Wird einer gebraucht, holt der Betrieb ihn von außen. So lange steht die Maschine still. Kippes muss nicht lange rechnen, um zu wissen: „So mancher Schweißerschein hätte sich längst gelohnt.“

Bei Nirosta gab es ein Projekt namens „Tandem“. Ein älterer und ein junger Beschäftigter arbeiteten zusammen an einem Arbeitsplatz. Der Junge nahm dem Älteren körperlich schwere Arbeit ab und der Ältere gab dem Jungen sein Wissen weiter. Auf diesem Weg wollte der Betrieb den demografischen Wandel begleiten. Dafür hat keiner mehr Zeit.


Es gibt immer einen Grund

Niemand würde sagen, er muss nichts mehr lernen. In der Beschäftigtenumfrage der IG Metall 2013 sagten 70 Prozent der Jungen, dass sie sich für ihre Arbeit weiterbilden müssen. Aber fast jeder hat einen guten Grund, warum es nicht geht – in guten wie in schlechten Zeiten. Es gibt keine Kurse, die sich dem Rhythmus von Schichtarbeitern anpassen. Neben einem normalen Vollzeitjob wird die Weiterbildung zum Extremsport – vor allem, wenn die Arbeit ohnehin einen Teil der freien Abende und des Wochenendes frisst. An der Hürde Zeitmangel scheitern 47 Prozent der Befragten.

Geldmangel heißt die andere Hürde. Wer sich für eine Fortbildung freistellen lässt, bekommt kein Geld mehr. Doch auch während der Schulung zum Techniker oder des Meisterlehrgangs müssen der Kühlschrank gefüllt und die Miete bezahlt werden. So stehen viele vor der Wahl: Zeit haben und kein Geld oder Geld haben und keine Zeit.

Elisa Wirth wollte weder das eine noch das andere. Der Servicemechaniker bei Bosch Verpackungstechnik in Crailsheim kennt Kollegen, die neben der Arbeit ihren Techniker machten und die Fortbildung nach drei Jahren abbrachen, weil sie es nicht mehr schafften. Andere ließen sich freistellen und mussten dann nebenbei jobben. Als Servicetechniker kommt Elisa in der Welt herum. Er stellt Maschinen auf, wartet oder repariert sie. Im Moment findet der 23-Jährige das spannend. Aber wer weiß, was in zehn Jahren ist.

Elisa möchte eine Alternative haben, nicht auf der Stelle treten. Deshalb bereitet er sich auf den Maschinenbautechniker vor. Zwischen Geld und Zeit muss er sich nicht mehr entscheiden. Seit 2012 können sich Beschäftigte bei Bosch in Crailsheim fortbilden und bekommen weiter Geld. Zwei Jahre arbeitet Elisa für halbes Geld. Dann macht er zwei Jahre lang eine Weiterbildung zum Maschinenbautechniker und bekommt weiter Monat für Monat sein halbes Entgelt von Bosch. Bei Bosch in Crailsheim regelt das der Tarifvertrag zur Qualifizierung aus dem Jahr 2012.


Der lachende Dritte

Auch in Bayern gibt es seit 2012 einen Tarifvertrag über Bildungsteilzeit. Dort können Beschäftigte zunächst bis zu drei Jahre voll arbeiten, bekommen aber nur die Hälfte ihres Monatsentgelts ausbezahlt. Die andere Hälfte kommt auf ein Konto. In den nächsten drei Jahren können sie sich für eine Weiterbildung freistellen lassen und von dem Geld auf dem Konto leben. Das sinderste Schritte. Sie reichen aber nicht aus. Auf dem Weg zum lebenslangen Lernen stehen für viele Menschen noch immer zu viele Hürden. Das passt nicht in eine Zeit, in der Arbeitgeber über Fachkräftemangel klagen.

Vor allem junge Menschen wollen sich weiterbilden, beobachtet Carmen Bahlo, Betriebsrätin beim Getriebehersteller ZF in Brandenburg – wären da nicht die Probleme mit der Zeit und der Finanzierung. Weiterbildung im Dreischichtbetrieb mit Sonderschichten am Wochenende erfordert wahre Meisterschaft in Koordinationsfähigkeit. Für Fahrten und Lehrmittel kommen schnell 350 Euro Kosten im Monat zusammen. Fallen zusätzlich Kurs- und Studiengebühren und andere Kosten an, wird es eng. Zumal viele junge Facharbeiterinnen und -arbeiter schon Familien haben, die auch Zeit und Geld beanspruchen.

Der Arbeitgeber sagt: Es ist persönliche Weiterbildung und ist bei der Finanzierung aus dem Schneider. Wenn junge Leute sich aber qualifiziert haben, greift er gerne auf sie zurück. „Die Arbeitnehmer zahlen sie. Die Arbeitgeber nutzen sie und sind die lachenden Dritten. Das darf nicht sein“, sagt Bahlo. Ist aber oft so, weil viele Firmen zwar über Fachkräftemangel jammern, aber keine vorausschauende Personalplanung betreiben. „Die Firmen“, fordert Bahlo, „müssen in die Verantwortung genommen werden.“


Weiterbilden statt Job verlieren

Bildung sorgt nicht nur für neue Fachkräfte, sie kann Menschen auch vor der Arbeitslosigkeit schützen. Beispiel MAN in Salzgitter: Vor sieben Jahren verlagerte das Unternehmen Arbeitsplätze nach Polen. 2000 Menschen hätten ihren Job verloren. Es gab Alternativen, doch dafür mussten viele erst ausgebildet werden. Der Betriebsrat handelte einen Qualifizierungstopf aus. Zwölf Minuten zahlte jeder Beschäftigte pro Tag ein. 1300 Menschen lernten etwas Neues und kamen auf neue Arbeitsplätze.

Nachdem der Arbeitgeber erkannt hatte, welches Potenzial in Qualifizierung steckt, öffneten sich Türen. Der Betriebsrat nutzte den Tarifvertrag zur Qualifizierung und etablierte jährliche Weiterbildungsgespräche. Andrea Deiana, im Betriebsrat zuständig für Aus- und Weiterbildung, prüft regelmäßig, inwieweit die Gespräche stattfinden und hakt nach, wenn in einer Abteilung nichts geschieht. Es gibt einen Weiterbildungskatalog, aus dem die Beschäftigten passende Kurse auswählen können. Dazu gehören Angebote wie „die Gesundheitsschicht“, Rückenschule oder Kulturworkshops. Ein weiteres Ergebnis der Qualifizierungsgespräche: 16 Ungelernte machen eine Ausbildung zum Fachlagerist. In Krisenzeiten bildeten sich einige Arbeitnehmer zum Mechatroniker weiter. Dafür wurden sie zum Teil freigestellt. Der Älteste war schon 54 und am Ende Klassenbester.

Älteren Beschäftigten muss der Betriebsrat oft die Angst nehmen. Eine Kollegin war seit 20 Jahren in der Sattlerei. Sie hatte immer genäht: Sitze, Bezüge – den ganzen Tag. Nun sollte sie in der Kabelfertigung mit Schaltplänen und am Computer arbeiten. „Was, wenn ich das nicht schaffe?“, fragte sie den Betriebsrat. „Nichts dann“, entgegnete er. Die Frau setzte sich an den Computerundschaffte es. Sich weiterbilden, lernen – bei MAN ist das Alltag. „Wenn wir die Arbeit hier behalten wollen, müssen wir besser sein als andere“, sagt Andrea Deiana. „Und das werden wir nur, wenn wir lernen.“


Lust am Lernen mit 40

Nicht nur Älteren fällt es schwer, etwas Neues zu lernen. Am seltensten bilden sich Un- und Angelernte weiter. Das zeigen Statistiken und die Beschäftigtenbefragung der IG Metall. Es bilden sich vor allem die weiter, die schon gut qualifiziert sind. Das sind meistens Angestellte.

Es gibt Ausnahmen. Roland Müller putzt von morgens sechs bis zum frühen Nachmittag Fußböden, Maschinen und Schallschutzkabinen in einer Fischkonservenfabrik in Cuxhaven. Abends lernt er Geschichte. Früher wäre es dem 52-Jährigen nicht eingefallen, neben der Arbeit noch zu lernen. Lust darauf machte ihm erst ein Tarifvertrag. 2004 hatte die IG Metall mit der Tarifgemeinschaft Feinstblechpackungsindustrie Nord einen Qualifizierungsfonds vereinbart. 1,36 Prozent der Summe, die die Unternehmen jedes Jahr für Entgelte zahlen, sollen in den Topf fließen. Aus ihm werden Kosten finanziert, die bei Weiterbildung anfallen. Es muss sich um persönliche Weiterbildung handeln, also um Kurse, die Beschäftigte nach eigenen Wünschen aussuchen.

In Roland Müllers Firma Ardagh, die unter den Tarifvertrag fällt, sind mehr als die Hälfte der Belegschaft angelernte Maschinen- und Anlagenbediener. „Am Anfang waren viele skeptisch“, erinnert sich Ulrich Köhler, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Ardagh. Aber dann wurde die Weiterbildung schnell zu einer Erfolgsgeschichte: Gut die Hälfte der 250 Beschäftigten haben das Angebot genutzt; 80 Prozent davon waren gewerbliche, sehr viele angelernte. Dass es gelang, die Hemmschwellen zu überwinden hatte drei Gründe: Betriebsräte und Vertrauensleute sprachen die Kollegen an: Was interessiert Euch? Sie sammelten Ideen und schufen Kontakte zu Bildungseinrichtungen. Ein weiterer Grund für Köhler: „Die Leute gehen zu mehreren in einen Kurs. Wenn man die Leute kennt, mit denen man lernt, ist es leichter.“ Außerdem war für jeden etwas dabei: Englisch, Computerkurse, Fortbildungen zum Meister, Fotokurse, Yoga, gesunde Ernährung.

Wenn Betriebsräte sich darum kümmern, dass geringer Qualifizierte bei Weiterbildung genauso zum Zuge kommen wie die anderen und wenn es in Betrieben Programme gibt, die speziell auf Angelernte und Beschäftigte in der Montage und Produktion zugeschnitten sind, kann es so gut laufen wie bei Ardagh.

Roland Müller arbeitete früher im Lager und lud Konserven in Lastwagen. Immer musste er sich bücken oder Teile heben. Vor einigen Jahren wurde er an der Bandscheibe operiert. Seitdem achtet er auf seine Gesundheit. „Ich muss janocheinige Jahre arbeiten.“ Er geht zur Rückenschule und im Sommer fährt er mit acht Kolleginnen und Kollegen in ein Kloster, um zu meditieren, entspannen und wandern. Auch wenn es „persönliche Weiterbildung“ ist: „Indirekt“, sagt Betriebsrat Köhler, „fällt immer etwas für die Arbeit ab. Schon dadurch, dass man etwas gemeinsam macht.“


Tarifverträge nutzen

Die IG Metall hat nicht nur in der Feinstblechpackungsindustrie Tarifverträge zu Weiterbildung abgeschlossen, sondern auch für die Metall- und Elektroindustrie. Meist geht es um Qualifizierung, die betrieblich notwendig ist, damit Beschäftigte ihren Job besser machen, mit neuen Entwicklungen in ihrem Arbeitsgebiet Schritt halten oder auf eine andere Stelle wechseln können. In Baden-Württemberg ist auch persönliche Weiterbildung ein Thema: Wer fünf Jahre im Betrieb ist und zum Beispiel studieren will, kann bis zu fünf Jahre ausscheiden und erhält die Garantie, danach wieder eingestellt zu werden.

Aber die Betriebe in der Metall- und Elektroindustrie nutzen die Verträge bisher kaum. Für die Beschäftigten ist neben dem Bremsfaktor Zeit das Geld das größte Problem. Für persönliche Weiterbildung muss der Arbeitgeber nichts zahlen. Darunter leidet auch die Attraktivität der Bildungsteilzeit in Bayern. Gerade junge Menschen mit Familie können nicht jahrelang vom halben Lohn leben. Tarifverträge über Bildungsteilzeit sind grundätzlich eine gute Sache. Aber damit sie gelebt werden, braucht es mehr. Carmen Bahlo, die Betriebsrätin bei ZF in Brandenburg, fordert, dass sich Arbeitgeber an den Kosten beteiligen. Ähnlich wie bei der Altersteilzeit könnten sie den Teilzeitlohn aufstocken.

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