Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren in der Europäischen Union (EU). Rund ein Fünftel (22,2 Prozent) der Beschäftigten verdient weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohnes – sie arbeiten für einen Niedriglohn. Besonders stark betroffen sind Menschen in atypischen Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit, Werkverträgen oder Minijobs.
Ihre Zahl steigt – in der Metall- und Elektroindustrie fallen dieser Entwicklung in jedem fünften Betrieb Stammarbeitsplätze zum Opfer. Parallel steigt zum Beispiel die Fremdvergabe durch Werkverträge. Eine Umfrage der IG Metall unter Betriebsräten in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen im Herbst 2011 ergab, dass die Ausweitung von Werkverträgen in knapp einem Viertel der Betriebe zum Streitthema zwischen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgeber wurde. In rund einem Drittel der Betriebe kam es zu Konflikten, weil Arbeit ausgelagert und gleichzeitig Arbeitsplätze abgebaut werden sollten.
Was erwarten die Beschäftigten?
Dieser Trend läuft gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die große Beschäftigtenbefragung der IG Metall hat gezeigt: Sie wollen sichere, gute und interessante Arbeit. Das bedeutet: Einen unbefristeten Arbeitsplatz mit einem verlässlichen Einkommen, von dem sie gut leben können. Deshalb erwarten sie von den politisch Verantwortlichen, dass sie etwas tun, um den ausufernden Niedriglohnsektor einzugrenzen und dem Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen einen Riegel vorzuschieben.
Was fordert die IG Metall?
Deutschlands Fachkräfte, ihr Wissen und Können sind der größte Wettbewerbsvorteil des Landes. Dieser Vorteil geht verloren, wenn sich der Arbeitsmarkt weiter aufspaltet: in gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze auf der einen, und schlecht bezahlte und unsichere Jobs auf der anderen Seite. Die Wirtschaft braucht kein günstiges „Humankapital“, sondern mündige, motivierte, selbstbewusste und zufriedene Menschen, deren Leistung fair belohnt wird. Dafür brauchen wir eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Und dazu gehören: Flächentarifverträge, Mindestlöhne und eine Ausweitung der Mitbestimmung.
Deshalb fordert die IG Metall neben einem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots bei der Leiharbeit sowie die Begrenzung der Verleihdauer. Es muss der Grundsatz gelten: gleiche Arbeit – gleiches Geld. Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge müssen klar voneinander abzugrenzen sein. Der Missbrauch von Werkverträgen muss künftig unter Strafe stehen, wozu Vermutungsregelungen gesetzlich festzulegen sind. Um Missbrauch möglichst zu verhindern, brauchen Betriebsräte umfassende Informations- und Mitbestimmungsrechte.
Was versprechen die Parteien?
Wie wollen die im Bundestag vertretenen Parteien auf die Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt und die Erwartungen der Menschen reagieren? Das versprechen sie in ihren Wahlprogrammen:
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Die SPD möchte laut Wahlprogramm prekäre Beschäftigung eindämmen und sozial abgesicherte und existenzsichernde Arbeit zur Norm machen. Dazu plant die Partei unter anderem, sachgrundlose Befristungen abzuschaffen und Mini-Jobs sozial besser abzusichern. Leiharbeit und Werkverträge sollen gesetzlich geregelt und „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gesetzlich durchgesetzt werden.
Beim Umfang und der Dauer von Leiharbeit und Werkverträgen möchten die Sozialdemokraten die Mitbestimmung von Betriebsräten ausbauen. Auch soll der Missbrauch von Werkverträgen und der Einsatz von Schein-Werkverträgen unterbunden werden. Die SPD kündigt darüber hinaus an, einen flächendeckenden Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro einzuführen, sollte sie sich bei der Bundestagswahl durchsetzen.
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU)
Die Unionsparteien CDU und CSU bekennen sich in ihrem Wahlprogramm zu Leiharbeit, Befristungen und Werkverträgen. Statt gesetzliche Regelungen bei Leiharbeit und Werkverträgen einzuführen, verweist die Union auf die Sozialpartner. Ihrer Vorstellung nach sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften sicherstellen, dass kein Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen stattfindet. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn lehnen CDU und CSU ab.
Bündnis 90/Die Grünen
Wie die SPD wollen auch die Grünen prekäre Beschäftigung und Minijobs eindämmen und sachgrundlose Befristungen abschaffen. Den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen will die Partei begrenzen und deren Missbrauch verhindern. Leiharbeitnehmer sollen zudem ab dem ersten Tag den gleichen Lohn erhalten wie Stammbeschäftigte (Equal Pay) und auch die gleichen Rechte haben wie sie. Verbesserungen verspricht die Partei bei der Mitbestimmung für Betriebsräte und dem Kündigungsschutz. Auch die Grünen befürworten einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro.
Die Linke
Wie SPD und Grüne hat sich auch die Linke auf die Fahnen geschrieben, prekäre Beschäftigung wie Leiharbeit und Werkverträge einzudämmen. Für die Partei ist Equal Pay nicht genug, sie plant einen Flexibilitätsbonus für Leihbeschäftigte. Außerdem möchte die Linke das Synchronisationsverbot wieder einführen.
Minijobs sollen zu voll sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen werden mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 18 Stunden. Auch sollen Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können, wobei Gewerkschaften ein einseitiges Vetorecht erhalten sollen. Wie die Grünen, will die Linke den Kündigungsschutz stärken. Weiter als bei SPD und Grünen gehen die Pläne der Linken bei Thema Mindestlohn: Der soll zehn Euro betragen.
Freie Demokratische Partei (FDP)
Wie die Unionsparteien bekennt sich auch die FDP zu Minijobs und zur Leiharbeit. Gesetzliche Regelungen für eine neue Ordnung auf dem Arbeitsmarkt lehnen die Liberalen ebenso ab wie die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns.