Offener Brief von IG Metall-Betriebsräten
Missbrauch von Leiharbeit verhindern

Die Betriebsratsvorsitzenden großer Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie drängen auf gesetzliche Regelungen gegen den Missbrauch von Leiharbeit. In einem offenen Brief fordern die Arbeitnehmervertreter die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, dem in der kommenden Woche zur ...

18. März 201118. 3. 2011


... Beratung anstehenden Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) in der vorgelegten Form nicht zuzustimmen.

Der Gesetzentwurf biete keinen Schutz vor Missbrauch von Leiharbeit, so die Unterzeichner, darunter die Konzern- und Gesamtbetriebsratsvorsitzenden von Bosch, BMW, Daimler, EADS, MAN, Miele, Porsche, Siemens, ThyssenKrupp, Vattenfall und Volkswagen. Die Betriebsräte fordern, den ’Equal Pay’-Grundsatz ohne Abweichungsmöglichkeiten, die Wiedereinführung des Synchronisationsverbots und die Einführung einer arbeitsplatzbezogenen Höchstüberlassungsdauer in das Gesetz aufzunehmen. Die Unterzeichner des Offenen Briefes vertreten über eine halbe Million Beschäftigte und repräsentieren mehr als 72 000 Betriebsräte.

Gefahr für den Standort
Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, sieht durch den zunehmenden Einsatz von Leiharbeit den Industriestandort Deutschland gefährdet: „Qualitätsproduktion und Exportweltmeister mit billiger Leiharbeit – das geht auf Dauer nicht zusammen“. Die Praxis der Leiharbeit führe zur Ungleichbehandlung und entziehe den betroffenen Beschäftigten Jahr für Jahr Einkommen in Milliardenhöhe. Mit fatalen Folgen, so Wetzel: „Den Sozialkassen fehlen Beiträge, dem Staat Steuermittel und der Wirtschaft Kaufkraft und Nachfrage.“ Deshalb sei jetzt die Politik gefordert. Sie habe es in der Hand, eine soziale Ordnung für den Arbeitsmarkt der Zukunft zu schaffen und dem Verfall der Arbeitsmarktsitten entgegenzuwirken.



Der offene Breif der IG Metall-Betriebsräte im Wortlaut

Offener Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir Betriebsratsvorsitzende der IG Metall haben täglich mit den Folgen der Leiharbeit zu tun: Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer sind Beschäftigte zweiter Klasse, denen gleicher Lohn und gleichwertige Arbeitsbedingungen für gleiche Arbeit verweigert werden. Das Instrument Leiharbeit, konzipiert um Auftragsspitzen abzufangen, wird missbraucht, um Arbeits- und Tarifbedingungen zu unterlaufen und Dumpinglöhne zu etablieren.

Aktuell sind rund 900 000 Menschen in Leiharbeit beschäftigt – ca. 400 000 in der Metall- und Elektronindustrie. Die Unterschiede der Einkommen sind erschreckend: Sie liegen bei den Leiharbeitnehmern und Leiharbeitnehmerinnen um bis zu 40 Prozent unter denen der fest Angestellten mit vergleichbaren Tätigkeiten. Diese Einkommensunterschiede führen zu Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten der Unternehmen, die keine Leiharbeit einsetzen oder Leiharbeit besser bezahlen. Eine weitere Folge ist die rasant steigende Anzahl der sogenannten „Aufstocker“: Mindestens jeder zehnte Leiharbeitnehmer kann seinen Lebensunterhalt trotz Arbeit nicht allein bestreiten und ist auf zusätzliche ALG II-Leistungen angewiesen.

In unseren Betrieben haben wir gehandelt: Mehr als 800 Betriebsvereinbarungen wurden allein im Organisationsbereich der IG Metall abgeschlossen. Damit haben wir verhindert, dass Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen.

Das wird alleine nicht reichen: Sie als Gesetzgeber können das Lohndumping über Leiharbeit verhindern. Sie können für alle Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen verbessern und „Equal Pay“ herstellen.

Mit dem vorliegenden Entwurf für das „Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes – Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“ wird der Missbrauch von Leiharbeit nicht verhindert. Die zukünftige gesetzliche Lohnuntergrenze ist richtig. Sie bringt aber für die meisten Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen keine Verbesserung. Sie kann allenfalls verhindern, dass das Lohnniveau noch weiter absackt.

Die Abweichungsmöglichkeiten vom Grundsatz des „Equal Pay“ müssen im AÜG gestrichen werden. Nur dadurch wird dem gesetzlichen Anspruch der Gleichbehandlung auch praktisch Wirkung verschafft. Geschieht dies nicht, wird dem Abbau von Stammbeschäftigung Tür und Tor geöffnet, dem Ausbau des Niedriglohnbereichs weiter Vorschub geleistet und Mitbestimmungsrechte unterwandert.

Arbeit darf nicht zur Ramschware verkommen. Arbeit ist der wertvollste Rohstoff, den Deutschland besitzt. Dieser Bedeutung der Arbeit für unsere Gesellschaft wird der vorliegende Gesetzentwurf nicht gerecht.

Wir fordern Sie deshalb eindringlich auf, dem Entwurf in dieser Form nicht zuzustimmen und in dem Gesetz folgende Grundsätze aufzunehmen:
  • „Equal Pay“ ohne Abweichungsmöglichkeiten
  • Wiedereinführung des Synchronisationsverbots
  • Einführung einer arbeitsplatzbezogenen Höchstüberlassungsdauer.


Mit freundlichen Grüßen,

für die mehr als 72.000 Interessensvertreterinnen und Interessensvertreter der IG Metall:

Lothar Adler, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Siemens AG
Rainer Backhaus, Konzernbetriebsratsvorsitzender Benteler Deutschland GmbH
Jürgen Bänsch, Vorsitzender Gesamtbetriebsrat manroland Gruppe
Uwe Beckmann, Konzernbetriebsratsvorsitzender Schaeffler Technologies
Udo Belz, Konzernbetriebsratsvorsitzender Alstom
Josef Berger, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Demag Cranes & Components GmbH Wetter/Ruhr
Jürgen Bunge, Gesamtbetriebsratsvorsitzender ZF Lemförder GmbH
Peter Camin, Betriebsratsvorsitzender Hydro Aluminium Rolled Product GmbH
Hans Fischl, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Continental AG
Detlef Dirks, GBR-Vorsitzender der MAN Diesel&Turbo SE
Jürgen Dorn, Vorsitzender Konzernbetriebsrat MAN Truck & Bus AG
Elmar Freund, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH
Klaus Franz, Konzernbetriebsratsvorsitzender Adam Opel AG
Egon Friedel, Betriebsratsvorsitzender der Preh GmbH, Bad Neustadt
Axel Goebels, Konzernbetriebsratsvorsitzender der TRW Deutschland Holding GmbH
Angelika Harpering-Kemper, Betriebsratsvorsitzende der Verwaltung hülsta-werke Hüls GmbH & Co. KG
Sigurd Hauptig, GBR Vorsitzender JCI Automotive Experience
Dieter Hinkelmann, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates Ford-Werke GmbH
Uwe Hück, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Dr. Ing. h.c.F. Porsche AG
Michael Iglhaut, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Continental Teves AG & Co. oHG
Erich Klemm, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Daimler AG
Rainer Krupp, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Vattenfall Europe AG
Jürgen Ladberg, Arbeitsdirektor V & M Deutschland GmbH
Holger Lenz, Betriebsratsvorsitzender F.S. Fehrer Automotive GmbH
Alfred Löckle, Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Robert Bosch GmbH
Wilfrid Loos, Vorsitzender Gesamtbetriebsrat MAN Truck & Bus Deutschland GmbH (MTBD)
Peter Mosch, Gesamtbetriebsratsvorsitzender Audi AG
Bernd Osterloh, Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrats Volkswagen AG
Christian Peschel, Betriebsratsvorsitzender Carl Zeiss Jena GmbH Standort Oberkochen
Kay Pietsch, Konzernbetriebsratsvorsitzender KION Group GmbH
Thomas Pretzl, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der EADS Deutschland GmbH
Wilhelm Rose, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Wincor Nixdorf International GmbH
Jens Rothe, Vorsitzender der Gesamtbetriebsrates Volkswagen Sachsen GmbH, Zwickau
Francesco De Salvo, Konzernbetriebsratsvorsitzender Faurecia Autositze GmbH
Willi Sattler, Gesamtbetriebsratsvorsitzender OSRAM GmbH
Werner Scherer, Gesamtbetriebsratsvorsitzender DEUTZ AG
Thomas Schlenz, Vors. Konzernbetriebsrat der ThyssenKrupp AG
Wilfried Schmid, Konzernbetriebsratsvorsitzender Iveco Magirus AG
Manfred Schoch, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der BMW AG
Roman Selgrath, Konzernbetriebsratsvorsitzender der Stahl-Holding-Saar
Reinhold Siegers, Konzernbetriebsratsvorsitzender GEA Group AG
Klaus Soboll, Betriebsratsvorsitzender Hülsta-werke Hüls GmbH & Co. KG – Werk Ottenstein
Werner Schrödl, Gesamtbetriebsratsvorsitzender KRONES AG
Christian Schwandt, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der SZAG Heiner Sürken, Gesamtbetriebsratvorsitzender Miele & Cie. KG
Mike Ullmann, GBR -Vorsitzender der Sumitomo Electric Bordnetze GmbH
Wolfgang Weber, Betriebsratsvorsitzender Kennametal Widia Produktions GmbH & Co. KG
Rainer Wietstock, Betriebsratsvorsitzender John Deere Mannheim

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