Occupy-Bewegung: Interview mit Olaf Gruß von der DGB-Jugend
„Wir wollen so lange bleiben, bis sich was verändert hat“

Nach der Wall Street in New York ist die „Occupy“-Bewegung ist nun auch in Deutschland gegen das Diktat der Finanzwirtschaft aktiv. In Frankfurt am Main campieren sie vor der Europäischen Zentralbank und demonstrieren samstags. Einer von ihnen ist Olaf Gruß, Jugendsekretär des DGB ...

3. November 20113. 11. 2011


... Hessen-Thüringen, der jedoch betont als Privatperson dabei ist und mitorganisiert.

Was ist die Occupy-Bewegung? Und was sind ihre Ziele?
Olaf Gruß: Die Ziele von „Occupy“? Das ist im Moment ganz spannend. Die Bewegung findet sich gerade erst und sucht gerade noch Inhalte und Ziele. Da sind ganz unterschiedlichen Positionen dabei: von Leuten, die sagen: „Kapitalismus ist okay – aber bitte nicht so“, bis hin zu denen, die das Finanzsystem und die Banken in die öffentliche Hand überführen oder gar verstaatlichen wollen. Es gibt jedoch einen Minimalkonsens: gegen das herrschende Finanzsystem und gegen das Diktat der Banken.


Wo kommt „Occupy“ überhaupt her? Das ging ja doch sehr plötzlich.

Das ist in der Öffentlichkeit vielleicht so rüber gekommen. Aber in Wahrheit lief da schon viel im Internet, in sozialen Netzwerken und auf Blogs. Und international sehr vernetzt. Die Bewegung geht nicht nur von New York aus, sondern hat viele Ursprünge, etwa die „Indignados“ in Spanien, die schon seit Monaten aktiv sind. Auch das Camp in Frankfurt ist international: Italiener, Spanier und viele andere, die Englisch sprechen und von denen ich gar nicht weiß, wo sie herkommen. Das Küchenzelt etwa organisiert ein kanadischer Backpacker.

Wer sind denn die Verantwortlichen, die Macher? Gibt es das überhaupt bei Occupy?
Das ist ja das Interessante: Die Bewegung erfindet die Demokratie gerade neu. Es gibt keine offiziellen Vorsitzenden und keine Sprecher. Alles wird demokratisch in Vollversammlungen entschieden. Die Umsetzung übernehmen Aktionsgruppen, in den jedoch nicht immer die selben Gesichter sitzen, sondern ständig neue Leute kommen und gemeinsam etwas auf die Beine stellen. Für die Medien ist das oft schwierig: Die wollen immer ein Gesicht, einen Ansprechpartner, einen Chef. Das gibt es aber einfach nicht.


Warum machst Du mit? Und wie sind Gewerkschaften generell beteiligt?
Ich mache da als Privatperson mit, nicht als Olaf Gruß vom DGB. Ich bin einfach zum Camp hingegangen und habe gefragt, ob ich mitmachen und helfen kann. Erst mal war ich irritiert: kein Sprecher, kein Vorsitzender. Dann habe herausgefunden, wer das Camp offiziell bei den Behörden angemeldet hat und mit ihm geredet. Ich habe angeboten: Ich kann Euch bei der Organisation helfen, bei Demo-Anmeldungen bei der Stadt bis hin zum Material – vom Megafon und der Mini-Tonanlage, bis hin zum Zelt. Da habe ich ja viel Erfahrung, die dort oft fehlt. Außerdem moderiere ich bei den Demos. Auch andere Gewerkschafter unterstützen unkompliziert. Das wird sehr positiv registriert.

Warum sehen wir dann keine Gewerkschaftsfahnen?
Es gab da eine Abstimmung – und 99 Prozent sagten: keine Fahnen und Symbole von Parteien und Verbänden. Deshalb sind auch die Gewerkschafts-Embleme etwa auf Zelten verdeckt. Die Leute halten ihre selbstgemalten Schilder hoch – und nicht die von „Polit-Profi“-Gruppen, die das ganze für sich vereinnahmen. Ich finde das gut. Und: Ich komme mit Leuten ins Gespräch, mit denen ich nie geredet hätte, wenn ich wüsste, von welcher Gruppe die kommen – und plane mit ihnen gemeinsam Aktionen. Es geht. Wir haben Studierende, Rentner – und sogar Investmentbanker dabei. Beispielsweise Jörn. Der ist sogar schon bei „Hart aber fair“ im Fernsehen aufgetreten.


Wie verhalten sich die Behörden und die Polizei?

Also, ein so unkompliziertes Zusammenspiel habe ich selten erlebt. Die Behörden verhalten sich da fast schon väterlich. Bei der letzten Demo war die Polizei gerade mal mit drei Autos mit je sechs Mann dabei und sehr entspannt. Aber die Occupy-Leute betonen ja auch immer wieder, dass sie alles legal machen wollen – und räumen beispielsweise im Camp regelmäßig auf und machen sauber. Insgesamt werden wir von überall sehr unterstützt. Das Schauspielhaus stellt Räume für Besprechungen zur Verfügung. Das Gesundheitsamt hat uns sogar Kondome gespendet – leider viel zu klein, um sie den Banken überzustülpen, um uns wirklich zu schützen (lacht). Und von der Bevölkerung bekommen wir Sach- und Essenspenden. Das Küchenzelt ist voll. Und dort helfen sogar Obachlose mit, spülen und räumen auf. Klar bekommen die da auch einen warmen Platz. Aber: Sie haben eine Aufgabe gefunden, die sie ernst nehmen.


Wie geht es weiter mit Occupy? Die Demo-Zahlen gehen ja schon zurück.
Ich bin da vorsichtig. Die Medien erwarten, dass es immer nach oben geht. Die jungen Leute im Camp sind zwar hartnäckig. Aber schließlich kommt bald der Winter und die Weihnachtszeit. Wichtig ist, dass es dann ab Januar wieder nach oben geht. Da brauchen wir neue kreative Aktionsformen. Wir sind gerade dabei, doch etwas strukturierter vorzugehen. Anfangs war das noch zu chaotisch. Beispielsweise haben Leute eine Demo angemeldet – und sind dann verschwunden. Das muss verlässlicher und geplanter werden. Unsere Message ist jedenfalls: „Wir wollen so lange bleiben, bis sich etwas verändert hat.“


Und wie kann Euch unterstützen oder sogar mitmachen?

Insgesamt ist es wichtig, dass die Gewerkschaften und vor allem die Gewerkschaftsjugend Dampf machen, europaweit. Beispielsweise am 10. Dezember zum Tag der Menschenrechte. Aber auch jeder einzelne kann was tun. Kommt einfach vorbei und schaut, wo Ihr Euch einbringen könnt – und bleibt verlässlich dabei.

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