Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, machte deutlich, worin die Brisanz liegt: „Dass sich die Arbeitswelt wandelt, ist normal – neu ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Wandel vollzieht.“ Oft fällt in diesem Zusammenhang der Begriff „Disruptiv“. Eine disruptive Technologie ist eine Innovation, die beispielsweise ein bestehendes Produkt vollständig verändert – oder gar verdrängt. Und damit womöglich auch dessen Hersteller. Der einstige Markführer für Handys, Nokia, könnte ein Lied davon singen. Aber nicht nur Technik, auch Dienstleitungen und Tätigkeiten wandeln sich durch die Digitalisierungen massiv. Erst kürzlich ist wieder eine Studie erschienen, die prognostiziert, die Digitalisierung mache in den kommenden Jahren Millionen Arbeitsplätze überflüssig.
(Fotos: Ingo Cordes)
Egal welche Bedeutung man solch düsteren Prognosen beimisst: Von allein wird selten etwas gut. Es gilt, Antworten auf die gigantischen Herausforderungen zu finden. Im Fokus stehen Bildung, gute Arbeitsbedingungen und faire Bezahlung. Um diese Werte auch mit in die digitale Welt zu nehmen, ist es wichtig, dass sich Arbeitnehmervertreter, Führungskräfte, Wissenschaft und Politik austauschen. Gestern kamen rund 100 dieser Experten beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt zusammen, im Rahmen des Projekts „Digit-DL“. Der Austausch stand unter dem Titel: „Disruptiver Wandel – Gute Arbeit in der digitalen Ökonomie neu gestalten“.
Um herauszufinden, in welche Richtung sich die digitale Arbeitswelt entwickeln wird, könnte ein Blick ins Silicon Valley helfen. Aus diesem Grund haben Zukunftsforscher Andreas Boes und Tobias Kämpf vom „Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung München“ (ISF) die Bay Area im Rahmen des „Digit-DL“-Projekts besucht. Ziel waren Start-Ups, aber auch die Entwicklungs-Labs namhafter Vorreiter-Unternehmen der digitalen Ökonomie. Die Ergebnisse der zahlreichen Interviews mit Entwicklern und Managern haben sie den Teilnehmern der Tagung präsentiert. (Mehr im Interview)
Ihr Appell: Wir müssen begreifen, dass wir uns einer grundlegend neuen Ära der Industrialisierung gegenübersehen. „Aber wir brauchen uns mit unserer kulturellen Intelligenz nicht in die altmodische Ecke stellen lassen“, sagte Andreas Boes. Das sei etwas, womit wir in Deutschland selbstbewusst umgehen sollten.
Natürlich müsse man sich gegenüber den positiven Chancen der Digitalisierung öffnen. Unternehmen und Politik sollten aber nicht versuchen, das System Silicon Valley zu kopieren. Hinter den Innovationen dort stecke ein blinder Technizismus. Vielmehr müssten wir lernen, gewachsene Industriestrukturen und eine auf Ausgleich orientierte Gesellschaft in das digitale Zeitalter hineinzuentwickeln.
Einen Vorteil sieht Zukunftsforscher Boes in der deutschen Mitbestimmung. „Ich glaube, an der Beteiligung wird sich die ganze Sache entscheiden.“ Man dürfe den Leuten nicht einfach irgendetwas vor die Füße schmeißen nach dem Motto „friss oder stirb“. Dies könne nur zu unnötigen Widerständen führen und Potenziale würden nicht ausgeschöpft. Boes: „Man muss auf die Menschen zugehen und die neuen Möglichkeiten gemeinsam mit ihnen herausarbeiten.“ Dazu müsste die Beteiligung noch stärker genutzt werden. Den Gewerkschaften komme da eine historische Verantwortung zu.
Im Silicon Valley werden Start-Ups mit Risikokapital regelrecht überschüttet. Viele davon floppen. Der Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, Stefan Hartung, sagte provokant: „Ganz ehrlich, so dumm ist diese Denke doch gar nicht. Alle zehn Jahre ein PayPal oder ein Amazon – das reicht doch.“ Effizienz sei an vielen Stellen von gestern. Es gehe um Effektivität.
„Wir können das hier in Deutschland nicht so abbilden“, sagte Hartung, „aber ein Stück weit müssen wir so denken.“ Bosch hat kürzlich ein riesiges Forschungszentrum in Renningen eröffnet. 1700 Forscher und Entwickler arbeiten dort unter dem Motto „Vernetzt für Millionen Ideen“. Der Campus mit seinen verschiedenen Entwicklungs-Labs soll den Beschäftigten Start-Up- und Silicon Valley-Mentalität im positiven Sinne bieten. Durch neue Raumkonzepte, aber auch durch neue Strukturen soll die Team-Arbeit gefördert werden.
„Wir haben bei den Beschäftigten in den Betrieben einen neuen Geist und eine Generation, die Lust hat auf Agilität, Kreativität – frei von Hierarchien und traditionellen Karrieremustern“, sagte Christiane Benner. Um die Potenziale zu nutzen, müssten die Unternehmen den Beschäftigten mehr Empowerment ermöglichen. Für Innovationen und Kreativität sei eine dienende Führung nötig.
„Auch wenn die Herausforderungen gewaltig sind: Wir haben gute Ausgangsbedingungen, sie zu meistern“, zeigte sich Christiane Benner zuversichtlich. Die Grundlage für erfolgreiche Geschäftsmodelle im Internet der Dinge sei der kreative Mix. „Die Basiszutaten für diesen Mix – industrielle Erfahrung, Ingenieurskunst, IT-Kompetenz – die haben wir.“ Vor dem Silicon Valley brauche man sich nicht zu verstecken. „Mit Empowerment und Kraft und eigenen Visionen von guter digitaler Arbeit können wir die Zukunft gestalten!“
Das Projekt Digit-DL ist ein Verbundprojekt unter Leitung des ISF München in Zusammenarbeit mit der IG Metall. Es wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Weitere Informationen dazu hier.