Textil-Tarifrunde 2012: Beschäftigte leisten hochwertige Arbeit
Muster mit Wert

Die Textil- und Bekleidungsindustrie mausert sich zu einer Branche für Hightech-Produkte. Ihre Beschäftigten leisten hochwertige Arbeit. Und dafür wollen sie angemessen bezahlt werden. Die IG Metall führt gerade Tarifverhandlungen um mehr Geld für sie.

29. Oktober 201229. 10. 2012


Die Feuerwehrmänner in Hongkong, der finnische Formel-1-Rennfahrer Kimi Räikkönen, Geldsäcke deutscher Banken und Soldaten der Vereinigten Arabischen Emirate: Sie alle haben etwas gemeinsam. Und das verbindet sie auch noch mit Theatervorhängen, Autositzen, Kuscheldecken und Hollywood-Filmkulissen. Es ist der Stoff, in dem sie stecken oder aus dem sie gemacht sind. Er stammt aus den Ibena-Werken in Bocholt und Rhede im Münsterland.

Ein flacherweißer Bau im Industriegebiet der 20 000-Einwohner-Stadt Rhede. Die erste Halle ist ein Lager, in dem Riesengarnrollen in allen Farben gestapelt sind. In der nächsten Halle sind Dutzende Garnrollen auf Gestellen aufgereiht. Ihre Fäden laufen zu einer großen Walze, dem Kettenbaum. An ihm steht Michael Kreling. Er beobachtet, ob Fäden reißen. Wenn ja, zieht er sie von Hand wieder ein. 5528 Fäden laufen für einen 1,70 Meter breiten Stoff auf die Rolle. Er kontrolliert alles, verknotet die Enden, wenn die aufgerollten Fäden die nötige Länge erreicht haben, und sorgt für neues Garn. Kreling bedient mehrere Maschinen.

Winzige Nadeln

Vor der nächsten Halle hängt ein Behälter mit Ohrstöpseln. Ohne Gehörschutz darf niemand die Weberei betreten. In den Maschinen, die hier lärmen, sind Kettenbäume eingespannt. Durch ihre längs laufenden Fädenwerden per Luftdüse Querfäden geschossen. So entstehen Webstoffe. Meterlange Textilien in unterschiedlichen Farben und Mustern laufen durch die Maschinen, werden geprüft und geschnitten.

Ein Teil wird in der Rauerei maschinell mit zigtausend winzigen Nadeln haarig gemacht und geschoren. Es sind Stoffe, die Fachgeschäfte später als flauschige Kuscheldecken anbieten. Aber vorher müssen sie in die Näherei. Während die Frauen und Männer in den bisherigen Abteilungen vor allem Garne und Stoffe ein- und ausspannen und die computergesteuerten Fertigungsprozesse kontrollieren, sitzen die Frauen in der „Konfektion“, wie die Näherei heißt, an Nähmaschinen und versehen Plaids mit Kantenbändern und Etiketten. Andere falten fertige Decken von Hand, bevor sie eingeschweißt und in Kartons verpackt werden. Die Frauen arbeiten fast alle auf 400-Euro-Basis.

Schutzkleidung ist so gefragt wie noch nie, sagt Ibena-Entwicklerin Britta: Foto: Karsten Wiehe/Artvertise
Glänzende Geschäfte. Schutzkleidung ist so gefragt wie noch nie, sagt Ibena-Entwicklerin Britta Smeulders. Mit Betriebsrat Gerd Jansen zeigt sie ein glänzendes Exemplar aus dem vielfältigen Sortiment.

Dagmar Unland ist seit 16 Jahren bei Ibena – mit Unterbrechungen. „Ich würde gern sechs Stunden täglich auf Steuerkarte arbeiten“, sagt sie. „Aber solche Jobs gibt es hier nicht mehr.“ Wie fast alle Frauen in der Konfektion hatte sie ein paar Jahre ausgesetzt, als ihre Kinder klein waren, und danach gab es für sie nur noch Minijobs. „Entweder geringfügige Beschäftigung oder die Näherei wird dichtgemacht – vor diesen Alternativen standen wir“, berichtet Gerd Jansen, der Betriebsratsvorsitzende.

Blessuren

Arbeitsintensive Tätigkeiten wie Nähen sind schon in den 1970er-Jahren weitgehend aus Deutschland verschwunden und in Billiglohnländer verlegt worden. Nur noch wenige Textilfirmen haben, wie Ibena, fast die komplette Produktion in Deutschland erhalten. Ohne Blessuren ging das auch hier nicht ab. Früher gab es einmal über 500 Beschäftigte in den beiden Werken. Die Weberei war mit über 100 Maschinen dreimal so groß wie heute. Nachdem immer mehr Kunden billige Importware kauften, verfrachtete das Unternehmen die Webmaschinen nach Tschechien. Im Münsterland gab es eine große Kündigungswelle.

288 Frauen und Männer sind übrig geblieben. Nach einer Insolvenz und einem Sanierungstarifvertrag, der den Beschäftigten längere Arbeitszeiten und Lohnkürzungen abverlangte, steht Ibena heute wirtschaftlich wieder gut da. Für die gesamte Branche rechnet der „Gesamtverband Textil und Mode“ nach einem schon sehr umsatzstarken Jahr 2012 im nächsten mit weiteren drei Prozent Wachstum.

Rund 120 000 Menschen arbeiten heute in der deutschen Textil- undBekleidungsindustrie. Die Firmen, die den Niedergang in den 1970er Jahren überlebten, verdanken ihren Erfolg meist einer Spezialisierung auf qualitativ hochwertige Produkte. „Bei hochpreisigen Materialien sind deutscheTextilunternehmen international wettbewerbsfähig“, sagt Britta Smeulders, Entwicklerin bei Ibena. Zwei Drittel des Umsatzes erwirtschaftet die Firma mit Schutzkleidung und Industrietextilien, wie Autositzen, Filtern, Membranen, mit Stoffen, die digital bedruckbar sind, Maschinenbespannungen für Großwäschereien.

Qualifizierte Arbeit

Im Oktober haben für die westdeutschen Beschäftigten Tarifverhandlungen begonnen. Motto: „Einkommen – mehr ist fair“. Es geht um mehr Geld. Am 9. Oktober hat der IG Metall-Vorstand die Forderung beschlossen: fünf Prozent plus für zwölf Monate. Am 6. November ist die dritte Verhandlung. Setzen die Beschäftigten mit der IG Metall kräftige Einkommenserhöhungen durch, profitieren davon auch die geringfügig beschäftigten Frauen. Ihre Stundenlöhne wachsen mit. Das heißt: Wer mit seiner Stundenzahl schon jetzt auf 400 Euro kommt, muss weniger arbeiten. Und wer weniger arbeitet, bekommt mehr Geld.

Die Friedenspflicht, innerhalb der keine Arbeitskämpfe geführt werden dürfen, ist gerade abgelaufen. „Ich bin bereit, für mehr Geld auch zu kämpfen“, erklärt Michael Kreling. „Wir Textiler leisten hochwertige Arbeit. Wir benötigen das gleiche Fachwissen wie Kolleginnen und Kollegen in anderen Industriebranchen, um unsere computergesteuerten Maschinen bedienen zu können. Aber wir verdienen weniger.“

Faire Löhne

Das stimmt. In der Industrie insgesamt verdiente ein Arbeitnehmer 2011 im Schnitt 3316 Euro brutto – ohne Sonderzahlungen, in der Bekleidungsindustrie 2828 Euro und in der Textilindustrie sogar nur 2459 Euro. „Die Hersteller sehen sich selbst als Zukunftsbranche“, sagt IG Metall-Verhandlungsführer Michael Jung. „Aber wenn sie sich für die Zukunft gut aufstellen wollen, müssen sie Fachkräfte binden. Eine Voraussetzung dafür sind ordentliche Löhne.“

Und noch etwas erwartet die IG Metall: „endlich tarifliche Regelungen zur Altersteilzeit und Übernahme der Azubis. Damit“, sagt Jung, „wäre Textil und Mode wirklich eine attraktive Zukunftsbranche.“
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