Welttag für menschenwürdige Arbeit
Beschäftigte schenken ihren Chefs Freizeit und bares Geld

Knapp eine Milliarde Stunden Arbeit haben die Deutschen 2015 ihren Arbeitgebern geschenkt, weil Überstunden nicht ausgeglichen oder vergütet wurden. Umgerechnet sind das 600 000 Stellen. „Mehr Jobs statt Mehrarbeit“ fordert die IG Metall und protestierte dagegen mit einer Aktion in Berlin.

7. Oktober 20167. 10. 2016


100 000 knallrote Bälle rollten heute vor den Eingang des Hauses der Deutschen Wirtschaft in Berlin. Dort befinden sich die Zentralen des Bundesverbands der Deutschen Industrie e.V. (BDI) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Ein „Überstunden-Laster“ hatte die roten Bälle vor den Toren der beiden Verbände entladen und stehen für die 100 000 unbezahlten Überstunden, die Arbeitnehmer pro Stunde anhäufen. Die Firmen sparen damit 600 000 Vollzeitstellen, hat die IG Metall ausgerechnet. Mit den 100 000 Bällen macht die IG Metall am „Welttag für menschenwürdige Arbeit“ deutlich, was Überstunden bedeuten: Sie versperren nicht nur den Weg in den verdienten Feierabend und die persönliche Lebensgestaltung, sondern blockieren auch Arbeitsplätze.

 

 

Welche Auswirkungen Überstunden im betrieblichen Alltag haben, das erklärt Jens Engelbrecht, Betriebsrat bei Koyo: „Irgendwann fiel uns auf, dass die Leute kaum noch Zettel für Mehrarbeit abgaben.“ Der Betriebsrat schaute sich schließlich die Arbeitskonten an: 2011 waren 5800 Stunden verfallen, 2012 waren es 6400 und so ging es Jahr für Jahr. Allein im Jahr 2011 haben die Beschäftigten des Autozulieferers Koyo im westfälischen Halle ihrem Arbeitgeber 150 000 Euro geschenkt.


Zu viel Arbeit für zu wenige Leute

Und so läuft es nicht nur bei Koyo. Die Arbeit muss schließlich gemacht werden. Kaum einer hinterfragt, ob es nicht einfach zu viel Arbeit für zu wenige Leute ist. Die einen, weil ihnen ihre Arbeit Spaß macht. Die anderen, weil sie unter Druck stehen. „Die Arbeitgeber haben den Druck nach mehr Flexibilität, Verfügbarkeit und Leistung in den vergangenen Jahren zu Lasten der Beschäftigten enorm gesteigert. Das ist zutiefst ungerecht.“, sagt Jörg Hofmann. Die Unternehmen nutzten das aus und drängten Beschäftigte in unfreiwillige, unbezahlte Mehrarbeit, kritisiert der Erste Vorsitzende der IG Metall und fordert: „Jede Stunde zählt und muss auch bezahlt werden.“

 

Grafik: Fast eine Millarde unbezahlte Überstunden

 

 

 

Insgesamt kamen die Arbeitnehmer in Deutschland im vergangenen Jahr auf 1,8 Milliarden Überstunden. Mehr als jede zweite Überstunde war geschenkt, also nicht bezahlt oder ohne Freizeitausgleich. Die Folgen: 997 Millionen Überstunden blieben unbezahlt, offenbart die Statistik des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Diese wertvollen Stunden bezahlen die Beschäftigten – oft mit Verzicht auf Familienleben, Freunde oder Hobbys und mit ihrer Gesundheit.


997 Millionen Überstunden blieben unbezahlt

Beim Autozulieferer Koyo in Halle haben sich die Zeiten inzwischen geändert. Eine neue Vereinbarung zur Gleitzeit begrenzt die Stundenkonten und regelt, was mit den Stunden, die darüber hinaus gehen, geschieht. „Arbeitszeit verfällt nicht mehr. Stunden oberhalb von 35 werden abgebaut oder bezahlt“, sagt Jens Engelbrecht. Beim Betriebsrat kommen wieder Mehrarbeitszettel an und Engelbrecht führt Diskussionen, die er schon seit Jahren nicht mehr kannte. „In der Konstruktion reden wir jetzt über mehr Personal.“

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