Gewerkschaftstag: Interview mit Witich Rossmann
„Gewerkschaftstage bringen frischen Wind in die IG Metall“

Als Sprecher der Antragsberatungskommission erläutert Witich Rossmann den Delegierten gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kolleginnen hunderte Anträge auf dem Gewerkschaftstag. Wir reden mit ihm über die Debatten im Saal, über die Erfahrungen der Basis und Mitbestimmung in der Friedenspolitik.

16. Oktober 201516. 10. 2015


Witich, drei Tage wird der Gewerkschaftstag Anträge beraten. Warum dauert das so lange?

Witich Rossmann: Die Delegierten werden über 455 Anträge entscheiden. Wenn man das bedenkt, ist das gar nicht so viel Zeit. Schließlich sollen sie ja nicht einfach nur abstimmen, sondern da, wo es in ihren Augen nötig ist, über die Inhalte auch diskutieren können.

Was macht die Diskussionen so wichtig?

Ob Männer und Frauen, Arbeiter und Angestellte oder Migranten und Deutsche: Die Mitglieder der IG Metall spiegeln die Gesellschaft wider. Es muss uns gelingen, bei aller Unterschiedlichkeit der Menschen, die gemeinsamen Themen und Ziele zu identifizieren. Das geht aber nur, wenn alle ihre Interessen und Erfahrungen einbringen können. Genau das soll durch die Anträge und Debatten auf dem Gewerkschaftstag passieren.

Doch es muss letztlich auch entschieden werden.

Genau. Es geht nicht darum, von oben zu verordnen, sondern ins Zentrum zu stellen, was den Leuten an der gewerkschaftlichen Basis – in den Betrieben vor Ort – wichtig ist. Die Delegierten repräsentieren die gewerkschaftliche Basis. Sie wissen, was los ist in den Betrieben, sie kennen die Bedürfnisse und Probleme der Kolleginnen und Kollegen. Beim Gewerkschaftstag können sie die strategische Ausrichtung ihrer Gewerkschaft beeinflussen.

Welche Rolle spielt die Basis?

Sie ist entscheidend für den Erfolg unserer Organisation. Wir sind als IG Metall nur dort durchsetzungsfähig, wo sich die Leute an der Basis für unsere Forderungen einsetzen. Dafür müssen sie selbst von der Sache überzeugt sein. Gewerkschaftstage bringen oft frischen Wind in die IG Metall.

Kannst Du das an einem Beispiel erklären?

Ende der siebziger Jahre gab es auf dem Gewerkschaftstag eine intensive Kontroverse zur Frage, wie der hohen Arbeitslosigkeit begegnet werden sollte. Die Delegierten forderten damals, die Arbeitszeit zu verkürzen. Sie entschieden mit knapper Mehrheit dafür, sogar gegen die Empfehlung des Vorstands. Dieses Ziel wurde dann über mehrere Jahre in den Tarifverhandlungen und harten Arbeitskämpfen verfolgt und letztlich durchgesetzt. Das Ergebnis war die 35-Stunden-Woche. An solchen Beispielen zeigt sich deutlich, wie wichtig die Basis ist und welchen Einfluss sie hat.

Was werden denn die großen Themen in diesem Jahr sein?

Die Flüchtlingsfrage wird beim Gewerkschaftstag eine große Rolle spielen. Dabei werden auch die Ursachen der Flüchtlingswelle zur Sprache kommen. Wir werden über Krieg, Militärinterventionen und die Frage nach einer gerechten Weltwirtschaftsordnung ebenso sprechen müssen, wie über Arbeitszeiten und Industrie 4.0 in den Betrieben.

Welche Aufgabe übernimmt die Antragsberatungskommission, deren Sprecher du bist?

Der Gewerkschaftstag wird über 455 politische Anträge aus den Verwaltungsstellen beraten. Wir haben sie im Vorfeld den Entschließungen und Leitanträgen des Vorstandes zugeordnet, damit sie zusammenhängend diskutiert werden können. Darüber hinaus haben wir für jeden Antrag eine Beschlussempfehlung erarbeitet, um den Delegierten eine Entscheidungshilfe zu geben.

Worum handelt es sich bei den Entschließungen und Leitanträgen genau?

So nennen wir die Anträge, die vom Vorstand eingebracht werden. Sie definieren die Arbeitsschwerpunkte der IG Metall. Während die Entschließungen aber eher die Grundsatzpositionen der Organisation enthalten, geht es bei den Leitanträgen darum, festzustellen, was konkret in den nächsten vier Jahren angepackt werden soll. Die großen Themen werden Arbeitszeit, Rente, Werkverträge, Beteiligung und die Junge IG Metall sein. Ihnen haben wir die Anträge der Verwaltungsstellen zugeordnet.

Was erhoffst Du Dir persönlich vom Gewerkschaftstag?

Ich hoffe, dass wir uns beim Thema internationale Friedenspolitik, soziale Weltwirtschaft und gerechte Verteilung klar positionieren. Darüber hinaus ist mir das Thema Beteiligung an den Entscheidungen in unserer Organisation und klare Regelungen dazu wichtig.
 

Witich Rossman, 62, ist Erster Bevollmächtigter der IG Metall-Verwaltungsstelle Köln-Leverkusen. Seit 1999 nahm er durchgängig an allen Gewerkschaftstagen der IG Metall als Delegierter oder als Kommissionsmitglied teil.

Neu auf igmetall.de

Newsletter bestellen