Keine private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur
Priorität beim Staat

Öffentliche Investitionen sollten vorrangig aus Steuermitteln finanziert und zudem von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Das schreibt Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandmitglied der IG Metall, in seinem Gastbeitrag fürs „Handelsblatt“.

23. September 201523. 9. 2015


Marode Straßen mit riesigen Schlaglöchern, unbefahrbare Brücken, Investitionsstaus bei Schiene, Schiffsverkehr, Energie- und Breitbandnetzen: In Deutschland wird seit Jahren zu wenig investiert – sowohl vom privaten Sektor als auch von der öffentlichen Hand. Das hat mittlerweile erhebliche Auswirkungen auf Branchen und Standorte.

Wenn die Investitionen in Deutschland auch weiterhin hinter dem Durchschnitt der OECD-Länder zurückbleiben, sieht es düster aus für Zukunft und Wachstum der Wirtschaft. Hier sind öffentliche Hand und privater Sektor gefordert. Hohe Produktivität und Innovationsführerschaft lassen sich nur sicherstellen, wenn die Unternehmen in deutsche Standorte investieren.


Investitionen sind überfällig

Die Voraussetzung für überfällige Investitionen in Infrastruktur und Bildung muss jedoch die Politik schaffen. Aber wie kann trotz Schuldenbremse die strukturelle Unterfinanzierung der Infrastruktur beseitigt werden, ohne den öffentlichen Haushalt massiv zu belasten? Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat dazu im Sommer 2014 eine Expertenkommission aus Unternehmens- und Gewerkschaftsvertretern, Verbandsspitzen und Wissenschaft berufen, die klären sollte, woher das Geld kommen könnte, um die Investitionslücke zu schließen.

Der Abschlussbericht liegt seit April 2015 vor. Neben einer Stärkung kommunaler Investitionen empfehlen die Experten die Schaffung einer privaten Infrastrukturgesellschaft für die Bundesfernstraßen, die unter öffentlicher Kontrolle stehen würde. Diese soll sich durch Mauteinnahmen finanzieren und privaten institutionellen Anlegern sowie einem Bürgerfonds für individuelle Sparer Investitionsmöglichkeiten bieten.

Dem haben die in der Expertenkommission beteiligten Gewerkschaftsvertreter nicht zugestimmt – weil es deutlich bessere Finanzierungsmöglichkeiten gibt. Die IG Metall schlägt stattdessen einen Pakt zur gerechten Finanzierung vor: Öffentliche Investitionen sollten dazu vorrangig aus Steuermitteln finanziert werden.

Um die Lasten gerecht zu verteilen, müssen die bisherigen Steuerprivilegien für sehr hohe Vermögen, Einkommen und Erbschaften wieder rückgängig gemacht werden. Darüber hinaus muss die öffentliche Hand ihren fiskalpolitischen Handlungsspielraum voll nutzen. Allein im Jahr 2014 hätte der Staat einen Verschuldungsspielraum von etwa 35 Milliarden Euro ausschöpfen können, nutzte diese Option aber nicht. In den nächsten Jahren werden weitere Milliardenbeträge nicht ausgeschöpft. Außerdem sollten die öffentlichen Investitionen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Damit würde die in der Finanzwissenschaft anerkannte „Goldene Regel“ wieder angewendet, und eine Neuverschuldung in Höhe der öffentlichen Investitionen wäre möglich. Erst wenn diese Optionen ausgeschöpft sind, sollten die im Expertenbericht vorgeschlagenen neuen Finanzierungsinstrumente in Betracht kommen.


Historisch einmaliges Niedrigzinsumfeld

Aber auch dann gilt: Die private Finanzierung darf nicht wesentlich teurer sein als eine direkte Kreditaufnahme durch den Staat. Heute kann sich die öffentliche Hand so günstig wie noch nie Geld am Kapitalmarkt leihen. Das historisch einmalige Niedrigzinsumfeld von nur 0,2 Prozent für langfristige Bundesschulden sollte genutzt werden.

Auch die Vorschläge der Kommission zur Förderung von privaten Investitionen durch Steuersenkungen lehnen die Gewerkschaften ab, weil solche Maßnahmen schon in der Vergangenheit keinen Erfolg hatten. Sie würden zu empfindlichen Steuerausfällen in Höhe von fast fünf Milliarden Euro führen. Die Vorschläge zementieren nicht nur die ohnehin ungleiche steuerliche Belastung von Arbeit und Kapital, sie würden die Schere zulasten der Beschäftigten weiter öffnen. Erinnern wir uns: Anfang 2000 wurden der Spitzensteuersatz und die Körperschaftsteuer gesenkt, bereits 1997 wurde die Vermögensteuer ausgesetzt. Trotzdem wurde nicht zusätzlich investiert.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einer Investitionsstrategie, die noch im Herbst durch das Kabinett verabschiedet werden soll. Nur wenn die nächsten Schritte klug gewählt werden, kann sich der Investitionsstau in Deutschland auflösen. Das wird nur gelingen, wenn die Bundesregierung die Vorschläge der IG Metall ernst nimmt und in ihrer Strategie aufgreift.

 

Der Gastbeitrag erschien am 23. September 2015 im Handelsblatt.

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