Stefanie, die meisten jungen Menschen interessieren sich kaum für europäische Politik. Du bist aktive Metallerin und engagierst Dich seit einiger Zeit auch auf der europäischen Bühne. Du könntest doch auch Dein Leben genießen, chillen und Partys feiern. Warum machst Du das alles?
Stefanie Holtz: Seit Beginn meiner Ausbildung 2008 bin ich aktiv, habe in der Jugend- und Auszubildendenvertretung mitgemacht und im Ortsjugendausschuss der
IG Metall in Stralsund-Neubrandenburg. Mir war es schon immer wichtig, mitreden zu können und nicht, dass andere über unsere Köpfe hinweg entscheiden. Ich finde, vor allem junge Menschen sollten die Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Betrieben nutzen, damit in der Ausbildung nichts schief läuft.
Aber was hat die Ausbildungssituation der jungen Leute hier mit Europa zu tun?
In meinem Studium beschäftigte ich mich auch mit europäischen Themen. Seitdem ist mir klar, wie wichtig Europa für uns alle ist. Deshalb bin ich auch im internationalen Arbeitskreis der IG Metall Jugend aktiv. Die nächste große Hürde ist für uns, Druck auf die Verhandlungen zum
Freihandelsabkommen TTIP zwischen USA und Europa zu machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Rechte von jungen Beschäftigten, Auszubildenden und Studierenden geopfert werden. Arbeitnehmerrechte und Verbraucherschutz müssen bei diesem Abkommen vor wirtschaftlichen Interessen stehen. Sie müssen gestärkt und ausgeweitet werden.
In den südlichen Ländern haben die Regierungen unter dem Druck der Troika Tarifverträge und soziale Standards abgebaut. Die Zeche zahlen die Menschen. Millionen müssen länger arbeiten, verdienen nur noch die Hälfte und sind sozial nicht abgesichert. Wie kann diese Ungerechtigkeit gestoppt werden?
Die Troika ist eine nicht gewählte undemokratische Gruppe aus Europäischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Internationaler Währungsfonds. Man muss sich das mal vorstellen: Nur sieben Menschen entscheiden über das Schicksal von Millionen europäischer Bürgerinnen und Bürgern. Die offizielle Aufgabe der Troika ist es, mit den Krisenstaaten zu verhandeln und die Sparmaßnahmen zu kontrollieren, die sie den Ländern aufgezwungen hat.
Um die derzeitigen Missverhältnisse zu stoppen, muss es einen klaren Politikwechsel in den EU-Gremien geben. Die
Austeritätspolitik muss weg. Stattdessen muss in Bildung, Wissenschaft, öffentlicher Sektor und Infrastruktur investiert werden. Wir müssen die Parteien zur Europawahl auffordern, das Handeln der Troika zu stoppen und sich stattdessen für die Menschen einzusetzen.
Vor allem junge Südeuropäer trifft die Krise hart. Was muss aus Deiner Sicht passieren, damit die junge Generation wieder an Europa und eine bessere Zukunft glaubt?
Die
Jugendarbeitslosigkeit ist trotz Jugendgarantie und Export des deutschen dualen Ausbildungssystems noch lange nicht überwunden. Junge Menschen sind so gut qualifiziert wie nie, finden aber nach dem Studium oder der Ausbildung keinen Arbeitsplatz. Auch die aufgelegten Sparmaßnahmen vernichten zusätzlich Ausbildungsplätze. In der Jugendgarantie sind Maßnahmen wie Praktika und prekäre Scheinselbstständigkeiten verankert. Sie sind aber keine Option für ein gutes Leben und bieten keinerlei Perspektive.
Und wie kann es besser werden?
Um eine „echte“ Jugendgarantie umzusetzen, wird mehr Geld benötigt. Möglich wäre es, einen europäischen Fonds für die Berufsausbildung zu schaffen, der von Staaten und Unternehmen finanziert wird. Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände müssten diesen Fonds überwachen. Auch die Einführung eines europaweiten Mindestlohnes könnte das gegenseitige Ausspielen von Standorten und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verhindern.
Manche Kritiker stellen die EU als bürokratisches und krisenverschärfendes Ungetüm dar. Wofür steht Europa für Dich?
Europa steht für mich für Frieden, Solidarität und Vielfalt. Leider ist die momentane Situation eine andere. Wir müssen aufpassen, dass Europa sich nicht spaltet. Europa kann und muss mehr sein als ein Staatenverbund – sowohl auf parlamentarischer als auch auf betrieblicher Ebene.
Und welche Politik ist notwendig, damit junge Europäer gehört werden und ihre Zukunft selbst mitgestalten können?
Das europäische Parlament braucht mehr Rechte, damit wir das Ziel eines vereinten Europas mit erlebbarer Demokratie möglich machen können. Die Novellierung der
EBR-Richtlinie 2009 war ein richtiger Schritt. Doch europäische Betriebsräte haben immer noch keine Rechte, um in unternehmerischen und personellen Fragen mitbestimmen zu können. Außerdem brauchen wir für die Jugend Strukturen wie etwa eine „
Euro-JAV“ (europäische Jugend- und Auszubildendenvertretungen), denn sie sind die Experten der Ausbildung.
Wenn Du gefragt wirst: Was sagst Du Menschen in Deinem Alter, warum sie am 25. Mai wählen sollen?
Wir müssen gemeinsam losziehen, um alle Menschen für die Europawahl zu mobilisieren. Wir brauchen dringend einen Wechsel hin zu einem sozialen Europa, damit unsere Demokratie nicht in Gefahr gerät und die unsoziale Sparpolitik gestoppt wird. Wenn wir nicht wählen gehen, überlassen wir womöglich europafeindlichen Parteien das Feld. Unser Europa muss wieder zum Grundkonsens von Frieden und Einheit zurückkehren, denn Europa geht uns alle an.