Spektakulär, wie unspektakulär das also ausschaut. Die A9 an einem Wochentag morgens, Berufsverkehr zwischen Ingolstadt und Nürnberg: Fließender Verkehr auf allen drei Spuren, Menschen am Steuer, die alle irgendwohin wollen. Die beschleunigen, überholen, einscheren, blinken, bremsen, lenken, und mittendrin, von außen nicht zu unterscheiden, dieser Audi, der sich seinen Weg bahnt, Kilometer für Kilometer, der ebenso beschleunigt, überholt, einschert, blinkt, bremst, lenkt. Wie ein ganz normales Auto. Dabei ist es das nicht. Noch nicht. Der Audi, der da im Frühjahr auf der A9 mit einer Maximalgeschwindigkeit von 130 km/h hin und her pendelte, ist kein gewöhnlicher Wagen. Es ist ein Prototyp, ein umgerüsteter A7, vollgestopft mit Technik, mit leistungsfähigen Rechnern, mit vielen Kameras und Sensoren. Mit diesem Gefährt, von den Entwicklern liebevoll „Jack“ getauft, erprobt Audi derzeit hochautomatisiertes Fahren – und das bedeutet: Sobald der Fahrer per Knopfdruck an Jack übergibt, navigiert der durch den Verkehr.
Mensch wird zum Passagier
Der Mensch ist dennoch nicht völlig abgemeldet. Zu jedem Zeitpunkt kann der Fahrer eingreifen, den Computer ausschalten, das Lenkrad wieder in die Hand nehmen. Die Fahrten auf der A9 sind Tests hin zum vollautomatisierten Fahren. Bei diesem fährt der Wagen dann vollends selbstständig. Der Mensch wird zum Passagier.
Das ist keine Science Fiction. Alle großen Hersteller forschen am führerlosen Fahren und präsentieren ihre neuen Entwicklungen auf der aktuell stattfindenden IAA in Frankfurt. Alle machen große Fortschritte: In den USA fuhr der umgebaute A7 führerlos 900 Kilometer von Kalifornien nach Las Vegas; Daimler präsentierte jüngst den ersten selbst fahrenden LKW, der eine Zulassung für öffentliche Straßen hat; BMW zeigte ein aufgerüstetes Elektromodell, das sich ohne Fahrer selbstständig einen Parkplatz sucht.
Der Unterschied liegt vor allem in den Begriffen. Bei VW und Audi sprechen sie vom „pilotiertem“ Fahren, BMW „automatisiert“ seine Fahrzeuge, Mercedes dagegen sagt „autonomes“ Fahren. Einig aber sind sie alle darin, dass selbstfahrende Autos im Straßenverkehr nur eine Frage der Zeit sind. In den kommenden drei bis vier Jahren, das hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) berechnet, wollen die deutschen Hersteller und Zulieferer 16 bis 18 Milliarden Euro in die Forschung zum automatisierten Fahren investieren. Tausende Ingenieure arbeiten am vernetzten, selbstfahrenden Auto. Mit jedem Tag kommen sie ihrem Ziel näher.
Technik im Griff
Besichtigen lassen sich die Vorboten der Umwälzung bereits heute. Es sind die intelligenten Fahrerassistenzsysteme, die nahezu alle Anbieter bei sich im Programm haben: Spurhalteassistent, Abstandsregeltempomat, Einparkhilfe, Rangier- und Baustellenassistent, in den vergangenen Jahren kam es zum Boom solcher Hilfssysteme- und deren Einsatzmöglichkeiten sind lange nicht ausgereizt.
Das alles zeigt: Die Technik zum automatisierten Fahren haben die Ingenieure bereits heute weitgehend im Griff. Die Sensoren sind praxistauglich, präzise und stabil, die Entwicklung von elektronischer Lenkung, von Gas- und Bremsaktorik macht keine Probleme, die Bordcomputer werden immer schneller und leistungsstärker, immer kleiner und robuster.
Freie Fahrt also in die schöne neue Welt der selbstfahrenden Autos, der intelligent gelenkten Verkehrsströme, in der es keine Staus mehr gibt und so gut wie keine Unfälle? So einfach ist es nicht. Da sind zum einen rechtliche Hindernisse. Nach dem Wiener Übereinkommen von 1968 muss jeder Fahrer zu jeder Zeit die Kontrolle über sein Fahrzeug haben, autonomes Fahren wird so ausgeschlossen. 2014 passten die Vereinten Nationen die Vereinbarung den technischen Möglichkeiten an, sie muss aber noch in nationales Recht umgesetzt werden.
Schwieriger wird es mit einer anderen Voraussetzung, die für ein automatisiertes Fahren vorhanden sein muss: eine gute Infrastruktur. Nur wenn Fahrspuren genau gekennzeichnet sind, nur wenn Baustellen ordentlich angezeigt werden und nur wenn Straßen nicht mit Schlaglöchern übersät sind, können selbstfahrende Autos verlässlich und sicher zum Ziel steuern. Und schließlich ist da die Herausforderung der Daten. Automatisierte Fahrzeuge sind auf präzise Informationen über das Umfeld und über sich selbst angewiesen; sie müssen zu jeder Zeit wissen, wo sie sind, und sie müssen zu jeder Zeit wissen, was vor ihnen liegt. Nötig sind Echtzeit Verkehrsdaten und Eigenlokalisierung. Für sie müssen jederzeit aktuelle Kartensätze vorhanden sein. Big Data und IT werden deshalb für die Autobauer immer wichtiger. Es geht um das Sammeln und Auswerten, um das Verknüpfen und Bereitstellen riesiger Datenmengen in Echtzeit. Vor allem geht es darum, über möglichst viele Daten eigenständig verfügen zu können. Gelinge dies nicht, warnte erst kürzlich VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh das eigene Unternehmen, bestehe die Gefahr, dass VW „auf einmal nur noch Hardware-Lieferant“ wäre. „Wir müssen die Kräfte im Konzern bündeln, wenn wir nicht wollen, dass Google oder der chinesische Alibaba-Konzern irgendwann bei uns Autos bestellen, um sie mit ihren digitalen Systemen auszustatten.“
Verstärkte Kooperation
Um das zu verhindern, kooperieren mittlerweile selbst harte Rivalen wie Mercedes, Audi und BMW miteinander. Mit dem milliardenschweren Kauf der Nokia-Sparte Here haben sich die Autobauer gerade einen Kartendienst gesichert – und so Zugriff auf eigenes Kartenmaterial, eine eigene Navigationssoftware. „Kooperation auf solchen Feldern ist genau der richtige Weg“, sagt Michael Brecht, der Daimler-Gesamtbetriebsratsvorsitzende, „es geht darum, stark zu bleiben und nicht
abhängig vom Silicon Valley zu werden.“
Die Kooperation der Drei ist ein Fingerzeig. Sie weist darauf, dass künftig noch mehr zusammengearbeitet werden muss, um die Chancen, die die Digitalisierung des Fahrens mit sich bringt, zu entfalten. Das ist auch das Ziel einer Arbeitsgruppe der IG Metall, zu der sich Betriebsräte aus der Automobilindustrie sowie externe Experten zusammengefunden haben. „Die digitale Revolution stellt neue Herausforderungen“, sagt Babette Fröhlich, Autoexpertin beim Vorstand der IG Metall. „Als IG Metall ist es unsere Aufgabe Innovationen im Sinne der Beschäftigten voranzutreiben. Wir wollen mitgestalten und mitbestimmen.“