Von Christoph Kappes bis Evgeny Morozov
Rückblick: Das war die Engineering- und IT-Tagung 2014

In wenigen Tagen gehen 300 Technik-Experten auf der „7. Engineering- und IT-Tagung“ der Frage nach: „Wo bleibt der Mensch im digitalen Unternehmen?“ Im vergangenen Jahr machten die Diskussionen bereits deutlich, dass Orientierung und Gestaltung dringend nötig sind.

12. November 201512. 11. 2015


Vielleicht finde der Mensch bald Wege heraus aus seiner „Opferrolle“. Dieser spontan geäußerte Wunsch von Nicole Piechotta, Betriebsrätin der Meyer-Werft, umrahmte im vergangenen Jahr die „6. Engineering- und IT-Tagung“, veranstaltet von der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall.

Schließlich, führte Piechotta weiter aus, seien „wir die Menschen, die mit der Technik arbeiten. Die Technik beherrscht nicht uns.“ Daran wird in diesem Jahr die 7. Tagung vom 18. bis 20. November anschließen, wenn 300 Technik-Experten und Gewerkschafter bei BMW in München über eine Frage diskutieren werden: „Wo bleibt der Mensch?“

Podiumsdiskussion auf der Engineering- und IT-Tagung 2014


So düster der Begriff „Opferrolle“ im vergangenen Jahr klang, so hoffnungsvoll war Nicole Piechottas Wortmeldung aus dem Publikum während der Podiumsdiskussion aber eigentlich gemeint. Und nicht weniger zuversichtlich sprach auch Christiane Benner (Zweite Vorsitzende der IG Metall) zuvor, als sie in ihrer Rede fünf Leitlinien für gute digitale Arbeit vorstellte.

Sie nannte beispielsweise das Umfrageergebnis, das 47 Prozent der Mitarbeiter in Forschung- und Entwicklungsbüros gerne reguläre Arbeit von zu Hause erledigen würden. Nur ließen sich diese Vorzüge des digitalen Zeitalters nicht auf einfachem Wege in besseres Leben und Arbeiten ummünzen, fügte sie an. Denn auch um digitale Errungenschaften, die häufig als Selbstläufer angesehen werden, müsse gekämpft werden.

Vertrauenskultur eher Wunsch als Wirklichkeit

Arbeitgeber tun sich bis heute nicht nur schwer damit, abseits des Arbeitsplatzes geleistete Arbeit ordnungsgemäß abzurechnen. Auch die Ergänzung der Präsenzkultur durch eine Vertrauenskultur sei noch eher Wunsch statt Wirklichkeit.

Die Digitalisierung geschehe heute als „schleichende Veränderung der Arbeitswelt“, sagte Benner. Beschäftigte nähmen ihre Arbeit „im Kopf und im Computer mit nach Hause“. Und nicht nur für die Arbeit dort, sondern schon am regulären Arbeitsplatz fehle heute ein Beschäftigtendatenschutzrecht, eine Anti-Stress-Verordnung, sowie eine umfassende Digitale Agenda.

Personalakte wandelt sich zur „Skill-Datenbank“

Und so drohten Unternehmen die digitalen Möglichkeiten ihrerseits auszureizen: Arbeiten in Werkshallen und Büros würden detaillierter kontrolliert, sagte Benner. Arbeit werde häufiger über Projektmanagementtools verteilt, die auf Beschäftigte wenig Rücksicht nehme und die Personalakte wandle sich allmählich zur „Skill-Datenbank“ inklusive intransparentem Reputationssystem.

Ganz zu schweigen vom Clickworker, der als „digitaler Fließbandarbeiter unakzeptable und schäbige“ Allgemeine Geschäftsbedingungen akzeptieren müsse, mit denen die neuen Plattformbetreiber eine „Ausbeutung 2.0“ betrieben. Fortschritt sei nur dann „wirklicher Fortschritt“, wenn er „bessere Bedingungen für die Beschäftigten“ bedeute, sagte Benner im vergangenen Jahr. Noch scheue man aber die breite Diskussion darüber, in welchem Verhältnis, „die den Computer Beherrschenden und die vom Computer Beherrschten“, stünden.

Mit diesem Gedanken eröffnete bereits Detlef Wetzel die Tagung. Eine Digitalisierungsagenda müsse „immer auch eine Agenda für die Zukunft der Arbeit“ sein, forderte der damalige Erste Vorsitzende der IG Metall.

Digitalisierung mündet nicht in Demokratisierung

Der weißrussische Gastredner Evgeny Morozov, der mit mehreren Buchveröffentlichungen die digitale Debatte intensiv begleitet, stellte in seiner Rede heraus, dass nicht nur die Arbeitswelt von den schleichenden Prozessen betroffen ist. Nach dem Abebben der Euphorie erkenne man heute, dass die Digitalisierung etliche neue Wissensasymmetrien bedeute: Politiker, Arbeitgeber und Anbieter wüssten heute weit mehr über ihre Wähler, Mitarbeiter und Kunden als umgekehrt. Von einer Demokratisierung durch das Internet könne gar keine große Rede sein.

Das gelte im Besonderen für die Digitalisierung der Arbeitsplätze: Könne man sich im Privatleben noch von Facebook und anderen Diensten fernhalten, führe ähnlicher Verzicht in Büros und Werkshallen schnell in Sackgassen, stellte Morozov dar. Das Einwilligungsprinzip, das dem Einzelnen Mitsprache bei der Erhebung und Verarbeitung von Informationen über ihn gewährt, stehe auf der Kippe. Das Recht, gespeicherte Profile einzusehen oder über derartige Datensätze sogar zu verfügen, gäbe es erst gar nicht.

Banken und Versicherungen profitieren

Morozov dramatisierte das Lagebild mit dem Verweis auf die nächste Datenrevolution durch Sensortechnologien, die nicht nur vorhandene Datenspuren aufzeichneten, sondern selbstständig eigene Datensätze erzeugten. Dafür zeigten insbesondere Banken und Versicherungen schon heute großes Interesse, betonte Morozov.

Diese amerikanischen Angelegenheiten – dort wird schon länger und intensiver diskutiert – sind inzwischen auch hiesige geworden, die sich beispielsweise im politischen Streit um die Datenschutz-Grundverordnung niederschlagen. Derzeit verhandelt die EU-Kommission mit den Mitgliedsstaaten und dem Europaparlament darüber. „Ich hoffe, dass die Diskussionen mit dem Parlament nicht zu sehr das Thema Datenschutz nach vorne rückt“, sagte beispielsweise die Bundeskanzlerin beim Gewerkschaftstag der IG Metall vor wenigen Wochen.

Unangebrachter Diskussionsgegenstand

Auf diese Diskussion verwies bei der „6. Engineering- und IT-Tagung“ bereits Thomas Klebe, Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts und ehemaliger Justiziar der IG Metall. Auch ohne Datenschutzverordnung gelte die europäische Datenschutzrichtlinie von 1995, betonte Klebe mit Verweis auf Irland.

Der Blogger Christoph Kappes betonte zuvor vom Podium aus die Rolle der Grundrechte, die dem Einzelnen zur Abwehr des Staates gälten, nicht jedoch im Kampf gegen Facebook. Das Volkszählungsurteil und das in ihm formulierte „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ sei, sagte Kappes, ein unangebrachter Diskussionsgegenstand.

Klebe widersprach ihm und nannte die Urteile des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung und bezüglich Googles Verantwortung in der Bereitstellung von Suchergebnissen bei Namenssuchen. Auch für Irland sei der Europäische Gerichtshof zuständig, betonte Klebe. Er verwies allerdings auch darauf, dass juristische und normative Vorgaben wohl künftig immer unzureichend bleiben würden. Gebraucht und gesucht würden folglich „ergänzende technische Regelungen“, die beispielsweise eine Datenlöschung standardisiert und für den Betroffenen nachvollziehbar garantierten.

Betriebsvereinbarungen nutzen

Jochen Homburg, Rechtsanwalt und Erster Bevollmächtigter der IG Metall Darmstadt, stellte in der Diskussion auf dem Podium heraus, dass man sich bei all dem noch weit weg von Regulierungen am Arbeitsplatz bewege: „Die Bundesregierung wartet mit dem Beschäftigtendatenschutz, bis man in der Europäischen Union fertig sei“, sagte Homburg. Wie lange noch zu warten sei, könne daher gar nicht gesagt werden. Daher warb er dafür, die Möglichkeiten von Betriebsvereinbarungen zu nutzen.

Er berichtete von einem konkreten Fall, in dem eine Löschung von Datensätzen geregelt werden konnte: „Man kann sehr wohl sehr viel tun. Auch wenn es anstrengend ist die Unternehmen zu überzeugen, ihre standardisierten Algorithmen für ein Betriebsratsanliegen zu ändern. Ja, es kostet Geld und macht Arbeit. Aber das Mitbestimmungsrecht gibt die Möglichkeiten, die wir weiterhin nutzen sollten.“

Klassifizierung als „gefährliche Technologien“

Thomas Klebe ergänzte die Ausführungen mit einer weiteren Überlegung. Man könne nämlich darüber diskutieren, sagte er, einzelne Informationstechnologien als „gefährliche Technologien“ zu klassifizieren. Aus der Energiebranche und im Transportwesen ist dieser Umgang mit Technologien bereits bekannt. Auf dem Podium fand dieser Vorschlag breiten Zuspruch.

Bei der Tagung im vergangenen Jahr wurde deutlich, um wie viel es geht – auch heute: „Die Digitalisierung wird viele Arbeitsplätze im mittleren Qualifikations- und Entgeltbereich überflüssig machen“, betonte Christiane Benner. Man spreche über die „größte Gruppe der heutigen Arbeitnehmer“. Die Aushandlungsprozesse um die Gestaltung der künftigen digitalen Arbeit sind nicht weniger umfangreich zu betrachten. Auf dem Podium sprach man von einem „Projekt für Dekaden“.

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