Ab Januar 2019: mehr freie Zeit

Bericht aus Bezirk MitteSeit Februar ist der Wunsch nach mehr freier Zeit, nach mehr Selbstbestimmung für Metallerinnen und Metaller in der Metall-und Elektroindustrie realisierbar.

1. Dezember 20181. 12. 2018


Ab2019 haben Beschäftigte das Recht auf „verkürzte Vollzeit“. Sie können für bis zu zwei Jahre ihre Wochenarbeitszeit auf bis zu 28 Stunden verkürzen. Erste Anträge dazu waren bis 30. Juni 2018 möglich, natürlich können jetzt auch für die Zukunft neue Anträge gestellt werden.

 

Hessen Flyer Arbeitszeit

 

Kolleginnen und Kollegen mit Kindern, pflegebedürftigen Angehörigen und in belastender Schichtarbeit können ebenfalls ab 2019 Geld in freie Zeit umwandeln. Dafür gibt es ab 2019 ein jährliches „tarifliches Zusatzgeld“ in Höhe von 27,5 Prozent des individuellen Monatsentgelts sowie einen Festbetrag in Höhe von 400 Euro (Auszubildende 200 Euro). Ab 2020 beträgt der Festbetrag 12,3 Prozent des dann geltenden Eckentgelts (Entgeltgruppe 5) und erhöht sich in künftigen Tarifbewegungen.

Alle Anspruchsberechtigten hatten bis 31. Oktober 2018 die Möglichkeit, einen Antrag auf die Wandlung des tariflichen Zusatzgeldes in Zeit zu stellen. Freie Zeit ist den Beschäftigten ein wichtiges Anliegen. Das zeigt die Anzahl der gestellten Anträge. Nach einer ersten Übersicht im Bezirk Mitte haben fast 22 000 Beschäftigte der Metall-und Elektroindustrie Anträge gestellt, Geld in Zeit zu wandeln. Die meisten Anträge ― 15 536 ― auf acht freie Tage sind von Schichtarbeiterinnen und Schichtarbeitern gestellt worden.

Über die Erfahrungen in der Geschäftsstelle Nordhessen haben wir mit der Zweiten Bevollmächtigten, Elke Volkmann, und dem Betriebsratsvorsitzenden von Stiebel Eltron in Eschwege, Christian Dölle, gesprochen. Mario in der Au, Betriebsratsvorsitzender des Siemens Generatorenwerks in Erfurt, berichtet ebenfalls über seine Erfahrungen:


Liebe Elke, wie geht Ihr als Geschäftsstelle zur Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelungen vor?

Elke Volkmann: Wir arbeiten mit Betriebsrätinnen und Betriebsräten in unserem Entgelt-Arbeitskreis. Unmittelbar nach dem Verhandlungsergebnis haben wir uns auf die Umsetzung vorbereitet, um Fragen der betrieblichen Kolleginnen und Kollegen kompetent beantworten zu können. Aktuell führen wir Schulungen zu den Themen Quoten-und Volumenmodell, Personalplanung und Leistungsbemessung durch.

Darüber hinaus haben unsere Gewerkschaftssekretärinnen und -sekretäre verstärkt an Betriebsratssitzungen in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie teilgenommen. Tagesordnungspunkt war immer auch die Umsetzung des Tarifergebnisses. In einigen Betrieben haben, unterstützt von Hauptamtlichen unserer Geschäftsstelle, ganztägige Sprechstunden während der Arbeitszeit stattgefunden. Und natürlich haben wir in allen Versammlungen der IG Metall-Vertrauensleute ausführlich zum Tarifvertrag informiert und diskutiert. Im Mittelpunkt stand und steht das Ziel: Allen anspruchsberechtigten Kolleginnen und Kollegen, die Geld in Zeit wandeln möchten, wollen wir dies ermöglichen.


Gibt es einen Betrieb, den Du als beispielhaft in dieser Frage bezeichnen würdest?

Beispielhaft kann Stiebel Eltron in Eschwege genannt werden. Der Betriebsrat hat sehr frühzeitig Gespräche mit der Werkleitung über die Umsetzung des Tarifvertrags geführt.


Was hat dazu geführt, dass die Arbeitgeberseite bei Stiebel Eltron alle gestellten Anträge genehmigen wird?

Aus meiner Sicht ist der Werkleitung bewusst, dass die Beschäftigten kein Verständnis für eine Ablehnung haben würden. Aufgrund des Schichtsystems ist die Belastung sehr hoch. Ich denke, die Werkleitung will die Motivation der Beschäftigten steigern. Durch das hohe Interesse der Beschäftigten werden Neueinstellungen vorgenommen, durch mehr Beschäftigte erhöht sich die Flexibilität, der Standort wird gestärkt. Das ist wichtig, weil Eschwege im Vergleich zum Hauptwerk in Holzminden der deutlich kleinere ist.


Lieber Christian, warum ist der Andrang auf die neuen Arbeitszeitregelungen bei Euch so groß?

Christian Dölle: Wir arbeiten im Vier-Schicht-System von Sonntag 22 Uhr bis Samstag 22 Uhr in 18 Schichten. Durch die kurzzyklisch wechselnden Schichten ergeben sich wenig freie Wochenenden und eine hohe Belastung.Teilweise liegen die freien Tage in der Woche und die Beschäftigten sind froh, durch die zusätzlichen freien Tage mehr Zeit zur Erholung zu haben, die Belastung etwas zu reduzieren.


Wozu möchten die Kolleginnen und Kollegen die neue freie Zeit nutzen?

Unsere Kolleginnen und Kollegen möchten die Zeit nutzen, um zusätzliche freie Tage zu haben, öfter mal am Wochenende zuhause zu sein, die Arbeitstage in der Woche zu verkürzen oder einfach mehr Zeit zum Ausruhen zu haben. Dass dies ein wichtiges Anliegen ist, zeigt die hohe Zahl von Anträgen: Von 55 Anspruchsberechtigen haben 40 einen Antrag gestellt.

Neben der individuellen Nutzung der neuen Arbeitszeitmöglichkeiten gibt es Belegschaften, die sich für eine kollektive Regelung entscheiden. Dies kann zum Beispiel bei Auslastungsproblemen sinnvoll sein. Wenn alle gemeinsam kürzer arbeiten, können Arbeitsplätze gesichert oder auch neue geschaffen werden.


Lieber Mario, Ihr habt Euch in Eurem Betrieb für eine kollektive Nutzung der neuen tariflichen Freistellungszeit entschieden. Warum habt Ihr diesen Weg gewählt?

Mario in der Au: Unsere Branche steht vor Veränderungen, die wir gemeinsam meistern müssen. Der Markt für konventionelle Stromerzeugung wird durch den Ausbau der dezentralen Energieerzeugung (unter anderem die erneuerbaren Energien) kleiner. Die bestehende Kapazität liegt deutlich über dem, was der Markt hergibt. Dies hat Auswirkungen auf die Beschäftigtensituation. Um die Beschäftigung bei Siemens weitgehend zu sichern, mussten wir Betriebsräte handeln. Mit der getroffenen Regelung haben wir die Arbeitszeit im Jahr 2019 verkürzt. Da wir bei Siemens auch in dieser schwierigen Situation betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen haben, führt die kollektive Entnahme von acht bezahlten freien Tagen zu einer Entlastung oder Entspannung bei der veränderten Auftrags- und Personaleinsatzplanung.


Wie kommt diese Regelung bei den Beschäftigten an? Sind alle zufrieden oder gibt es auch kritische Stimmen?

Unsere Kolleginnen und Kollegen können mit dieser Regelung sehr gut leben. Arbeitszeitverkürzung als Instrument der Beschäftigungssicherung stößt auf eine hohe Akzeptanz. Wir haben vereinbart, dass alle Beschäftigten des Standorts Erfurt anstelle der Auszahlung des tariflichen Zusatzgeldes die achtbezahlten freien Tage erhalten. In diese Regelung sind auch die außertariflich angestellten Beschäftigten einbezogen. Standort- und Beschäftigungssicherung geht alle an, „immerhin sitzen wir hier alle in einem Boot“.

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