„Die Frage lautet doch: Trägt die Brücke Kurzarbeit?“

130 Milliarden Euro wiegt das Konjunkturpaket. Doch hat es auch genügend „Wumms“? Das fragen wir Jörg Hofmann, der sich für die Forderungen der IG Metall in Berlin stark gemacht hat.

1. Juli 20201. 7. 2020
Interview: Mirko Kaiser


Jörg, die Mehrwertsteuersenkung ist das „Herzstück“ des Konjunkturpakets. Ist sie das scharfe Schwert im Kampf gegen die Rezession?

Jörg Hofmann: Unser gewerkschaftliches Forschungsinstitut IMK hat alle Studien zusammengetragen, die zur Wirkung von Mehrwertsteuersenkungen verfasst worden sind. Fazit: Es ist große Skepsis angebracht, ob die Mehrwertsteuersenkung beim Kunden ankommt. Gerade in Bezug auf einfache Konsumgüter und die Gastronomie.

Bei den Hotels haben wir bereits die Erfahrung gemacht, dass damals im Zuge der Mövenpicksteuer nichts ankam. Wo sie wirken kann, ist bei hochpreisigen Konsumgütern: bei Möbeln, Autos. Hier kommen spürbare Beträge zusammen, wenn die Mehrwertsteuersenkung an die Kunden weitergegeben wird. Aber: Diese Maßnahme ist eine Absatzförderung ohne jede Lenkungswirkung, die weder Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen und ihren Konsumgewohnheiten noch dem Klima hilft. Denn zum Beispiel gerade bei hochpreisigen hochmotorisierten Fahrzeugen winken hohe Einsparungen.


Was dem Klima geholfen hätte, wäre die Umweltprämie für den Kauf umweltfreundlicher Fahrzeuge, die die IG Metall gefordert hat. Wie würdest Du Luisa Neubauer von Fridays for Future (FFF) davon überzeugen, dass diese Umweltprämie einen ökologischen Nutzen besitzt?

Ich würde darauf hinweisen, dass die IG Metall und FFF sich in einem entscheidenden Punkt einig sind: Wir alle müssen den Klimawandel jetzt aufhalten. Und „jetzt“ bedeutet, dass wir schauen, welche Maßnahmen wir schnell mit großer Wirksamkeit umsetzen können. Eine Maßnahme wäre der zügige Austausch von Autos mit alter gegen solche mit modernster Verbrennertechnologie, gegen Hybride oder E-Autos. Das Problem ist nur, bei E-Fahrzeugen gibt es jetzt schon Lieferengpässe, weil nicht genügend Batterien zur Verfügung stehen und das wird sich in den nächsten Monaten nicht ändern. Wir haben als IG Metall seit Jahren auf diesen Missstand hingewiesen. Wenn ich dann schaue, was jetzt konjunkturell und ökologisch wirksam ist, dann sagen wir als IG Metall: Nehmt die alten Stinker aus dem Markt und ersetzt sie durch moderne Fahrzeuge, auch moderne Verbrenner. Das wirkt sich sofort positiv auf das Klima aus.


„Die IG Metall wird alles dafür tun, dass wir mit möglichst vielen Beschäftigten durch dieses Krisental kommen.“


Das Konjunkturpaket enthält Maßnahmen, die die Beschäftigung in der Automobilindustrie sichern könnten: mehr Geld für E-Ladestationen, Anreize zur Flottenerneuerung bei Lkw und Bussen, Geld für Zukunftsinvestitionen der Hersteller und Zulieferer. Wie sehr hilft all das der Branche?

Das sind viele richtige Maßnahmen, die allerdings mittelfristig wirken. Sie sind eher Teil eines Investitionsprogramms für die von uns geforderte Transformation, aber weniger konjunkturelle Maßnahmen, die kurzfristig wirken.


Im Paket stecken auch Instrumente, die die IG Metall schon lange fordert, etwa die Stärkung der Wasserstoffwirtschaft, die EEG-Umlage wird abgesenkt, die Deckelung von Fotovoltaik aufgehoben und die Mittel für Gebäudesanierung verdoppelt. Wie bewertest Du diese Maßnahmen?

Hier haben wir echte Fortschritte erzielt. Etwa bei der Wasserstoffstrategie. Die hat nicht nur für die Automobilindustrie, sondern auch für die maritime Wirtschaft und die Stahlindustrie enorme Bedeutung. Alles in allem ist hier vieles enthalten, das in die richtige Richtung zielt. Wir als IG Metall werden darauf achten, dass die Förderprogramme abgerufen und umgesetzt werden. Dass aus den Versprechungen reale Taten werden, die Beschäftigung sichern und Transformation fördern.


Thema Ausbildung. Auch die leidet unter der Corona-Pandemie. Die Regierung will bis zu 3000 Euro Prämie für Ausbildungsplätze zahlen. Symbolpolitik oder wirksam?

Jenseits jeder Prämie sehe ich die Arbeitgeber in der Pflicht, Ausbildungsplätze zu erhalten und noch mehr für die Ausbildung zu tun. Der demografische Wandel fällt nicht aus wegen der Corona-Pandemie. Wer jetzt Ausbildungsplätze streicht, der verbaut sich seine Zukunft, weil ihm dann Fachkräfte fehlen. Von 3000 Euro macht wohl kein Arbeitgeber seine Entscheidung abhängig, einen Ausbildungsplatz zu schaffen oder eben nicht. Aber es ist ein klares Statement der Politik an die Arbeitgeber: „Handelt verantwortlich, sichert Ausbildungsplätze, und wer zusätzlich Ausbildungsplätze schafft, der übernimmt Verantwortung für die Gesellschaft.“


Familien erhalten 300 Euro Kinder­bonus. Ist das angemessen?

Der Kinderbonus ist eine richtige Maßnahme, die auch die IG Metall auf der Agenda hatte. Familien mit Kindern waren und sind sehr stark belastet durch die Folgen der Pandemie. Insofern ist der Bonus eine materielle Anerkennung für die Familien, die angesichts geschlossener Kitas und Schulen, häufig im Spagat zwischen Homeschooling und Homeoffice, vor einer Zerreißprobe standen und zum Teil auch noch stehen. Zur Wirkung auf die Wirtschaft: Die 300 Euro können zum Konsum beitragen.


Seit seinem Tief Ende März hat der MSCI World Index 38,5 Prozent gewonnen. Der Ölpreis steigt, der Preis des Industriemetalls Kupfer erholt sich. An den Finanzmärkten wächst also die Überzeugung, dass die schlimmste Phase der Pandemie vorbei ist. Wie analysierst Du die Lage mit Deiner Kenntnis der Situation in Betrieben und Konzernen?

Wir sehen an den Finanzmärkten eine Blase, eine Entwicklung, die der Situation der Realwirtschaft nicht entspricht. Die OECD geht davon aus, dass wir 2020/2021 in eine massive Weltwirtschaftskrise steuern. Und im Gegensatz zur Krise 2009/2010 haben wir keinen, der uns durch Nachfrage aus dem Sumpf zieht – wie damals China. China ist nicht mehr in diesem Umfang abhängig von den Exporten aus Deutschland. Wir müssen uns also selbst aus dem Sumpf ziehen. Daher ist jetzt schon erkennbar: Es geht nicht schnell nach oben. Viele sagen, dass wir erst 2022/2023 wieder die Chance haben, das Vorkrisenniveau zu erreichen. Ich hoffe, vorher, denn die entscheidende Frage lautet doch: Trägt die Brücke Kurzarbeit? Bricht sie und wir erleben Entlassungswellen im größeren Umfang, wird sich diese Krise verstärken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt extrem infrage stellen. Deswegen wird die IG Metall alles dafür tun, dass wir mit möglichst vielen Beschäftigten durch dieses Krisental kommen. Und da sind Politik und Arbeitgeber gefordert, uns dabei zu unterstützen.

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