Ein trauriger Tag für Stahl

Bericht aus Bezirk Nordrhein-WestfalenIn Düsseldorf-Reisholz schließt der französische Stahlkonzern ein Werk mit einer 121-jährigen Geschichte, auch bei Thyssenkrupp in Duisburg steht ein Werk auf der Kippe. Das bestätigt die Haltung der IG Metall: Stahl braucht Unterstützung.

1. März 20201. 3. 2020


Seit 36 Jahren ist er bei dem Unternehmen, erzählt ein Kollege, in der dritten Generation verdient die Familie hier ihr Geld. „Mein Vater und mein Großvater haben hier schon gearbeitet.“ Einen kleinen Sohn hat der 53-Jährige, „einen Nachzügler“, außerdem ein Haus gebaut. Und was wird jetzt? „Ich weiß es nicht.“

Die Zentrale von Vallourec Deutschland in Düsseldorf-Rath: 1200 Kolleginnen und Kollegen haben sich vor dem Bürokomplex versammelt, sie klatschen ihrem Betriebsratsvorsitzenden Beifall und buhen ihr Management aus. Sie sind wütend, enttäuscht, kämpferisch. Vor der Rednerbühne steht ein schwarzer Sarg, darauf steht: „Reisholz 1899–2020“.

Nach 121 Jahren wird das Werk geschlossen. Das hat der Aufsichtsrat des Unternehmens so beschlossen – gegen die Stimmen der Vertreter der IG Metall. Der französische Konzern sah keine Zukunft mehr für das Werk – und beerdigt damit ein Stück Industriekultur. „Wir sind Reisholz!“, skandieren die Beschäftigten immer wieder im Sprechchor – ob sie im Werk Reisholz arbeiten oder aus den Werken in Düsseldorf-Rath und Mülheim an der Ruhr kommen. An diesem Tag zeigen alle Beschäftigten aus allen Werken ihre Solidarität.

Gesamtbetriebsratsvorsitzender Ayhan Üstün ist gerüht, er kann die Tränen nicht verbergen. „Das ist eine Fehlentscheidung“, sagt er. Seit Jahren hat er gekämpft, hat Konzepte vorgelegt und die Manager aufgefordert: Erschließt neue Märkte, entwickelt neue Produkte. Die Belegschaft hat verzichtet, um das Unternehmen zu retten – jetzt macht eines der Werke trotzdem zu.

Es ist eine von vielen Fehlentscheidungen, die die Manager getroffen haben. Zu spät reagierten sie, zu unentschlossen agierten sie. Vallourec stellt Stahlrohre her, und das Werk in Reisholz war komplett vom chinesischen Markt abhängig. Das Geschäft läuft seit Jahren schleppend, weil Rohre für Kohlekraftwerke oder für Öl- und Gasanlagen weniger nachgefragt werden. Den Umschwung hat das Management verpasst. Erst kürzlich richtete Vallourec eine Abteilung für den Markt im Bereich der erneuerbaren Energien ein. „Super Idee“, sagte Üstün, „aber leider zehn Jahre zu spät“. Als die Chinesen jetzt noch einen 58-prozentigen Strafzoll erließen, machte Vallourec kurzen Prozess.

Für Betriebsrat Ayhan Üstün ist die Werksschließung ein Anlass, um zu warnen. „Mir geht es nicht nur um den Standort Reisholz“, betont er. Es gehe „um Standorte in ganz Europa“. Denn wenn der schleichende Niedergang „so weitergeht, verliert Europa seine industrielle Basis“, sagt er. Anderswo würden die Kapazitäten aufgebaut, die hier in Europa wegfallen. „Jeder soll seine Kapazitäten haben“, sagt er, „aber nicht auf Kosten Europas“.


Schock in Duisburg

Stahlbeschäftigte in Duisburg dürften das ähnlich sehen. Dort will Thyssenkrupp das Grobblech-Werk im Duisburger Süden zum Verkauf anbieten. Sollte sich kein Käufer finden, soll es geschlossen werden. 800 Beschäftigte könnten betroffen sein. „Die Managementfehler der vergangenen Jahre dürfen nicht den Menschen auf den Deckel geschrieben werden“, fordert IG Metall-Bezirksleiter Knut Giesler angesichts der Schocknachricht aus Duisburg.

Die IG Metall fordert von der Politik seit langem: Lasst die Stahlindustrie in Europa nicht im Regen stehen. Im Februar wanderten Stahlarbeiter aus dem Saarland in einem Protestmarsch zu Fuß nach Brüssel (siehe Seite 7). Die IG Metall fordert, dass Investitionen finanziell gefördert werden, damit die Stahlindustrie auf die neue Wasserstofftechnologie umschwenken kann. „Und wir fordern handelspolitische Maßnahmen“, sagt IG Metall-Stahlexperte Heiko Reese. Es müssten international gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen.

Bei Vallourec und bei Thyssenkrupp soll zwar vorerst niemand arbeitslos werden. Die Unternehmen haben – auch auf Druck der IG Metall – versprochen, dass niemand ins Bergfreie fällt. Das ist aber noch kein Grund aufzuatmen. Wenn nichts passiere, sagt Vallourec-Betriebsrat Ayhan Üstün, „gehen wir in Europa Stück für Stück kaputt“.

alt
Foto: Stephen Petrat
Nach 121 Jahren ist Schluss: Beschäftigte von Vallourec in Düsseldorf protestieren gegen das Werks-Aus.
| Das könnte Dich auch interessieren
Kontakt zur IG Metall

Newsletter bestellen