Durchstarten nach der Krise

Seit dem Ausbruch der Pandemie ist in der Luftfahrt nichts mehr, wie es war. Vor allem die Zulieferbranche hat es hart getroffen. Wichtig ist nun, eine Strategie für die Zukunft zu entwickeln. Alternative Antriebe müssen entwickelt, ökologisches Fliegen muss vorangetrieben werden.

1. März 20211. 3. 2021
Jan Chaberny


Die Schockstarre hat sich mittlerweile wieder gelöst, der Schrecken aber ist nicht vergangen. Er wirkt nach: „Ich bin seit 1987 im Unternehmen, ich habe schon einige Krisen erlebt“, sagt Dieter Kramer. Den 11. September 2001 zum Beispiel, als Terroristen in New York mit voll besetzten Passagiermaschinen in die Zwillingstürme des World Trade Centers in Manhattan flogen und diese Terroranschläge auch die Luftfahrtindustrie erschütterten. Oder aber die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009, als am Anfang niemand so recht wusste, wie es weitergehen würde. „So etwas wie jetzt aber habe ich noch nie erlebt. Seit dem Ausbruch der Coronapandemie ist in der Luftfahrt nichts mehr, wie es war. Wir stecken in einer umfassenden Krise.“

Dieter Kramer ist Betriebsratsvorsitzender bei Diehl Aviation im schwäbischen Laupheim, ein Luftfahrtzulieferer, der sich auf den Bau und die Ausstattung von Kabinen spezialisiert hat. 2400 Menschen arbeiteten vor eineinhalb Jahren am Standort. Dann kam Corona: Aufträge brachen ein, Kunden reduzierten Bestellungen, Airbus, für dessen Langstreckenflieger A350 das Team in Laupheim nahezu die komplette Kabine produziert, geriet in Turbulenzen – und das hatte sofort große Auswirkungen auf die Zulieferindustrie. Auch auf den Kabinenhersteller Diehl: Die Konzernleitung verlängerte befristete Verträge nicht, Leiharbeiter mussten gehen. Derzeit sind noch rund 2000 Menschen in Laupheim beschäftigt. „Die Konzernleitung will weitere 620 Arbeitsplätze abbauen. Sie schließt betriebsbedingte Kündigungen nicht aus. Das wollen wir verhindern“, sagt Kramer. Und er sagt auch: „Die Situation ist äußerst angespannt.“


Kurzarbeit hat Arbeitsplätze gesichert

Angespannt ist die Situation der gesamten Luftfahrtbranche, ein Jahr nach Ausbruch der Coronapandemie: In der zivilen Luftfahrt sind die Aufträge um rund 40 Prozent zurückgegangen. Drei Viertel der Unternehmen gingen in Kurzarbeit. Rund 70 000 Beschäftigte sind betroffen. Das zeigt eine aktuelle Studie des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Und eine Befragung unter den Betriebsräten der Branche im Auftrag der IG Metall in 68 Betrieben mit mehr als 79 000 Beschäftigten zeichnet für die Zukunft ein düsteres Bild: Nach den Aussagen der Betriebsräte ist auch 2021 mit einem weiteren Arbeitsplatzabbau in der Luftfahrtbranche zu rechnen. Rund 10 000 Arbeitsplätze seien aufgrund der Pandemie gefährdet.

Dass es bislang nicht zu einem großen Abbau von Stammarbeitsplätzen gekommen ist, liegt vor allem an der Kurzarbeit. „Ohne Kurzarbeit hätte es bei uns längst einen Stellenabbau gegeben“, sagt Klaus Kees, Betriebsratsvorsitzender von Aerotech Peissenberg. Der Zuliefererbetrieb ist der größte Arbeitgeber im Ort, rund 400 Menschen arbeiten dort. Die Beschäftigten fertigen vor allem Komponenten für den Triebwerkshersteller Rolls-Royce, MTU und Safran. „Die Kolleginnen und Kollegen sind beinahe flächendeckend in Kurzarbeit. Es ist sehr gut, dass die Regierung auch auf Druck der IG Metall die Regelungen auf 24 Monate ausgeweitet hat.“ Doch Kees hat die Sorge, dass das nicht ausreicht. Dass die gesamte Flugbranche nicht so schnell wieder auf die Beine kommt, vor allem die Zulieferindustrie.


Die Herausforderungen sind gewaltig

„Wir stehen in der dritten Reihe, der Aufschwung kommt bei uns immer später an“, sagt Kees. „Wir brauchen Zeit, wir brauchen einen Schutzraum.“ Auch die großen Triebwerkshersteller seien hier gefordert: Sie müssen Zulieferer notfalls stützen, sie dürfen Bestellungen nicht auf null fahren. „Und die Politik muss sich weiter engagieren.“ Eine nochmalige Ausweitung der Kurzarbeiterregelungen sei notwendig. Vor allem kleinere Zulieferer könnten ihre ­Liquidität nur über Kredite und weitere Hilfen sicherstellen. „Es liegt noch ein weiter Weg vor uns“, sagt Klaus Kees. Klar ist, dass die Welt nach Corona eine andere sein wird. Klar ist, dass es auch für die Luftfahrtbranche nicht automatisch so werden wird wie vor der Krise. Der Airbus-Konzern erwartet, dass sich der Flugverkehr in den nächsten Jahren wieder erholt, und das Auftragsbuch des mächtigen Flugzeugbauers ist nach wie vor gut gefüllt.  „Die Herausforderungen, vor denen die Branche steht, sind aber dennoch gewaltig“, sagt Michael Eilers.


Strategie für die Zukunft entwickeln

Eilers ist in Nordenham Betriebsratsvorsitzender von Premium Aerotec, einem Tochterunternehmen des Airbus-Konzerns und einem der größten Luftfahrtzulieferer der Welt. Weil die Auslastung um rund 40 Prozent eingebrochen ist, stehen bei Premium Aerotec rechnerisch bis zu 2874 Jobs auf dem Spiel. „Wir lehnen betriebsbedingte Kündigungen kategorisch ab. Wir wollen diese Krise sozialverträglich bewältigen“, sagt Eilers. Vor allem müsse jetzt eine Strategie für die Zukunft entwickelt werden. „Wir müssen neue Techniken vorantreiben, Antworten auf verändertes Reiseverhalten und auf den Klimawandel geben. Nur so können wir Beschäftigung sichern, die Branche attraktiv halten.“

Das betont auch Jürgen Kerner: „Der Herausforderung des klimaneutralen Fliegens darf man sich nicht entziehen, denn sie ist existenziell für die Zukunft der Branche“, sagt der Hauptkassierer der IG Metall, der als geschäftsführendes Vorstandsmitglied zuständig für die Luftfahrtbranche ist. „Notwendig sind deutlich höhere Forschungsausgaben des Bundes und der Industrie. Antriebe und Treibstoffe müssen sich ändern, die Fertigung der Flugzeuge, aber auch die Geschäftsmodelle. Große Konzerne wie Airbus und Rolls-Royce müssen hier die Taktgeber werden, auch als Orientierung für die Zulieferindustrie. Für einen sicheren Neustart des Luftverkehrs ist es zudem nötig, globale Reisestandards zu definieren.“


Alternative Antriebe sind eine Chance

Bei Diehl in Laupheim, aber längst nicht nur da, haben sie sich auf den Wandel eingestellt. „Ich habe 1987 als Modellschreiner angefangen, seitdem hat sich viel geändert“, sagt Dieter Kramer. Das modulare Bauen, also das Bauen mit vorgefertigten Elementen, spielt eine immer größere Rolle.

Mehr und mehr kommen dabei Kunststoffe zum Einsatz. Die sind sehr viel leichter, und sie sind sehr viel besser zu verarbeiten. „Neue Technologien entwickeln sich rasant. Ich bin sicher, dass Flugzeuge bald mit alternativen Treibstoffen angetrieben werden und auch anders aussehen werden“, sagt Dieter Kramer. „Das ist eine große Chance für uns.“

Dieter Kramer ist Betriebsratsvorsitzender beim Kabinenhersteller Diehl im schwäbischen Laupheim. „Die Situation ist äußerst angespannt“, sagt der 55-Jährige.

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