Arbeiten im Angesicht der Seuche

Als vor einem halben Jahr die Pandemie nach Deutschland kam, ging es in den Unternehmen darum, schnell Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Aktuell gibt es neue Herausforderungen, neue Routinen. Über den gewandelten Alltag in den Betrieben.

1. Oktober 20201. 10. 2020
Jan Chaberny


Routine? Nein, mit Routine habe das nichts zu tun, sagt Andreas Krause. Dafür sei die Situation zu angespannt. Und trotz aller Maßnahmen nicht sicher, ob sich das Virus eindämmen lasse. „Corona hat alles auf den Kopf gestellt“, sagt Betriebsrat Andreas Krause. „Wir leben in einem neuen Alltag. Es war von Anfang an klar, dass wir viel ändern müssen, um die Beschäftigten zu schützen.“

Das haben sie gemacht in den vergangenen Wochen und Monaten. Hier bei Daimler in Berlin: Rund 2500 Menschen arbeiten am Standort, 1300 von ihnen in der Komponentenfertigung. Damals, als erste Coronanachrichten ins Land schwappten, setzten sich Andreas Krause und sein Team häufig mit Udo Roth, dem Sprecher der Kommission für Arbeits-, Umweltschutz und Gesundheitspolitik im Gesamtbetriebsrat, zusammen. Es ging darum, Standards zu entwickeln, wirksame Schutzmaßnahmen zu verwirklichen. Das gelang.

 

Andreas Krause arbeitet seit 30 Jahren als Betriebsrat am Daimler-Standort Berlin. „Es genügt nicht, einfach Schutzmaßnahmen aufzubauen. Man muss mit den Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch kommen.“ (Foto: privat)


Krause und sein Team setzten im März und April ein ausgefeiltes Schutzkonzept aufeinander aufbauender Maßnahmen um. Sie sorgten für Abstände, schilderten Wege aus, strichen die Schichtübergaben, definierten Höchstbelegungszahlen. Desinfektionsmittel, Seife, Handcremes standen bereit. Bei allen Maßnahmen achtete der Betriebsrat darauf, dass technische und organisatorische Lösungen personenbezogenen Schutzmaßnahmen vorgezogen werden – dass also erst versucht wird, etwa mit baulichen Maßnahmen für Infektionsschutz zu sorgen, bevor darüber nachgedacht wird, Masken an die Beschäftigten zu verteilen. Aufreibende Tage waren das damals, sagt Andreas Krause. Jeder Tag Ausnahmezustand. Und heute? Andreas Krause sagt: „Mittlerweile ist aus dem Ausnahmezustand Alltag geworden. Ein Alltag mit neuen Routinen und neuen Herausforderungen.“


Jeder Tag war damals Ausnahmezustand

Dafür können die Betriebsräte auf eine neue SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel zurückgreifen. Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, sieht darin einen wichtigen Schritt zum Schutz vor dem Virus, der den von Arbeitgeberverbänden geforderten Spielraum begrenzt. „Die Gesundheit geht vor, hier kann es keine Kompromisse geben. Wenn Arbeitgeber geforderte Schutzmaßnahmen missachten, sollten sich Betriebsräte oder einzelne Beschäftigte an die staatliche Arbeitsschutzaufsicht oder ihre Berufsgenossenschaft wenden, die mit der neuen Regel jetzt verbindliche Prüfkriterien haben und Verstöße ahnden können.“ Das gilt nicht nur bei Daimler. Das gilt in jedem Betrieb der Republik. 

„Das Virus ist ja nicht weg“, sagt Alf van de Wetering. Der 50-Jährige ist Betriebsrat bei Siemens Energy. Rund 4500 Menschen arbeiten für das Unternehmen am Standort Mülheim an der Ruhr. Als SARS-CoV-2 im Frühjahr nach Deutschland kam, schickte Siemens die Beschäftigten in den Büros ins Homeoffice. „Der Mindestabstand wäre damals nicht einzuhalten gewesen“, sagt van de Wetering. „Es war gut, dass die Kolleginnen und Kollegen erst mal von zu Hause aus arbeiteten. So haben wir Zeit gewonnen.“

 

Alf van de Wetering ist Betriebsrat bei Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr. „Die Pandemie ist nicht vorbei“, sagt der 50-Jährige, „wir müssen mehr darüber sprechen, was wir machen und warum wir es machen.“ (Foto: privat)


Diese Zeit hat der Betriebsrat genutzt: „Wir haben uns mit der Arbeitsschutzabteilung jeden Arbeitsplatz angesehen und mit den Beschäftigten gesprochen“, sagt van de Wetering. „Vor allem für die Gruppenarbeitsplätze mussten wir Lösungen finden.“ Mittlerweile haben sie die gefunden: Der Betriebsrat hat dafür gesorgt, dass Schreibtische neu platziert und Räume neu aufgeteilt wurden. Allerdings arbeiten 80 Prozent der Beschäftigten im Angestelltenbereich noch immer im Homeoffice.

Alf van de Wetering sieht das kritisch. Das soziale Miteinander könne leiden, wenn man sich nur virtuell begegne. Zugleich sei die Tatsache, dass die meisten Beschäftigten trotz Schutzmaßnahmen weiter im Homeoffice blieben, ein Beleg dafür, dass es eben nicht ausreiche, gute Maßnahmen aufzubauen und davon auszugehen, für die Beschäftigten sei alles klar, gut und verständlich.

„Je länger die Pandemie andauert, desto intensiver muss man mit der Belegschaft ins Gespräch kommen“, sagt der Betriebsrat. „Es gibt Beschäftigte, die haben große Angst vor Ansteckung, und andere, die sind mittlerweile zu lax. Wir müssen mehr darüber sprechen, was wir machen und warum wir es machen. Und wir müssen in Erfahrung bringen, was die Kolleginnen und Kollegen umtreibt.“


Schutzmaßnahmen aufbauen, mit den Kollegen sprechen

Diese Erfahrung hat auch Andreas Krause gemacht. „Ich erlebe, dass die Schutzmaßnahmen bei einigen Beschäftigten nicht mehr als notwendig angesehen werden“, sagt der Daimler-Betriebsrat. „Das ist wie in der Gesellschaft. Im Frühjahr haben sich alle geschlossen hinter den Schutzmaßnahmen versammelt. Nun gibt es Diskussionen.“

Anders als im Frühjahr, als es darum ging, schnell Schutz für die Beschäftigten aufzubauen, sei es nun wichtig, alle Maßnahmen stetig zu überprüfen – und zu begründen, warum sie notwendig seien. Andreas Krause sagt: „Der neue Alltag, den wir in der Pandemie leben, ist begründungspflichtig. Unsere Hauptaufgabe ist, klarzumachen, warum Abstand und Hygiene weiterhin elementar sind. Gerade jetzt, wo der Herbst vor der Tür steht.“

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