Ganz ehrlich, ein bisschen seltsam war es am Anfang schon mit dem neuen Kollegen, sagt Stefan Schlamp. Ungewohnt, eine Umstellung, wie das eben so ist, wenn da plötzlich ein Neuer mit dabei ist im Team. Der Kollege, über den dermaßen unverblümt gesprochen wird, ist still, er arbeitet weiter, als sei nichts geschehen: schaut in die Transportbox, greift einen Kühlmittelausgleichsbehälter, legt ihn auf einenTisch ab – und reicht ihn dann perfekt getimt und im richtigen Winkel Stefan Schlamp an. Der 31-Jährige nimmt den Kunststoffbehälter und setzt ihn in den heranschwebenden Audi ein, zwei Handgriffe, fertig. Mittlerweile klappt die Zusammenarbeit der beiden reibungslos.
Bemerkenswert ist das deshalb, weil es nicht zwei Menschen sind, die gemeinsam etwas montieren. Es ist ein Roboter, mit dem Stefan Schlamp bei Audi in Ingolstadt zusammenarbeitet: PART4you heißt der, ein karottengelber Industrieroboter, umhüllt mit einer weichen Schutzhaut, ausgestattet mit integrierter Sicherheitssensorik, mit Motoren und viel Elektronik, mit einer Kamera und einem Saugnapf. Seit ein paar Monaten steht er an der Montagelinie für die Modelle A4, A5 und Q5. Mit ihm hat Audi nun erstmals in seinem Stammwerk einen Roboter im Serieneinsatz, der, befreit aus dem Sicherheitskäfig, Hand in Hand mit den Menschen arbeitet. Es ist die erste Mensch-Maschine-Kooperation im Volkswagen-Konzern. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Fabrik der Zukunft.
Was das für die Arbeit der Beschäftigten bedeutet? Was sich mit dem Einsatz kooperierender Roboter für sie ändert? Nun, Stefan Schlamp muss sich jetzt nicht mehr in den Container beugen, um die Behälter zu greifen, eine Arbeit, die, hundertfach während einer Schicht ausgeführt, zu Rückenschmerzen führen kann. „Der Roboter nimmt mir schwere Arbeit ab“, sagt Stefan Schlamp, „das ist eine gute Sache.“
Eine gute Sache, das sagt auch Peter Mosch, der Audi-Gesamtbetriebsratsvorsitzende. „Wir sehen die Chancen, die die voranschreitende Vernetzung von Mensch und Maschine mit sich bringt“. Die Sache sei eigentlich ganz einfach: Wenn der Einsatz kooperierender Roboter dazu führt, anstrengende Routinetätigkeiten zu automatisieren, ohne dass damit Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wenn mit ihnen ergonomisch ungünstige Arbeitsplätze optimiert werden können – dann immer gerne, dann spricht nichts gegen deren Einsatz. „Entscheidend ist für uns, wie die Entwicklung gestaltet wird. Die Beschäftigten müssen frühzeitig in die Veränderungsprozesse einbezogen werden. Und der Mensch muss die Maschinen steuern und nicht umgekehrt.“
Genau das ist der Knackpunkt in der Diskussion um Industrie 4.0: Die Frage, wer in der vollkommen vernetzten, digitalisierten Fabrik zukünftig Tempo und Takt vorgeben wird: Der Mensch? Oder die Maschinen? Bislang ist diese Frage nicht entschieden. Auf der einen Seite könnte Digitalisierung, vor allem die rasanten Fortschritte auf dem Gebiet der Leichtbauroboter dazu führen, dass für die Beschäftigten neue Gestaltungsspielräume entstehen. Dann wird die Arbeit besser, interessanter, verantwortungsvoller. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass der Mensch zum Rädchen in der digitalen Fabrik wird: ein willenloser „Operator“, dem Takt der Maschinen ausgeliefert.
In Ingolstadt sind es die Beschäftigten, die den Rhythmus vorgeben. Der Roboter passt sich dem Arbeitstakt des Menschen an, nicht umgekehrt. Er wird erst tätig, wenn er von Stefan Schlamp oder einem seiner Kollegen ein Startsignal bekommt. Ein unaufdringlicher Fertigungsassistent, präzise, verlässlich, fehlerlos, den Menschen dezent unterstützend – aber das muss nicht so bleiben. Es ist nicht bloß vorstellbar, es ist, blickt man auf die Rasanz der Entwicklung, sehr wahrscheinlich, dass der Assistenzroboter von heute in naher Zukunft weitaus komplexere Arbeiten übernimmt. Und so immer mehr zum konkurrierenden Hilfsarbeiter wird.
„Das wird nicht zur menschenleeren Fabrik führen“, sagt Peter Mosch, „aber wir müssen vorbereitet sein, die technische Entwicklung hat Auswirkungen. “Wenn Maschinen miteinander kommunizieren, wenn Rohlinge selbstständig durch die Produktion manövrieren, wenn Menschen und Roboter zusammenarbeiten, dann entstehe eine flexible Fertigung. Mit der Flexibilisierung der Fertigung aber werden neue Qualifikationen nötig. „Mit Industrie 4.0 geht ein Wandel der Berufsbilder einher“, sagt Peter Mosch, „Qualifikationsprofile ändern sich.“
Bei Audi in Ingolstadt versuchen sie, angetrieben vom Betriebsrat, darauf zu reagieren. Erstmals werden ab Herbst 2015 einige Audi- Lehrlinge für einen neuen Beruf ausgebildet: Sie werden Fachinformatiker der Fachrichtung „Systemintegration“; die Jugendlichen lernen das Konfigurieren von Systemen, sie werden in Softwareprogrammierung geschult, führen technische Servicearbeiten und Systemoptimierungen durch. „Das sind alles Tätigkeiten und Kenntnisse, die in Zukunft eine wichtige Rolle spielen werden“, sagt Peter Mosch, „wir müssen die Beschäftigten deshalb intensiver als bislang fördern, sie weiter qualifizieren.“ Der Roboter als Kollege, als dienender Assistent? Für Stefan Schlamp ist das momentan so. Ob es aber dabei bleibt, hängt davon ab, wie der technischeWandel begleitet wird. Die Möglichkeiten sind da. Jetzt müssen sie angepackt und gemeinsam gestaltet werden.