Demografischer Wandel
Wenn Regierende kreativ in die Irre denken

Es gibt kaum Arbeitsplätze, an denen man gesund alt werden kann. Dennoch ist die Rente mit 67 beschlossen.

5. November 20125. 11. 2012


In Deutschland kommen immer weniger Kinder zur Welt. Das Statistische Bundesamt hat als ein mögliches Zukunftsszenario berechnet, dass die Bevölkerung in 40 Jahren um rund sieben Millionen Menschen auf insgesamt 75 Millionen geschrumpft sein wird. Im Rekordjahr 1964 erblickten in Deutschland noch 1,4 Millionen Babys das Licht der Welt. Diese Zahl hat sich inzwischen mehr als halbiert. Heute bekommt eine Frau im Durchschnitt rund 1,4 Kinder. Parallel dazu werden die Menschen immer älter, hauptsächlich den Fortschritten in der Medizin gedankt.

Als Konsequenz aus diesem demografischen Wandeln würden immer weniger Arbeitende Geld in die Rentenkassen abführen ― obwohl die Zahl der Menschen im Ruhestand stetig wachsen würde. Den sogenannten Generationenvertrag könnte das extrem belasten. Allerdings nur, wenn die Politik die falschen Entscheidungen trifft. Beispielsweise hängt die demografische Entwicklung von der Zuwanderung ab, ob Familien mit Kindern eine angemessene Unterstützung erhalten ― und ob das Renteneintrittsalter wie geplant steigt. Denn sind die Menschen insgesamt länger erwerbstätig, kommen Arbeitgeber mit weniger Personal aus. Die Rente mit 67 würde also Arbeitsplätze vernichten.

Aktuell hat sich die schwarz-gelbe Regierung genau in diese Idee als Antwort auf eine alternde Gesellschaft verrannt. Die Menschen sollen „einfach“ länger an Drehmaschine, Schreibtisch & CO. arbeiten. Doch diese Rechnung macht nicht mal auf dem Papier eine rüstige Figur.

 


Unternehmen sparen an alternsgerechten Arbeitsplätzen


Praktikern in den Betrieben ist klar: Unter den gegebenen Arbeitsbedingungen wird kaum jemand bis zum 67. Lebensjahr durchhalten können. „Gerade in der Metall- und Elektroindustrie sind die Belastungen so hoch, dass viele Beschäftigte sogar vor dem 65. Lebensjahr aus ihrem Beruf ausscheiden müssen“, sagt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall. Nicht zuletzt, weil Betriebe an alternsgerechten Arbeitsplätzen sparen. Das muss sich ändern. Denn einfach die Lebensarbeitszeit verlängern, sich aber nicht um die Bedingungen kümmern ― dieses Vorgehen steuert auf eine Katastrophe zu.

Jedoch würden auch mehr alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze nur ein Häkchen auf einer langen Liste nötiger Reformen bedeuten. „Starre Einheitslösungen wie die Rente mit 67 widersprechen der Lebensrealität“, weiß Urban. Es bleibt zwar die Möglichkeit, mit 63 in Rente zu gehen, allerdings nur mit hohen Abschlägen.



Flexible Ausstiegsmöglichkeiten und Interessenausgleich in den Betrieben


„Unterschiedliche Beschäftigtengruppen benötigen unterschiedliche rentenrechtliche Wahlmöglichkeiten“, fordert Urban. Also flexible Ausstiegschancen zu fairen Bedingungen statt Rente mit 67. Das bedeutet zum einen, den Rentenzugang für Erwerbsgeminderte zu erleichtern. Zum anderen bedeutet es, die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente zu streichen. Dazu muss die Altersteilzeit öffentlich gefördert werden. „Und wer 40 Versicherungsjahre voll hat, muss mit 60 abschlagsfrei in Rente gehen können“, betont Urban.

„Für die Betriebe fordern wir einen demografischen Interessenausgleich“, sagt Urban. Dabei vereinbaren Arbeitgeber und Betriebsrat, wie sie den demografischen Wandel in ihrem Unternehmen bewältigen. Denn was sinnvoll ist, hängt von der jeweiligen Situation vor Ort ab. Darüber hinaus sollten finanzielle Ausgleiche her, beispielsweise, um Rentenabschläge zu kompensieren oder Einkommensverlusten von Älteren auszugleichen.

 



IG Metall trägt Forderungen nach Berlin


Mit ihren Reaktionen auf den demografischen Wandel hat die Politik bisher lediglich Realitätsverlust demonstriert. Auf „heute.de“ plauderte beispielsweise Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) über ihre Vorstellungen: „Wir müssen einfach kreativer denken. Ob Dachdecker oder Bäcker, niemand muss mit 66 noch genau dasselbe machen, was er mit 16 gelernt hat. Wer Berufserfahrung hat, kann auch Büroarbeit in seiner Branche übernehmen.“ Ahja. Der 65-jährige Mechaniker wechselt mal eben in die Buchhaltung des kleinen Familienunternehmens ― das Finanzamt wird sich schon tolerant zeigen ― und die studierte Tochter des Chefs, die den Job bisher gemacht hat, stellt sich an die CNC-Maschine und fräst Zahnräder. Ob mit 33 oder 35 Zähnen: der Kunde soll sich mal nicht so anstellen.

Solche praxisfernen Vorstellungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass die IG Metall ihre Forderungen unter dem Titel „Gute Arbeit ― gut in Rente“ an die Politik stellt. „Wir werden Druck für unsere rentenpolitischen Forderungen machen“, verspricht Urban. Mit Blick auf die Bundestagswahl steht das Nein der IG Metall zur Rente mit 67 als neue Regelaltersgrenze und die Forderung nach einer neuen Altersteilzeit sowie einer grundlegend verbesserten Erwerbsminderungsrenten von Beginn an ganz oben auf der Liste.

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