Die Gesetze zur Unternehmensmitbestimmung in Deutschland regeln, dass die Arbeitnehmervertreter in Unternehmen ab einer bestimmten Größe bei wirtschaftlichen beziehungsweise unternehmerischen Entscheidungen im Aufsichtsrat mitbestimmen dürfen. Was haben die Beschäftigten davon?
Tanja Jaquemin: Die Beschäftigten wissen sehr wohl die Vorteile der Mitbestimmung richtig einzuschätzen. In mitbestimmten Unternehmen können die Interessen der Beschäftigten direkt an der Konzernspitze eingebracht werden. Es besteht die Möglichkeit, eigene Vorstellungen zur strategischen Ausrichtung eines Unternehmens wirksam werden zu lassen. Es geht hier weniger um die Frage der Stimmverhältnisse sondern eher um den Dialog. Wir stellen darüber hinaus fest, dass die Vertreterinnen und Vertreter der Kapitalseite durchaus ein Interesse daran haben, die Sichtweise der Arbeitnehmerbank zu erfahren und diese in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Das ist der Nutzen, den Beschäftigte und das Unternehmen ganz konkret aus der Mitbestimmung ziehen.
In Deutschland ist die Mitbestimmung ein etabliertes Instrument. Wie verhält sich das in multinationalen Konzernen?
Es ist so, dass das deutsche Mitbestimmungsmodell an der deutschen Grenze endet. Ein Aufsichtsrat kann seine Rechte formal also nur im deutschen Teil des Unternehmens ausüben. Auch die betriebsrätliche Form von Mitbestimmung entfaltet ihre Wirkung nur innerhalb der nationalen Grenzen. Natürlich ist dies in multinationalen Unternehmen mit Sitz in Deutschland einfacher als in multinationalen Unternehmen die ihren Sitz im (außer-)europäischen Ausland haben.
Eine Möglichkeit, sich zumindest Informations- und Konsultationsrechte auf europäischer Ebene zu sichern, ist die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates (EBR). Hier ist die Möglichkeit gegeben, in wirtschaftlichen Angelegenheiten als Arbeitnehmervertretung Informations- und ausüben zu können.
Es gibt Fälle, in denen Unternehmen versuchen die Mitbestimmung zu umgehen. Wie machen sie das? Ist das legal?
Leider haben die Unternehmen durchaus Möglichkeiten, sich den Verpflichtungen der Mitbestimmung zu entziehen. Eine Form ist die Gründung von europäischen Aktiengesellschaften, der sogenannten Societas Europaea (SE). Hinzu kommt, dass sich weitere europäische Unternehmensrechtsformen am europäischen Horizont abzeichnen. So finden in Brüssel gerade die Beratungen über einen Richtlinienvorschlag zur sogenannten Societas Unius Personae (SUP), der Ein-Personen-Gesellschaft, statt. Hier geht es unter anderem um die unbürokratische Verlegung des rechtlichen Firmensitzes ins Ausland und somit um die Eliminierung der deutschen Mitbestimmung im Unternehmen. Aber auch der verstärkte Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen ermöglicht beispielsweise das Absenken der Beschäftigtenzahlen und somit das Unterschreiten von Schwellenwerten. Das führt dann auch zum Eindämmen der betrieblichen und Unternehmens-Mitbestimmung.
Was tut die IG Metall dagegen?
Zum einen stehen wir unseren Betriebs- und Aufsichtsratsgremien mit Rat und Tat zur Seite. Wir klären bei einschlägigen Vorhaben der Unternehmen unsere Kolleginnen und Kollegen über Risiken und Chancen auf und geben Handlungsempfehlungen. Ebenfalls bieten wir Schulungen zu diesen Themen an. Wir sind international vernetzt, so dass wir auch in der Lage sind, eine gemeinsame europäische oder gar internationale Gegenwehr zu organisieren. Um nur ein Beispiel zu nennen: bei der arbeitgeberseitig veranlassten Gründung einer SE muss das Unternehmen mit den Beschäftigtenvertretern und den Gewerkschaftsorganisationen über die Errichtung eines Betriebsrats auf europäischer Ebene aber auch über die Einführung von Mitbestimmung auf europäischer Ebene verhandeln. Wir begleiten diese Verhandlungen und bringen unsere Erfahrung und Expertise direkt ein.
Die IG Metall fordert von der Politik, die Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und auf der Unternehmensebene auszuweiten. Was fehlt in den heutigen Gesetzen?
Hier sind unsere Vorstellungen sehr vielfältig. Gemeinsam mit dem DGB fordern wir im Rahmen der Offensive Mitbestimmung, dass beispielsweise individuelle Grundrechte durch ein Verbandsklagerecht gestärkt werden müssen. Dazu gehören auch Verbesserungen bei der verantwortlichen Meinungsäußerung im Betrieb, insbesondere der Schutz von denjenigen, die Missstände aufdecken („Whistleblower“).
Von den Unternehmern fordert die IG Metall, dass sie darauf verzichten, durch die Nutzung ausländischer Rechtsformen aus der deutschen Mitbestimmung zu fliehen. In den Aufsichtsgremien sollte zudem bei Abstimmungen über wichtige Entscheidungen eine tatsächliche Parität zwischen Anteilseignern und Beschäftigtenvertretern geschaffen werden. Außerdem sind wir der Meinung, dass die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern auf den verschiedenen Ebenen zwingend eingehalten werden muss.