Betriebsbedingte Kündigung
Rentennähe kann Kündigung rechtfertigen

Die Berücksichtigung des Alters ist bei Kündigungen sehr genau abzuwägen. Auch die Rentennähe kann dabei eine Rolle spielen, wie das Bundesarbeitgericht entschieden hat.

21. August 202321. 8. 2023


Ist durch betriebliche Erfordernisse im Sinne von Paragraf 1 Absatz 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung für einen oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen und übersteigt die Zahl der vom Rückgang des Beschäftigungsbedarfs betroffenen Arbeitnehmer die der verbliebenen Arbeitsplätze, so ist eine Sozialauswahl nach Paragraf 1 Absatz 3 Satz 1 KSchG zu treffen. Die verbleibenden Arbeitsplätze sollen unter den Arbeitnehmern möglichst gerecht verteilt werden. Die Kündigung soll also grundsätzlich den Arbeitnehmer „treffen“, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist.
 

Lebensalter als ambivalentes Kriterium

Durch die Berücksichtigung des Lebensalters bei der sozialen Auswahl sollen abstrakt die Vermittlungschancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt nach einer Kündigung abgebildet werden. Durch das Kriterium „Lebensalter“ soll allerdings nicht der generelle Erhalt des Arbeitsplatzes bis zur Regelaltersgrenze oder dem selbstgewählten Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Arbeitsleben sichergestellt werden. Deshalb darf berücksichtigt werden, dass das „Lebensalter“ mit näher rückender versorgungsrechtlicher Absicherung (also bei Rentennähe) an Aussagekraft verliert und der dadurch abgestrebte Schutz mit dem Erreichen dieser Absicherung endet.

 

Rentenarten berücksichtigen

Bei der Rentenart nach Paragrafen 38 Sozialgesetzbuch (SGB) VI, 236 b SGB VI ist allerdings zu berücksichtigen, dass Zeiten des Bezugs von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung (wie Arbeitslosengeld) in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn – außer bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers – nicht auf die Wartezeit von 45 Jahren angerechnet werden. Arbeitnehmer, die zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses diese Wartezeit noch nicht erfüllt haben, gelten damit – außer bei Insolvenz oder vollständiger Geschäftsaufgabe – nicht als rentennah.

Die Möglichkeit des Bezugs eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen darf nicht in die Abwägung der Schutzbedürftigkeit bei der Sozialauswahl einbezogen werden. Dies wäre eine unzulässige mittelbare Diskriminierung wegen Behinderung.

Keine Rentennähe ist auch anzunehmen, wenn der betroffene Arbeitnehmer innerhalb von zwei Jahren nach dem in Aussicht genommenen Ende des Arbeitsverhältnisses eine (vorgezogene) Altersrente vorzeitig und daher nur mit Abschlägen in Anspruch nehmen kann.
 

Keine Diskriminierung

Die Öffnung der Möglichkeit, beim Kriterium des Alters in der Sozialauswahl auch die Rentenberechtigung und -nähe zu berücksichtigen, diskriminiert ältere, rentennahe Arbeitnehmer nicht, sondern stellt unter Abwägung der divergierenden Interessen einen gerechten Ausgleich zwischen den Betroffenen her.

Hier geht es zum Volltext der BAG-Entscheidung vom 8. Dezember 2022 – 6 AZR 31/22.