Regierungsbildung
Sondierung: Die Ergebnisse im Detail-Check

Fortschritte im Vergleich zur Jamaika-Sondierung, aber noch Nachbesserungsbedarf für mögliche Koalitionsverhandlungen. Zu diesem Fazit kommen die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder der IG Metall in ihrer Bewertung des Sondierungspapiers von Union und SPD. Was gut ist – und wo es noch hakt.

17. Januar 201817. 1. 2018


 

Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender

Verglichen mit Jamaika enthält das Sondierungsergebnis deutlich mehr Substanz. Es gibt eindeutige Pluspunkte, die auch dem Drängen der IG Metall geschuldet sind – beispielsweise die Stabilisierung des Rentenniveaus und die Wiederherstellung der paritätische Finanzierung der Krankenversicherung. An anderen Punkten muss in Koalitionsverhandlungen konkretisiert werden: Wir brauchen deutlich mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Um die Transformation der Arbeitswelt zu gestalten, brauchen wir konkrete Maßnahmen in der Arbeitsmarktpolitik, wie die Weiterentwicklung des Transferkurzarbeitergeldes. Außerdem brauchen wir eine Stärkung der Tarifbindung und mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte, um die Digitalisierung zu gestalten.

Wir sehen in dem Sonderungspapier einen echten Willen, das Thema Aus- und Weiterbildung bundesweit voranzutreiben. Besonders positiv ist das neue Initiativrecht für Betriebsräte bei der betrieblichen Weiterbildung. Qualifizierung ist der Schlüssel für eine Transformation, bei der die Beschäftigten mitgenommen werden. Positiv sind auch die geplanten Reformen des BAföG und des BBiG inklusive der Einführung einer Mindestausbildungsvergütung.

In der laufenden Metall- und Elektrotarifrunde hat das Sondierungsergebnis den Arbeitgebern nochmals Wind aus den Segeln genommen bei ihrem Bemühen, sich gegen mehr selbstbestimmte Arbeitszeiten zu stemmen. Der von den möglichen Koalitionären vorgesehene Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit ist ein längst notwendiger Schritt für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Dass er nun doch kommen soll, ist auch ein Erfolg unserer Arbeitszeit-Kampagne.

Die Aussagen zu einem solidarischen und sozialen Europa sind ein wichtiger Schritt. Die IG Metall begrüßt insbesondere den angekündigten Sozialpakt für Europa und die damit verbundene Stärkung sozialer Grundrechte in der EU.



Christiane Benner, Zweite Vorsitzende

Der geplante Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit ist ein längst notwendiger Schritt für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben. Genau in diese Richtung zielt auch unsere Tarifforderung. Das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit kann verhindern, dass Beschäftigte ungewollt in der „Teilzeit-Falle“ feststecken. Das betrifft derzeit viele Frauen, mit allen negativen Folgen für ihre berufliche Entwicklung, ihre Entgeltentwicklung und ihre Rente. Wenn garantiert ist, dass man auf Vollzeit zurückkehren kann, werden auch mehr Männer zeitweise ihre Arbeitszeit zugunsten der Familie reduzieren. Das ist ein Schritt zur fairen Verteilung von Sorgearbeit.



Jürgen Kerner, Hauptkassierer

Aus Sicht der Beschäftigten läuft die Finanzpolitik weiter in die falsche Richtung. Das Dogma der schwarzen Null bremst die Möglichkeiten politischer Gestaltung. Für dringend notwendige, ja überfällige Investitionen in Infrastruktur, in soziale und technologische Innovationen bleibt deutlich zu wenig Spielraum. Gerade wenn der Bund nun die Länder und Kommunen mehr unterstützen soll, ist die Neuausrichtung der Finanzpolitik unabdingbar. CDU und CSU müssen sich bewegen. Die Bedeutung der Industrie und ihrer Beschäftigten für unser Land spielte bei den Sondierungen offenbar eine untergeordnete Rolle. Wir sind zuversichtlich, dass Union und SPD hier bei Koalitionsverhandlungen nacharbeiten. Digitalisierung und Internationalisierung fordern die industriepolitische Flankierung, damit die Industriebranchen weiterhin Schrittmacher für neue Technologien und tarifgebundene Beschäftigung bleiben. Wir brauchen den aktiven Staat ― insbesondere auch, um das branchenpolitische Zusammenspiel für die Energie- und Mobilitätswende besser abzustimmen.



Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Auch in den Feldern der Sozialpolitik stehen positive Vorhaben eklatantem Nachbesserungsbedarf gegenüber. So sind die geplanten Leistungsverbesserungen bei der gesetzlichen Rente, etwa für Erwerbsgeminderte, zu begrüßen. Unverzichtbar bleiben aber Schritte in Richtung einer Erwerbstätigenversicherung sowie die mittelfristige Anhebung des Rentenniveaus über 2025 hinaus. Positiv und ein Erfolg gewerkschaftlichen Engagements ist ebenfalls die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung. Notwendige bleiben jedoch auch hier Schritte in Richtung einer Bürgerversicherung. Insgesamt wurde mit der Festlegung auf eine Obergrenze von 40 Prozent für die Sozialabgaben eine kontraproduktive Hürde für die Umsetzung sozialpolitischer Verbesserungen aufgebaut, die den Sozialversicherungen gerade in Krisenzeiten notwendige Handlungsspielräume nehmen könnte.



Irene Schulz, geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Die Sondierer wollen Fluchtursachen stärker bekämpfen ― das ist gut so. Dasselbe gilt für den Plan, die Migration von Fachkräften klarer zu regeln. Die IG Metall hat dazu schon Vorschläge gemacht. Auch die Erkenntnis, dass Integration vor allem über die Arbeit gelingt, ist richtig. Dazu hat die IG Metall ebenfalls Vorschläge gemacht ― zum Beispiel das betriebliche Integrationsjahr. Solche konkreten Pläne fehlen im Sondierungspapier.



Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Für die Bedeutung der Industrie mit ihren Beschäftigten ist das Sondierungsergebnis unzureichend. Im Rahmen von Koalitionsverhandlungen muss bei den industriepolitischen Anforderungen in der Energie- und Mobilitätswende nachgebessert werden. Ziel muss sein, die Energie- und Verkehrswende besser und integrierter zu steuern. Bei den Themen Klimaschutz und Energie ist das Sondierungsergebnis akzeptabel. Positiv ist die Anhebung des Anteils der Erneuerbaren auf 65 Prozent bis 2030. Das Thema Energieeffizienz bleibt eine Leerstelle. Dabei ist klar, dass die Klima- und Energiewendeziele nur mit einer massiven Steigerung der Energieeffizienz erreicht werden können.



Ralf Kutzner, geschäftsführendes Vorstandsmitglied

Für die Beschäftigten sind gute Arbeit und gute Löhne enorm wichtig. Deshalb muss die Tarifbindung gestärkt werden. Ein entscheidender Beitrag dazu wäre die Sicherung der Mitbestimmung der Betriebsräte und tariflicher Regelungen bei Ausgliederungen von Unternehmensteilen. Hier muss das Sondierungsergebnis noch nachgebessert werden. Das gilt auch für die bessere Durchsetzung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Richtig ist es, am Ziel der Vollbeschäftigung festzuhalten.

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