Erfolgreiche, achtmonatige Protestmärsche gegen angekündigte Stellenstreichungen, eine Corona-sichere Live-Hallenbeschallung, die gemeinsame Ausarbeitung einer „Fabrik der Zukunft“ und, nicht zuletzt, das Durchsetzen einer Gesamtbetriebsvereinbarung, die geteilte Führung im Betrieb vereinbart: Die für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2021 nominierten Projekte aus dem Bereich der IG Metall weisen eine breite Spannweite auf. Gemeinsam ist ihnen solidarisches Agieren, innovatives Handeln, ein genauer Blick auf die Wünsche und Bedürfnisse der Beschäftigten – und die Kraft, gemeinsam gute Regelungen durchzusetzen, zusammen im Betrieb etwas zu bewegen.
Im folgendem stellen wir die vier nominierten Projekte, in alphabetischer Reihenfolge, vor.
Audi, Neckarsulm
Die Frage, die sich der Audi-Betriebsrat am Standort Neckarsulm stellte, war sehr einfach. Und sehr wichtig: Wie gelingt es uns in Zeiten der Pandemie, in denen Betriebsversammlungen als Präsensveranstaltungen nicht möglich sind, die Kolleginnen und Kollegen dennoch zu erreichen und über aktuelle Entwicklungen im Unternehmen zu informieren? Wie schaffen wir es, weiterhin guten Kontakt zur Belegschaft zu halten – und zwar auch und gerade mit den Beschäftigten in der Produktion, die Printprodukte und Videos nur in ihrer Freizeit rezipieren können? Ziel des Betriebsrats war also ein Corona-sicheres Format zu finden, das während der Arbeitszeit stattfindet und die wesentlichen Attribute einer Betriebsversammlung abbildet: Aktuelle Informationen, Gemeinschaft, Beteiligung, WIR-Gefühl, Austausch.
Erreicht wurde das Ziel mit der Entwicklung eines Betriebsrats-Funk, einem detailliert ausgearbeiteten Beschallungskonzept, über das im gesamten Werk letztlich mehr als 6000 Kolleginnen und Kollegen in taktgebundenen und produktionsnahen Bereichen über Lautsprecher informiert werden können. In einem Live-Talk richten sich dazu der Betriebsrat und das Unternehmen mit aktuellen Themen an die Belegschaft. Die Aufzeichnung der Veranstaltung wird dann auch Beschäftigten außerhalb der Produktion als Mittschnitt zur Verfügung gestellt. Der Vorteil des Konzepts: Die Beschäftigten verbleiben an ihren Arbeitsplätzen in der Produktion, die bereits Corona-gerecht gestaltet sind. Für weitläufigere Bereiche, wie Karosseriebau oder Lackiererei, können mit relativ wenig Aufwand Corona-gerechte Beschallungsinseln eingerichtet werden. Sie bieten Platz für maximal 50 Personen, geregelten Zutritt und ausreichend Abstand. Für gehörlose Beschäftigte werden Sitzmöglichkeiten am Austragungsort bereitgestellt, wo eine Gebärdendolmetscherin live übersetzt.
„Wir haben unser Konzept lange mit Gesundheitsschutz, Werksicherheit, Arbeitssicherheit, Schwerbehindertenvertretung und im Betriebsrat diskutiert“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Rolf Klotz. „Da gab es einiges zu klären.“ Neben technisch-organisatorischen Fragen mussten eine Menge inhaltliche Fragen besprochen werden. Der Betriebsrat verständigte sich auf ein Talk-Format der Betriebsratsvorsitzenden mit Moderation. Im Vorfeld wurden Fragen der Beschäftigten gesammelt. Sie wurden geclustert, priorisiert und im finalen Talk thematisiert. „Schließlich haben wir unser Format mittels Unterstützung eines externen Dienstleisters und der Fachbereichsverantwortlichen vor Ort in einem repräsentativen Piloten getestet.“
Die Rückmeldung war durchweg positiv – und so wurde das Projekt „BR_Funk“ im nächsten Schritt auf alle 15 Produktionshallen im Hauptwerk ausgedehnt. Schließlich erreichte der Betriebsrat am Standort Neckarsulm über 6000 Kolleginnen und Kollegen in produzierenden Bereichen des Werkes. Gesendet wurde aus einem dafür geräumten Hallenbereich. „Der BR_Funk wurde aufgezeichnet und einen Tag nach der Veranstaltung als Mitschnitt im Intranet und Extranet für alle Beschäftigten zur Verfügung gestellt“, sagt Klotz. „Wir würden uns freuen, wenn unser Konzept anderen Betrieben als Beispiel dienen könnte und zu einer verbesserten Belegschaftsinformation während der Corona-Pandemie führt.“
BMW, München
Das Ziel war ambitioniert, die Leitlinie des Betriebsrates klar: Führung zu teilen, das darf kein Makel sein. Verantwortung zu übernehmen, das soll in jeder Lebensphase möglich sein. Zum Beispiel auch beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit - für Frauen und Männer. Damit dies aber auch gelingen kann, ist ein Rahmen nötig, der Ansprüche und Rechte für die Beschäftigten verbindlich regelt. Das war dem Team IG Metall BMW am Standort München bewusst. Und so verhandelten Martin Kimmich, Elisabeth Altmann-Rackl, Dominique Mohabeer und Sonja Szicher eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit dem Titel: „Joint Leadership - geteilte Führung“.Im Oktober 2020 wurde diese unterzeichnet.
„Ziel der Vereinbarung ist Jobsharing in Teilzeit als Chance auf allen Ebenen zu erkennen statt als Risiko zu sehen. Im Joint-Leadership Modell teilen sich zwei Teilzeit-Beschäftigte eine Leitungsfunktion gleichberechtigt. Das können Beschäftigte aus den Büros sein, aber gleichermaßen kann das Konzept auf Führungskräfte im Produktionsumfeld, wie beispielsweise Meister:innen angewendet werden. Als Tandem übernehmen Sie gemeinsam die Verantwortung für alle fachlichen und disziplinarischen Führungsaufgaben“, sagen die Initiatoren der Vereinbarung. „Joint Leadership ist ein flexibles Arbeitszeitmodell, das die Vereinbarkeit von Karriere mit anderen individuellen Interessen fördert.“ Explizit zu erwähnen ist, dass dieses Modell nicht nur für Mütter als Wiedereinstieg nach der Elternzeit gedacht ist - sondern für Männer und Frauen in jeglicher Lebenslage.
Joint Leadership, wie es bei BMW in München umgesetzt ist, ermöglicht so unter anderem eine bessere Chancengleichheit, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Arbeitsplatzsicherung, die Erhöhung der Arbeitgeberattraktivität sowie die Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich wird damit ein Zeichen an die Beschäftigten gesendet: Wenn Teilzeit in Führungsfunktionen möglich und gewünscht ist, dann wird die Akzeptanz für alle Teilzeitmodelle auf der Mitarbeiter-Ebene größer werden. Davon ist der Betriebsrat überzeugt.
Die Vereinbarung gilt bundesweit für alle BMW-Werke und Niederlassungen, und zwar sowohl für den gewerblichen als auch nichtgewerblichen Bereich. Die Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Entscheidung, ob eine Führungsposition mit Joint Leadership umsetzbar ist, ist sichergestellt. „Die Resonanz ist sehr gut, das Projekt kommt an. Bis heute konnten bereits 16 Tandem-Paare gefunden werden. Bis 2025 wollen wir mindestens 50 Tandem-Paare etablieren.“
Hauni Maschinenbau, Hamburg
Der Titel des Projekts klingt selbstbewusst: „Wir bauen die Fabrik der Zukunft – Der Hauni-Weg“. Dazu gibt es auch allen Grund – denn der Weg, den der Betriebsrat des Hamburger Maschinenbauers zusammen mit den Beschäftigten gegangen ist, war lang und manchmal mühsam. Aber am Schluss sehr erfolgreich.
Es begann Ende 2018, Anfang 2019. Da beschloss das Management des Maschinenbaukonzerns Körber, zu dem Hauni Maschinenbau in Hamburg gehört, eine Unternehmensberatung mit einem weiteren Restrukturierungskonzept zu beauftragen: Das Konzept war dann ebenso drastisch wie einfallslos. Es sah vor: Kopfzahl und Neuorganisation nach Umsatz anpassen, betriebsbedingte Kündigungen mit Angebot des Übergangs in eine Transfergesellschaft aussprechen, Verlagerungen und Outsourcing nach reinen Personalkosten zur Gewinnmaximierung durchziehen. Betroffen waren Konstruktion, Fertigung, Montage, Inbetriebnahme, aber auch die Forschungs- und Entwicklungsabteilung.
Doch so einfach wollte es der Betriebsrat der Konzernführung nicht machen: Und so wurden nicht weniger als drei Maschinenbau-Unternehmen mit vier Betrieben und drei Betriebsräten unter aktiver Beteiligung der Belegschaft umgestaltet. Dabei wurden neue Wege in der Kommunikation, in der Mitbestimmung und für den internen Arbeitsmarkt beschritten – die Betriebsräte entscheiden nun gleichberechtigt im Lenkungsgremium des Projektes mit.
Verhandelt wurde ein Zukunftstarifvertrag, unter anderem mit einem Innovationsfonds und einem neuen Team zur Stärkung von Diversifikation. Eine „Fabrik der Zukunft“ mit Produktion in Deutschland entstand. Mit dem Zukunftstarifvertrag gelang vor allem eine wesentliche Reduzierung des geplanten Stellenabbaus. Betriebsbedingte Kündigungen konnten sogar ganz verhindert werden – und das trotz Reduzierung der Belegschaft um ein Drittel. Dazu konnte die Schließung der Fertigung und eine Teilschließung der Montage gestoppt werden. Prozessreorganisation und Optimierung der Arbeitsabläufe ersetzt das ursprünglich geplante Outscourcing, beziehungsweise eine Teilverlagerung. Eine Betriebsvereinbarung „Make or Buy“ soll maximale Transparenz zu Aufgaben und Arbeiten in der Internationalen Gruppe steuern, um so mit den Kolleginnen und Kollegen Einfluss auf Verlagerungsideen des Managements nehmen zu können. Schließlich wurde ein umfangreiches Qualifizierungskonzept eingeführt.
„Unser Versprechen, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird, haben wir eingehalten“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Bernd Arend. Und der Betriebsratsvorsitzende Uwe Zebrowski ergänzt: „Transformation mit vorausschauender Personalplanung statt betriebsbedingter Kündigungen und Sozialauswahl, das haben wir geschafft. Damit ist für den gesamten Konzern ein neuer Standard in der Zusammenarbeit mit der Mitbestimmung gesetzt worden.“
WMF Group, Geislingen
„Mondays for Jobs“, ein griffiger Slogan, der das ganze Programm des Betriebsrates des Kochgeschirr- und Gastro-Kaffeemaschinenbauers WMF in Geislingen bereits umreißt: Von Juli 2019 an für einen Zeitraum von acht Monaten, immer um Punkt fünf vor zwölf, trafen sich Betriebsrat und Beschäftigte zu einem Protestmarsch um das gesamte Werksgelände, bei jeder Witterung, ganz egal, ob es stürmte, regnete oder die Sonne vom Himmel brannte. Mit ihren montäglichen Märschen protestierten Betriebsrat und Beschäftigte gegen die Abbaupläne des Managements – und waren am Ende erfolgreich. Bis dahin allerdings war es ein langer, oft auch steiniger Weg.
Er begann im Juli 2019. Da wurde der Betriebsrat von der Geschäftsleitung unterrichtet, dass unter der Bezeichnung „Agenda 21“ in der WMF Group bis Ende 2021 rund 400 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, auch bei Tochterunternehmen, hauptsächlich aber am Stammsitz in Geislingen. Beschlossen war auch die Schließung der Kochgeschirrproduktion in Geislingen und Verlagerung der Fertigung nach Italien und Frankreich. All das wollte der Betriebsrat nicht stillschweigend hinnehmen.
„Wir haben verschiedenen Vorschläge diskutiert, die Idee eines montäglichen Protestmarsches fanden alle gut“, sagt Betriebsratsvorsitzender Frank Schnötzinger. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die die Aktionen federführend in die Hand nahm, es wurde Werbung gemacht. Woche für Woche schlossen sich mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen, Geislinger Bürger und sogar Politiker an. „Das war toll zu sehen.“ Während der montäglichen Märsche führt der Betriebsrat viele Gespräche – unter anderem mit dem Oberbürgermeister und mit Gemeinderäten. Daraus folgte eine Resolution der Stadt an die Eigentümerin der WMF, Group SEB in Frankreich.
Am Ende hat der große, solidarische Einsatz sich gelohnt. Rund 400 Beschäftigte konnten aufgrund sehr attraktiver Freiwilligenprogramme und dem Wechsel in eine Transfergesellschaft mit Abfindungen das Unternehmen verlassen. Betriebsbedingte Kündigungen konnten komplett verhindert werden. „Die Kochgeschirrfertigung aber wurde trotz all unserer Bemühungen Ende 2020 geschlossen und verlagert“, sagt Frank Schnötzinger. „Wir haben allerdings eine Beschäftigungssicherung bis 2026 ausgehandelt und eine unbegrenzte Standortgarantie für das Kaffeekompetenzzentrum in Geislingen erhalten.“