Interview mit dem Ford Saarlouis Betriebsratsvorsitzenden
„Ford verschläft die Einführung eigener Elektroautos“

Ford will ab 2030 nur noch Elektroautos in Europa verkaufen. Welche Autos das sein sollen und wo sie gebaut werden − das ist zum großen Teil noch offen, kritisiert Markus Thal, IG Metall Betriebsratsvorsitzender von Ford Saarlouis. Gemeinsam mit den Beschäftigten ging er deshalb auf die Straße.

9. September 20219. 9. 2021 |
Aktualisiert am 21. September 202121. 9. 2021


Ford will 2030 in Europa nur noch Elektroautos bauen. Bislang gibt es aber kaum Modelle. Ihr baut bei Euch in Saarlouis den Ford Focus. Das ist ein Mild-Hybrid. Wie lange sichert der noch Arbeitsplätze?

Die Aussage ist, dass man den Ford Focus bis Mitte 2025 produzieren möchte. Aber die Nachfrage sinkt und somit produzieren wir immer weniger: Wir waren schon bei 1400 Focus am Tag, jetzt sind wir bei 1000 und es könnten noch weniger werden. Das liegt zum einen daran, dass der Focus ein Mild-Hybrid ist, also ein Hybrid, in dem der Elektromotor lediglich eine Hilfsfunktion übernimmt. So verbraucht er zwar weniger Sprit, von der Bundesregierung wird der Kauf aber nicht unterstützt. Finanzielle Kaufanreize gibt es nur für Plug-in-Hybride oder reine Elektroautos. Zum anderen gibt es aber auch einen zyklusbedingten Rückgang. Beides führt zu verringerter Tagesproduktion.

Bei Euch wird’s langsam eng. Denn der Focus ist Euer einziges Auto, nachdem der C-Max Mitte 2019 ausgelaufen ist. Wie hoch ist der Druck im Kessel?

Der Druck im Kessel ist hoch und er steigt noch. Wir haben seit Ende 2018 einen Restrukturierungsprozess, dabei eine Schicht, ein Auto und 2400 Beschäftigte verloren. Ein weiterer Personalabbau läuft, auch wenn wir erstreiten konnten, dass es bis 2025 zumindest keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird, sondern nur freiwillige Abfindungsprogramme, und dass die Azubis fest übernommen werden. Aber wir haben eine offene Zukunftsfrage für knapp 5000 Menschen im Werk und 2000 im angrenzenden Zulieferpark.

Drei Metaller kämpfen für die Zukunft der Beschäftigten bei Ford: : Markus Thal (links) führt Jörg Hofmann (rechts) und Lars Desgranges (mitte) durch das Werk in Saarlouis.

Das Saarland braucht ein neues Auto: Markus Thal (links) führt Jörg Hofmann (rechts) und Lars Desgranges (mitte) durch das Werk in Saarlouis. (Foto: Christian Klein)

Ihr habt die Restrukturierung des Managements mitgemacht, dafür hat es Euch eine Zukunftsperspektive in Aussicht gestellt. Jetzt wo Ihr die Rosskur hinter euch habt, was sagt das Management da?

Bislang noch nichts. Es will sich erst nächstes Jahr im Sommer bekennen. Das wäre sehr knapp, wenn man bedenkt, dass es gut zwei Jahre und mehr dauert, um Montage und Beschäftigte auf ein neues Produkt einzustellen. Aktuell versucht das Management, die einzelnen europäischen Standorte gegeneinander auszuspielen.

Wie macht das Management das genau?

Es sagt: Ihr müsst effizienter und produktiver werden und euch konkurrenzfähig innerhalb des Konzerns aufstellen. Und: Wenn ihr den weiteren Restrukturierungsprozess mitmacht, dann arbeiten wir daran, dass ihr vielleicht ein Auto bekommt.

Spielt Ihr dieses Spiel mit? Immerhin ist die Drohkulisse groß. Das Ford-Management hat in den letzten Jahren einige Werke geschlossen – zum Beispiel in Russland und Frankreich.

Nein, das Spiel spielen wir so nicht mit. Sich zukunftsfähig aufzustellen, das ist das eine, aber es muss für alle europäischen Standorte eine Zukunftsperspektive geben. Wir Betriebsräte und Beschäftigte lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Für uns zählt Solidarität.

Der Standort Köln hat bereits die Zusage für ein neues Elektroauto. Ihr schielt also nicht neidisch ins Rheinland?

Nein, wir freuen uns. In Köln bauen sie den Fiesta, der läuft noch vor dem Focus aus. Es ist zudem ein Bekenntnis für den Standort Deutschland. Und dass die Technologienentwicklung vor unserer Haustüre stattfindet, ist ein Vorteil für uns. Aber jetzt brauchen wir und die anderen europäischen Standorte ebenfalls eine konkrete Perspektive.

Liegt die Hinhaltetaktik von Ford vielleicht daran, dass der Konzern zwar angekündigt hat 2030 nur noch Elektroautos zu verkaufen, aber eigentlich die Transformation verschläft? Denn so richtig viele vollelektrische Autos hat Ford noch nicht der Öffentlichkeit präsentiert.

So ist es, hier braucht es viel mehr Tempo, sonst setzt man die Zukunft des Unternehmens und der Beschäftigten aufs Spiel. Bisher gibt es nur den Mustang E-Mach und den Explorer, die beide importiert werden. Das erste in Europa gefertigte reine Elektroauto, das kommt erst 2023 mit der Produktion in Köln. Das ist eine Kooperation mit VW. Folgen soll ein zweites Modell, das ebenfalls auf der VW-Plattform basiert. Ein komplett eigenständig entwickeltes Modell hat Ford bislang für Europa noch nicht. Das sehe ich kritisch. Das Management hat die rechtzeitige Einführung eigner Elektroautos verschlafen. Und was bisher an Modellen bekannt ist, wird nicht für alle europäischen Standorte reichen.

Vor acht Jahren lief bei Euch in Saarlouis der Ford Focus Electric vom Band. Ihr wart eigentlich schon mal auf dem richtigen Dampfer. Den Ford Focus Electric gibt es aber nicht mehr. Was ist da schiefgelaufen?

Ja ja, man sieht: Wir können in Saarlouis durchaus Elektroautos bauen. Natürlich war der damals recht teuer und - ähnlich wie heute - hatte man das Thema mit der beschränkten Ladekapazität. So waren die bestellten Mengen damals eher gering und das Auto wurde eingestellt. Aber die Kompetenz und die Erfahrungen haben wir dadurch noch vor Ort.

Bei Euch im Saarland werden Industriejobs immer weniger. Was bedeuten die aktuellen Zukunftssorgen, die Ihr aber auch Eure Zulieferer spüren, für die Region?

Im Saarland haben wir vor allem Stahl und Automobil. Beide Brachen müssen sich aus Gründen des Klimaschutzes grundlegend wandeln. So ist das Saarland mit am stärksten von der Transformation betroffen. Das sind tausende Arbeitsplätze, die hier auf dem Spiel stehen. Das ist der Lackmustest der Transformation und der muss zwingend gelingen. Sonst gibt es ein Erdbeben, nicht nur im Saarland, sondern in der ganzen Bundesrepublik. Und am Ende verlieren alle, wahrscheinlich auch die Demokratie.

Am 14. September wart Ihr beim Aktionstag der IG Metall mit 4000 Beschäftigten auf der Straße. Auch Polit-Prominenz aus Berlin war vor Ort. Was erwartet Ihr von der Bundesregierung.

Zum einen müssen die Ministerinnen und Minister bei den Konzernlenkern auf der Matte stehen, um sie an ihre gesellschaftliche Verantwortung zu erinnern. Zum anderen müssen sie den Transformationsprozess unterstützen, mit Fördermitteln und klugen Gesetzen. Man kann nicht einfach nur neue Ziele ausrufen, sondern muss die Transformation gestalten. Und wir sind dazu bereit, jetzt müssen die anderen das ebenfalls beweisen. Das gilt auch oder insbesondere für Kabinettsmitglieder aus dem Saarland, immerhin noch drei!
 


Über 4000 Metallerinnen und Metaller forderten am 14. September in Saarlouis bei einem von der IG Metall veranstalteten Aktionstag Ford und die Politik auf, die Transformation im Saarland endlich anzugehen und mit einem neuen Elektroauto Zukunftsperspektiven zu schaffen.

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