Die EU will beim Klimaschutz mehr Tempo machen. Vergangenen Dezember hat sie deshalb ihre Klimaschutzziele verschärft: Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen im Staatenverbund nun um 55 Prozent gegenüber 1990 sinken, statt um 40 Prozent, wie bisher geplant war. Klimaexperten sehen diesen Schritt als notwendig, wenn die EU bis 2050 klimaneutral sein möchte. Auch von Deutschland werden jetzt zusätzliche Anstrengungen erwartet. Innerhalb der kommenden Wochen will die Politik diskutieren und entscheiden, an welchen Stellschrauben gedreht wird.
Auch in der IG Metall wird über eine verstärkte Klimapolitik und deren Konsequenzen für die Beschäftigten in unterschiedlichen Branchen diskutiert. Wolfgang Lemb, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, betont: „Die Politik ist gefordert, die notwendigen massiven Investitionen in neue Technologien, Produkte, zukunftsfeste Arbeitsplätze und Qualifizierung zu unterstützen. Flankiert werden muss der Wandel durch gezielte regionale Strukturpolitik. Beschäftigung muss gesichert werden und dort, wo dies nicht möglich ist, müssen die sozialen Folgen abgesichert und neue Perspektiven für die Beschäftigten entwickelt werden.“
Früherer Kohleausstieg als erster Schritt
In drei Schritten kann Deutschland klimaneutral werden. Der erste lautet: 65 Prozent weniger CO₂-Emissionen bis 2030. Doch was muss der Staatenverbund tun, um die Verschärfung des Ziels von 55 auf 65 Prozent zu erreichen? Das haben die Experten der Denkfabrik Agora Energiewende, die die Bundesregierung beraten, in ihrer aktuellen Studie ermittelt. Für die Bundesrepublik bedeutet dies im Kern: „den Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vorziehen und die Erneuerbaren Energien auf einen Anteil von etwa 70 Prozent des Stromverbrauchs steigern.“
Für Hersteller von Windkraft- und Solaranlagen ist das eine gute Nachricht. Vorausgesetzt, die Bundesregierung hebt den Ausbau tatsächlich massiv an. Die IG Metall musste zuletzt immer wieder gegen die zu niedrigen Ausbauraten protestieren. Und auch aktuell mahnt Wolfgang Lemb, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall: „Wir brauchen dringend mehr Windanlagen an Land und weniger heiße Luft aus der Politik. Es müssen mehr Flächen ausgewiesen werden, die verwaltungstechnischen Prozesse brauchen ein höheres Tempo, um in der Konsequenz den Ausbau voranzubringen. Das ist sowohl aus klimapolitischer als auch aus beschäftigungspolitischer Sicht der richtige Weg.“
Neue Geschäftsfelder werden wichtig
Doch was bedeutet eine beschleunigte Energiewende für Unternehmen, die auch mit Generatoren und Turbinen für Kohle- und Gaskraftwerke Geld verdienen? Jens Rotthäuser, Betriebsratsvorsitzender Siemens Energy Mülheim, erklärt: „Natürlich hat der Kohleausstieg für uns Auswirkungen. Auch ist das Zeitfenster, in dem Erdgas für Kohle in die Bresche springt, wohl kleiner als wir bisher annahmen.“
Das Ergebnis: Rotthäuser und seine Kolleginnen und Kollegen befinden sich in der Transformation. Und wie sieht die aus? „Wir müssen uns nicht komplett neu erfinden, aber schon neue Felder besetzen. Andere fallen weg, ohne sie direkt mit der Axt abzuschlagen. Denn durch das Thema Energieeffizienz werden wir auch in den nächsten Jahren mit Übergangsprodukten, aber auch mit bewährten Technologien zu den Klimazielen beitragen. Felder, die wichtiger werden, sind Produkte und Lösungen für die Netzstabilität, verschiedene Speichertechnologien oder die Erzeugung von Wasserstoff. Um hier Potenziale zu heben, muss die Transformation gelingen – diese gelingt nur mit dem Knowhow unserer Mitarbeiter und sicheren Arbeitsplätzen. Und dafür kämpfen wir und wollen den Wandel mitgestalten“, sagt Rotthäuser.
Gerade hat der Vorstand von Siemens Energy bekannt gegeben, dass er weltweit über 7700 Stellen abbauen will, mehr als 2900 davon in Deutschland. Einen Schutzschirm gegen Standortschließungen und betriebsbedingte Kündigungen spannt die gerade von dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall mit der Konzernleitung ausgehandelte Zukunftsvereinbarung 2030. Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und Aufsichtsrat der Siemens Energy AG, betont: „Mit der Zukunftsvereinbarung haben wir eine solide Grundlage für die Transformation von Siemens Energy in Deutschland geschaffen. Ich erwarte, dass wir die geplanten Restrukturierungsmaßnahmen im Sinne der Beschäftigten und einer nachhaltigen Zukunftsperspektive ohne Kündigungen gestalten.“
Reinvestitionen und Modernisierung gehen Hand in Hand
Und wie geht es mit dem Klimaschutz außerhalb des Energiesektors − zum Beispiel in der Industrie − weiter? Die Agora-Experten sagen: „Da ohnehin etwa die Hälfte der zentralen Industrieanlagen der deutschen Grundstoffindustrie in den nächsten zehn Jahren zur Reinvestition anstehen, gehen hier Klimaschutz und Modernisierung Hand in Hand. Vorreiter könnte die Stahlindustrie sein, in der ans Ende ihrer Lebenszeit kommende Hochöfen durch Direktreduktionsanlagen ersetzt werden, in denen mit Hilfe von Wasserstoff klimaneutral Stahl erzeugt wird. Voraussetzung hierfür ist eine Politik, die den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft strategisch vorantreibt.“
Generell bedeutet der Weg in die Klimaneutralität ein umfassendes Investitionsprogramm, das die Experten von Agora Energiewende mit dem in den Wirtschaftswunderjahren der 1950er-/60er-Jahre vergleichen. Kernelemente dabei seien, neben dem Umbau der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien, die weitgehende Elektrifizierung von Verkehr- und Wärme, eine smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie. Auch die IG Metall fordert von der Politik, die nötigen Investitionen zu unterstützen und sieht hierdurch die Chance gute Jobs zu erhalten und neue zu schaffen.
Nach einer Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie und des Beratungsunternehmens DIW Econ könnten durch den Aufbau einer eigenen Wasserstoffproduktion und -wirtschaft hierzulande bis zum Jahr 2050 bis zu 800 000 Arbeitsplätze entstehen. Doch um diese Potenziale zu heben, muss die Politik nun schleunigst handeln. Der weltweite Wettlauf um die neuen Technologien und Jobs hat bereits begonnen.
Weltweit werden klimaneutrale Technologien nachgefragt
Im zweiten Schritt werden die Emissionen nach 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 95 Prozent auf ein Minimum reduziert. Für den Think-Tank Agora Energiewende heißt das: In Energie, Verkehr, Gebäude und Industrie werden nur noch klimaneutrale Technologien eingesetzt, sodass schlussendlich vollständig auf die fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas verzichtet wird. Ein Schritt, der nicht nur in der Europäischen Union vollzogen wird. Auch Großbritannien, Japan, Südkorea und viele US-Bundestaaten haben Klimaneutralität bis 2050 als Ziel formuliert, die USA ist gerade dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beigetreten und China bekennt sich zur Klimaneutralität vor 2060.
Die Experten der Agora Energiewende kommen daher in ihrer Studie zu dem Schluss: „Entscheidend für diese Phase der Transformation ist es, dass die Marktanteile für viele traditionelle Technologien (wie Verbrennungsmotoren, fossile Heizungssysteme, erdgasbasierte Chemieanlagen) im Zeitraum 2020 bis 2030 konstant sinken und ihr Geschäftsmodell nach 2030 immer mehr der Vergangenheit angehören wird. Sich auf diese – globalen – Entwicklungstrends einzustellen ist sowohl für die Industrie- und Wirtschaftspolitik als auch für die beteiligten Unternehmen eine der zentralen Aufgaben in den 2020er-Jahren.“
Es darf nicht bei politischen Versprechen bleiben
Damit neue Produkte in die Bresche springen und alte ablösen können, muss die Politik ihre Versprechen nun umsetzten. Beispiel Mobilitätswende. Christian Brunkhorst vom Automobilteam der IG Metall plädiert dafür, die für die Mobilitätswende notwendigen Infrastrukturen, wie Stromnetze und E-Ladestationen, weiter auszubauen. Das müsse auch beim ÖPNV geschehen. Neue Speichertechnologien sollten Förderung erhalten. Denn durch die Vernetzung von Energie und Mobilität können neue Arbeitsplätze entstehen. Für den Hochlauf der Elektromobilität müsse man die technologischen Voraussetzungen schaffen, vor allem die Verfügbarkeit von Rohstoffen, Batteriezellproduktion und Halbleitern betont der IG Metaller in Richtung Politik.
Zukunftskonzepte für die Betriebe sind jetzt gefragt
Doch neben der Politik sind in den kommenden Jahren auch die Unternehmen gefragt. Da sind sich Agora Energiewende und IG Metall ebenfalls einig. Wolfgang Lemb fordert: „Selbstverständlich müssen die Unternehmen als Arbeitgeber Geld für die Investitionen in den Umbau in die Hand nehmen.“ Sie sollten zusammen mit den Betriebsräten und Belegschaften Zukunftskonzepte für die einzelnen Betriebe entwickeln. Bei mittel- und langfristigen Investitionsentscheidungen wie auch bei der Personalentwicklung müssen Belegschaft und Betriebsräte beteiligt werden. Die IG Metall fordert faire Teilhabe an den Umbauprozessen. „Abgesichert werden muss das durch mehr Mitbestimmung und betriebliche Zukunftsverträge“, so Lemb.
Restemissionen in leeren Gasfeldern lagern
Im dritten und letzten Schritt müssen die nicht zu vermeidenden Restemissionen weitgehend durch CO₂-Abscheidung und -Lagerung neutralisiert werden. Die Restemissionen werden vor allem aus der Landwirtschaft, bedingt durch die Tierhaltung, stammen, vermuten die Experten der Agora Energiewende. In ihrer Studie sind sie von keiner drastischen Änderung der Ernährungsgewohnheiten ausgegangen, sondern haben lediglich aktuelle gesellschaftliche Trends fortgeschrieben. Ebenfalls Restemissionen sind dann voraussichtlich noch aus der Zementindustrie zu erwarten, trotz des Einsatzes neuer Technologien. Der Ausgleich dieser, nach Berechnungen der Agora Energiewende, verbleibenden 60 Millionen Tonnen CO2-Equivalente findet in Industrie und Energiewirtschaft statt, die CO₂ aus Biomasseanlagen und aus der Luft abscheiden. Die CO₂-Ablagerung könnte dann in leeren Gasfeldern oder tiefen geologischen Formationen unter der Nordsee stattfinden.
Klimaschutz muss vorankommen
Warum die Energiewende so wichtig ist, ist Tag für Tag zu beobachten. Durch die steigenden Temperaturen, schmelzen Gletscher und das Polareis, der Meeresspiegel steigt. Langfristig wird das zu Millionen Klimaflüchtlingen führen während sich Extremwetter bereits stark häufen: Die Zahl wetterbedingter Naturkatastrophen hat sich seit den 1970er Jahren fast verfünffacht. Durch sie sind mindestens zwei Millionen Menschen umgekommen. Auch die wirtschaftlichen Schäden sind immens. Unterm Strich lässt sich ausrechnen: Klimapolitik kostet, aber nichts tun kostet noch viel mehr. So ist ganz klar: Die IG Metall steht zu den Klimaschutzzielen. Sie fordert von der Politik und in den Unternehmen nicht beim Formulieren von Klimazielen stehen zu bleiben, sondern mit konkreten Maßnahmen voran zu voran zu kommen. Die IG Metall will die Transformation der Wirtschaft sozial, ökologisch und demokratisch gestalten.