Tarifbindung
So lösen wir die Gerechtigkeitsfrage Nummer 1

Ohne Tarifvertrag verdienen Beschäftigte fast ein Viertel weniger als mit. Tarifbindung ist eine Frage der Gerechtigkeit. Jetzt haben Deutschlands größte Gewerkschaften einen Plan vorgelegt, wie die Tarifbindung erhöht werden kann. Dabei ist auch die Politik gefordert.

29. Juni 201629. 6. 2016


Als die Einigung endlich stand, fiel Claus-Peter Schuster ein Stein vom Herzen. Der Metaller ist Betriebsratsvorsitzender bei Francotyp-Postalia. Fast ein Jahr lang hatte er dafür gekämpft, dass der Frankiermaschinen-Hersteller wieder in die Tarifbindung zurückkehrt.

Vor wenigen Wochen dann der Durchbruch: Ein neuer Tarifvertrag. Für die Beschäftigten bedeutet das: Sie bekommen nun wieder regelmäßig Gehaltserhöhungen. Für Claus-Peter Schuster bedeutet es nicht weniger als einen „Kulturwandel“.


Gutes Geld für gute Arbeit

Diesen Kulturwandel wollen die drei größten deutschen Gewerkschaften jetzt überall in der Wirtschaft voranbringen. Für IG Metall, Verdi und IG BCE ist das Thema Tarifbindung die „entscheidende Gerechtigkeitsfrage“. Doch die Tarifbindung in Deutschland ist rückläufig. Nur noch rund 50 Prozent der Betriebe haben einen Tarifvertrag.

Beim jüngsten Sozialpartner-Gipfel auf Schloss Meseberg haben die Gewerkschaften deshalb Vorschläge präsentiert, wie sich die Tarifbindung erhöhen lässt.

Zu diesem Ziel bekennt sich auch die Bundesregierung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Meseberg: „Wir haben ein Interesse daran, dass es wieder einen höhere Tarifbindung gibt, auch weil dies Regelungen ermöglicht, die näher an der Arbeitswelt sind.“ Die Regierung denke darüber nach, wie sie „durch Gesetzgebung Tarifbindung präferieren“ kann. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte es „ eine der großen Herausforderungen, die Tarifvertragslandschaft zu erhalten.“


Ordnung auf dem Arbeitsmarkt

An die Politik richten die Gewerkschaften zahlreiche Forderungen. Ausufernde Befristungen und Werkverträge, Soloselbstständigkeit und Mini-Jobs hätten eine regelrechte „Flucht in tariffreie Zonen“ ausgelöst. Nun gelte es, wieder mehr Ordnung auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen.


Weitere Vorschläge für mehr Tarifbindung:

 

  • Tarifliche Leistungen sollen privilegiert werden. Zum Beispiel könnten Aufstockungen bei Lohnfortzahlung und Kurzarbeitergeld von der Steuer befreit werden.
  • Arbeitgeber sollen offenlegen müssen, ob und in welchem Arbeitgeberverband sie Mitglied sind und ob sie Mitglied ohne Tarifbindung (OT) sind. Das würde es Gewerkschaften erleichtern, Lücken in Branchen- und Flächentarifverträgen zu schließen.
  • In Branchen, die vor allem von kleinen Betrieben geprägt sind, sollen Tarifverträge leichter für allgemeinverbindlich erklärt werden können.
  • Die Verbindlichkeit von Tarifverträgen soll erhöht werden. Treten Unternehmen aus dem Arbeitgeberverband aus oder wollen sich der Tarifbindung durch Ausgründungen entziehen, sollten Tarifverträge kollektiv nachwirken, bis ein neuer Tarifvertrag abgeschlossen wird
  • Öffentliche Unternehmen sollten in punkto Tarifbindung Vorbilder sein. Das heißt: Sie müssen selbst tarifgebunden sein.
     

Blick in den Spiegel

Neben der Politik nahmen die Gewerkschaften in Meseberg auch die Arbeitgeberverbände in die Pflicht. Sie sollen die Möglichkeit sogenannter OT-Mitgliedschaften (ohne Tarifvertrag) ausschließen, die ordnungspolitische Bedeutung von Tarifverträgen betonen und für einen kooperativen Umgang mit Betriebsräten werben.

Nicht zuletzt fassen sich IG Metall, Verdi und IG BCE auch an die eigene Nase: Gewerkschaften müssten sich „mehr denn je auf ihre zentrale Rolle konzentrieren: Die Organisation on Solidarität“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier von IG Metall, Verdi und IG BCE. „Dazu gehören auch Konzepte, Mitgliedern exklusive Tarifleistungen zu bieten.“

Für oft tariflose Bereiche wie das Handwerk oder Dienstleistungsunternehmen brauche es neue Erschließungskonzepte. Ebenso für die „Ränder des Arbeitsmarktes“ wie Leiharbeit oder Werkverträge.

Die IG Metall kommt dabei zügig voran: Mehr als 10 000 Beschäftigte konnten in den letzten Wochen in die Tarifbindung gebracht werden.

Besser mit Tarif
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