Tariftreuegesetz
Warum es öffentliche Aufträge nur gegen Tarif geben darf

Der Staat ist einer der größten Auftraggeber der Wirtschaft. Diese Macht soll er nun auf Bundesebene nutzen, um Tarifverträge zu stärken. Warum das so wichtig ist – und wie es funktioniert.

12. September 202412. 9. 2024


Brücken bauen, Schulen renovieren, Dienstwägen kaufen: Der deutsche Staat vergibt jedes Jahr Aufträge im Wert von vielen Milliarden Euro. Durch dieses Geld verfügt der Staat über eine große Marktmacht. Und diese Macht soll er nun stärker nutzen.

Aufträge des Bundes sollen in Zukunft nur noch bei Unternehmen landen, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen und tarifliche Arbeitsbedingungen bieten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dazu ein sogenanntes Tariftreuegesetz einführen – wie es die IG Metall schon lange fordert.

Die Idee dahinter: Wenn der Staat Unternehmen zur Tariftreue verpflichtet, entsteht ein Anreiz für mehr Tarifbindung.


Billig statt sozial

Bislang läuft die öffentliche Auftragsvergabe meist nach dem Motto „Hauptsache billig“: Nur bei rund zwölf Prozent der gemeldeten Auftragsvergaben spielten soziale oder ökologische Kriterien zuletzt eine Rolle. Das zeigen die neuesten verfügbaren Daten des Bundeswirtschaftsministeriums für das zweite Halbjahr 2021.

Ob durch ein Tariftreuegesetz schnell mehr Firmen einen Tarifvertrag abschließen, ist umstritten. „Aber zumindest würde der Wettbewerbsnachteil entfallen, den tariftreue Betriebe heute teils haben, wenn sie bei öffentlichen Aufträgen mit Dumpingunternehmen konkurrieren müssen“, sagt Thorsten Schulten, Tarifexperte bei der Hans-Böckler-Stiftung (HBS).

Weiterer Effekt: Der Bund würde mit dem Steuergeld der Bürgerinnen und Bürger keine zweifelhaften Geschäftsmodelle unterstützen, die womöglich auf Billiglöhnen oder miesen Arbeitsbedingungen basieren. Und: Wenn die Tarifbindung steigt, steigen auch die Einkommen vieler Beschäftigter. Das stärkt die Sozialversicherung und bringt Steuereinnahmen.

Insgesamt könnte der Staat die Wirtschaft in eine Richtung lenken, die mehr am Gemeinwohl orientiert ist. Die IG Metall unterstützt deshalb das geplante Gesetz: „Tariftreue bedeutet ein Stück mehr Gerechtigkeit und Perspektiven“, sagt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall. „Bundesaufträge dürfen nicht länger an Billigheimer gehen.“


Tariftreue in den Bundesländern

In vielen Bundesländern gibt es bereits Tariftreuegesetze. Und es werden mehr: Im November 2023 hat etwa der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern ein solches Gesetz beschlossen. Für das geplante Bundesgesetz gibt es also Vorbilder. Der Blick in die Länder zeigt aber auch, worauf es bei einem guten Tariftreuegesetz ankommt – und wo Probleme auftauchen.

In der Praxis stellen sich viele Fragen: Welcher Tarifvertrag ist maßgeblich, damit eine Firma als tariftreu gilt? Wer entscheidet über diese Frage? Wie und wo erfahren die öffentlichen Auftraggeber – also zum Beispiel das Bauamt einer Kleinstadt – welche Kriterien sie bei ihrer Auftragsvergabe anlegen müssen? Und wer kontrolliert das alles?

Ein Gesetz muss solche Praxisfragen beantworten. Sonst bleibt es wirkungslos.

Ein Negativbeispiel ist Thüringen. Dort gibt es zwar schon seit 2019 ein Tariftreuegesetz. Doch jahrelang blieb unklar, welche Tarifverträge anzuwenden sind. Mittlerweile ist zumindest für die Baubranche ein Tairfvertrag benannt.

Besser gelöst hat es Berlin: Dort hat die Landesregierung ein Onlineregister erstellt. Darin sind die maßgeblichen Tarifverträge gelistet, geordnet nach Branchen. Auf diese Liste können die sogenannten Vergabestellen bei ihrer Auftragsvergabe zurückgreifen.

 

Städte und Gemeinden vergeben mehr als die Hälfte des Volumens aller öffentlichen Aufträge. Der Bund steht an dritter Stelle – aber sein Handeln hat hohe Signalwirkung.


Viel Luft nach oben

Die Landesgesetze sind wichtig. Rund ein Drittel der öffentlichen Aufträge entfällt auf die Bundesländer. Noch mehr Geld geben nur Städte und Gemeinden aus. Sie stehen für mehr als die Hälfte des gesamten öffentlichen Auftragsvolumens. Die Tariftreuegesetze der Länder sollten also auch die Kommunen umfassen. Das ist nicht überall der Fall.

Tarifexperte Schulten zieht deshalb ein ernüchterndes Fazit: „Eine praktikable Umsetzung umfassender Tariftreueregeln ist noch in keinem Bundesland zufriedenstellend gelöst.“

Doch es gibt auch Positivbeispiele: Im öffentlichen Nahverkehr gab es ab den 1990er-Jahren eine Privatisierungswelle. Die Folge: Tarifflucht und Lohndrückerei. Diese Entwicklung haben die Länder zurückgedreht – durch Tariftreueregelungen.

Der Staat kann seine Marktmacht also sehr wohl zum Nutzen der Allgemeinheit einsetzen. Er muss es nur wollen und handwerklich sauber umsetzen.

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