Jahrestag
Prägende Kraft der Bundesrepublik: Die IG Metall wird 75

Seit dem 1. September 1949 gibt es die IG Metall als bundesweite Organisation. Vorausgegangen war ein zähes Ringen um die Neuordnung von Wirtschaft und Gesellschaft. In den folgenden Jahrzehnten drückte die Metallgewerkschaft der Bundesrepublik ihren Stempel auf.

28. August 202428. 8. 2024


Mit Jubiläen und Traditionen ist es so eine Sache. Eigentlich – das gehört zur Vollständigkeit – ist die IG Metall älter als 75 Jahre. Die wichtigste Vorläuferorganisation gründete sich mit dem Deutschen Metallarbeiter-Verband bereits im Jahr 1891.

Dennoch ist der 1. September 1949 ein bedeutendes Datum in der Geschichte dieser Gewerkschaft. Denn an diesem Tag kam es zum Zusammenschluss der IG Metall-Verbände aus der britischen, der US-amerikanischen und der französischen Besatzungszone.

Seitdem besteht eine Industriegewerkschaft Metall für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Metallerinnen und Metaller aus der sowjetischen Besatzungszone blieben damals außen vor, sie wurden Teil des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds (FDGB).


Zweites Leben nach dem Untergang

„Das 75-jährige Jubiläum der IG Metall ist sozusagen unser zweites Leben, die Neugründung als Einheitsgewerkschaft nach der Zerschlagung durch die Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Christiane Benner, Erste Vorsitzende der IG Metall. „Die Existenz als Gewerkschafterin oder Gewerkschafter war im Nationalsozialismus lebensbedrohlich, wie Schicksale wie das von Willi Bleicher oder Otto Brenner und vielen anderen zeigen.“

Tatsächlich hatten viele engagierte Gewerkschaftsmitglieder die NS-Zeit nur durch Zufall überlebt. Sie gehörten zu den ersten Opfern der Nazis, viele wurden verhaftet, gefoltert, in Konzentrationslagern ermordet. Diese Gräuel muss man vor Augen haben, wenn es um den Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung nach 1945 geht.

„Der Kampf gegen Faschismus und Rassismus und für Demokratie ist Teil unserer DNA, betont die Erste Vorsitzende. „Gesellschaftliche Demokratie und wirtschaftliche Demokratie gehen Hand in Hand.“


Deutschland neu ordnen

Um die Demokratisierung der Wirtschaft wurde in den Nachkriegsjahren hart gerungen. Die IG Metall wollte nach dem Ende des Faschismus eine „grundlegende gesellschaftliche Neuordnung Deutschlands“, wie der Historiker und Gewerkschaftsexperte Karl Lauschke schreibt.

Die Überzeugung war: Demokratie darf nicht am Werkstor enden. Auch und gerade in den Betrieben sollten die Menschen mitbestimmen dürfen. Die Wirtschaft sollte „bis hinauf zur gesamtwirtschaftlichen Ebene demokratisiert werden, um den Interessen der gesamten Bevölkerung Rechnung zu tragen“, so Lauschke weiter.

Einiges davon gelang: In der Eisen- und Stahlindustrie gilt bis heute die paritätische Mitbestimmung, festgeschrieben im Gesetz zur Montanmitbestimmung von 1951. Die IG Metall erkämpfte dieses Gesetz mit einer Streikandrohung: 96 Prozent stimmten in einer Urabstimmung für eine Arbeitsniederlegung, sollte die geforderte Mitbestimmung ausbleiben.

Nach diesem Erfolg prägte die IG Metall über viele Jahre die soziale Ordnung der Bundesrepublik. Nicht wenige Errungenschaften, die heute als selbstverständlich gelten, haben ihren Ursprung in Tarifbewegungen mit teils langen Streiks: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Fünf-Tage-Woche, 35-Stunden-Woche, Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

In aktuellen Tarifrunden führen Metallerinnen und Metaller diese Tradition fort: Wenn sie zum Beispiel mit dem „T-Zug“ Wahlmöglichkeiten zwischen Zeit und Geld eröffnen, und damit weiterhin Trends setzen für die Arbeitswelt in ganz Deutschland.


Ein neues Erfolgsrezept

Für solche Veränderungen unerlässlich: Durchsetzungsstärke. Und die gibt es nur mit gut organisierten Belegschaften. Auch daran erinnert der 75. Jahrestag der IG Metall.

Denn ein nicht unerheblicher Grund für die Mitgliederstärke der IG Metall ist das Prinzip der Einheitsgewerkschaft. Heißt: Alle Beschäftigten einer Branche sind in derselben Gewerkschaft.

Vor der Nazizeit war das anders. Damals war die Gewerkschaftsbewegung zersplittert, entlang parteipolitischer Bindungen oder religiöser Bekenntnisse. Diese Zersplitterung trug mit dazu bei, dass die Nationalsozialisten überhaupt an die Macht kommen konnten.

Nach dem 2. Weltkrieg war deshalb klar: Ein Betrieb, eine Gewerkschaft! Nach diesem Prinzip wuchs die IG Metall schnell zu einer schlagkräftigen, mitgliederstarken Organisation. 1947 zählten die Metallarbeiterverbände zusammen etwa eine Million Mitglieder. 1954 waren es in der IG Metall bereits rund 1,7 Millionen.


Wendung der Geschichte

Eine Zeit lang schien sogar ein noch viel größerer Verbund möglich. Gewerkschafter wie Hans Böckler verstanden unter dem Begriff „Einheitsgewerkschaft“ eigentlich eine viel umfassendere Organisation, als es die heutigen Branchengewerkschaften sind.

Böckler wollte eine einzige Gewerkschaft für alle abhängig Beschäftigten des Landes – inklusive der Beamten. Eine solche Riesenorganisation ließen die Besatzungsmächte aber nicht zu. Die deutsche Nachkriegsgeschichte wäre sonst wohl anders verlaufen.

Stark wurde die Gewerkschaftsbewegung dennoch. Nicht zuletzt die IG Metall. „Die IG Metall hat über die letzten Jahrzehnte mit harten Auseinandersetzungen sichere Arbeitsbedingungen und gutes Geld für die Beschäftigten erkämpft. Das werden wir auch weiter tun“, sagt Christiane Benner anlässlich des 75. Jahrestags.

Und sie fügt hinzu: „Die deutsche Industrie ist ohne unsere roten Fahnen, ohne unseren Kampf, farblos und ungerechter.“

 

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