Warum ist es wichtig, dass frisch gewählte Vertrauensleute möglichst rasch Bildungsangebote wahrnehmen?
Claudia Bremer: Die Kolleginnen und Kollegen, die zu Vertrauensleuten gewählt werden, führen ein Wahlamt aus, sie bekleiden ein Ehrenamt, das auch mit Pflichten einhergeht – nämlich der Pflicht, den Mitgliedern gegenüber auskunftsfähig zu sein. Es ist deshalb wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen die Positionen der IG Metall kennen: Sie müssen schlicht und einfach über grundlegende betriebliche, aber auch gesellschaftspolitische Dinge Bescheid wissen. Vertrauensleute sollten zum Beispiel erklären können, was ein Tarifvertrag ist und wie er zustande kommt, was es mit den ERA-Entgelttabellen auf sich hat und welche Pflichten der Arbeitgeber etwa beim Arbeits- und Gesundheitsschutz hat. Um das leisten zu können, braucht es gute Bildungsangebote. Nichts ist verheerender, als mit gefährlichem Halbwissen durch Produktionshallen und Büros zu rennen.
Wie gehst Du die Bildungskoordinierung bei Dir am Standort an? Benutzt ihr einen Bildungsplan, arbeitet ihr mit einer Matrix?
Ja, das tun wir. Das hilft, um den Überblick zu behalten. Unser Vertrauenskörper am Standort besteht aus 67 Kolleginnen und Kollegen, das ist eine ganze Menge. Da muss man genau schauen, wer bereits welche Art von Qualifizierung gesammelt hat und wer noch spezifische Bildungsangebote benötigt, um seine Arbeit gewinnbringend für die Beschäftigten leisten zu können. Damit das gelingt, ist es wichtig, ganz genau auf den einzelnen Kollegen, auf die einzelne Kollegin zu schauen und dabei auch das Amt, das er oder sie innehat, zu betrachten. Unser Vertrauenskörper besteht aus Betriebsratsmitgliedern, aus Kolleginnen und Kollegen, die sich in der SBV engagieren und aus anderen, die zentral als Vertrauensleute aktiv sind. Sie alle brauchen passgenaue Bildungsangebote. Für sie alle entwerfen wir personalisierte Qualifizierungswege.
Wie, nach welchen Kriterien werden diese Pläne konkret erstellt?
Ich mache keine Vorgaben, den Kolleginnen und Kollegen wird nichts aufgezwungen. Wir sprechen miteinander, alles entsteht im Dialog. Für elementar halte ich es, dass die Kolleginnen und Kollegen sich zunächst einen Überblick über die Grundlagen der gewerkschaftlichen Arbeit verschaffen. Meiner Meinung nach geht das am besten mit einem „A1“-Seminar, das die IG Metall an ihren Bildungsstätten anbietet. Ich finde, das Seminar eignet sich perfekt für frisch gewählte Vertrauensleute und Aktive im Betrieb. Es gibt einen guten, einen grundlegenden Einblick der Arbeitnehmerrechte in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft und es vermittelt arbeitsrechtliche und gesellschaftliche Kenntnisse, die alle Interessenvertreterinnen und Interessensvertrete praktisch jeden Tag im Betrieb benötigen. Bei uns am Standort halten wir es so, dass jeder Kollege, jede Kollegin zunächst an einem Grundlagenseminar teilnimmt – und wir dann gemeinsam schauen, in welchen Teilgebiete, in welchen Spezialdisziplinen es Sinn macht, weitere Bildungsangebote wahrzunehmen. Es gibt da ja, und das ist toll, eine breite Palette von Angeboten und Möglichkeiten.
Klingt nach einem sehr strukturierten Vorgehen, mit dem die Kolleginnen und Kollegen inhaltlich fit für ihre Arbeit gemacht werden sollen.
Das ist es auch. Ich glaube schon, dass methodisches Vorgehen und eine eingehende Bedarfsanalyse gut sind, dass Bildungsangebote nicht zufällig ausgesucht werden sollten. Wichtig zu betonen ist mir dabei aber noch folgendes: Es geht nicht einzig und allein darum, frisch gewählte Vertrauensleute inhaltlich fit zu machen – elementar ist auch, dass die Kolleginnen und Kollegen etwa mit dem Besuch einer Bildungsstätte neben der fachlichen Qualifizierung noch eine ganze Reihe weiterer wichtiger Skills für sich entwickeln können.
Zum Beispiel?
Bei allen Bildungsangeboten der IG Metall ist der Austausch unter den Kolleginnen und Kollegen wichtig. Man kommt zusammen. Man teilt Erfahrungen. Man gibt sich Tipps, berichtet von eigenen Wegen, lernt andere Herangehensweisen von anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern kennen. Man trifft auf engagierte Kolleginnen und Kollegen aus großen Betrieben mit gewachsenen Strukturen und auf Aktive, die ganz am Anfang stehen. Das hilft alles ungemein. Es hilft, ein eigenes Netzwerk zu knüpfen, viele Kontakte zu gewinnen. Und es ermöglicht, Erfahrungen von anderen in die eigene Arbeit zu integrieren. So entwickelt man ein Selbstverständnis für die Arbeit als Vertrauensmann, als Vertrauensfrau. Und man bekommt ein Verständnis von Gewerkschaftsarbeit im Allgemeinen. Das ist eine wichtige Orientierung für die tägliche Arbeit als Aktiver im Betrieb.
Also ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen Bildungsangebote vor Ort in den Bildungsstätten wahrnehmen?
Ja, absolut. Und ich finde übrigens auch nicht, dass die Seminare zu lang sind. Ich finde es ausgesprochen gut, wenn die Kolleginnen und Kollegen einmal für ein paar Tage aus ihrem betrieblichen Alltag hinausfinden, Zeit haben, sich aus dem täglichen Trott zurückzuziehen – so erst ist man offen für neue Erfahrungen, für neue Inhalte, für Menschen. Das heißt aber natürlich nicht, dass Online-Angebote nicht gut und sinnvoll sein können. Ganz im Gegenteil. Ich finde, hier könnte das Angebot noch weiter ausgebaut: Hin zu einer breiteren Auswahl, hin zu kompakten Modulen, die miteinander kombiniert und als „Learning Nugget“ ohne viel Aufwand gewählt werden können. Das würde die Bildungsangebote der IG Metall weiter komplettieren.